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3D-gedruckte Augenprothese.

© Johann Reinhard, Fraunhofer IGD

Ersatzaugen aus dem Drucker: Täuschend echte Prothesen aus biokompatiblem Kunststoff entwickelt

Ein Auge zu verlieren, ist ein Schicksalsschlag. Prothesen sind für Betroffene nicht nur ästhetisch, sondern auch psychologisch wichtig. Jetzt können sie schneller, exakter und günstiger produziert werden.

Von Stefan Parsch, dpa

Mit einem neuen Verfahren lassen sich Augenprothesen wesentlich schneller und besser produzieren. Gegenüber der derzeitigen manuellen Herstellung benötigt dieser Prozess mithilfe eines 3D-Druckers nur noch ein Fünftel der Zeit, wie eine Gruppe um Johann Reinhard vom Fraunhofer-Institut für Grafische Datenverarbeitung (IGD) in Darmstadt im Fachjournal „Nature Communications“ schreibt. 

750.000
Menschen in Europa sind Schätzungen zufolge auf eine Augenprothese angewiesen.

Zudem ist die Vermessung der Augenhöhle für die Patienten erheblich angenehmer, weil ein kontaktloses Scan-Verfahren zum Einsatz kommt. Zehn Patienten einer Augenklinik in London bewerteten ihre künstlichen Augen aus dem 3D-Drucker durchgängig als gut bis sehr gut. 

„Ungefähr 0,1 Prozent der Weltbevölkerung tragen eine Augenprothese“, schreiben die Studienautoren. Allein für Europa wird die Zahl der Betroffenen auf 750.000 geschätzt. Trotz technischer Fortschritte sind solche Prothesen noch mit viel Handarbeit verbunden. Mit einem Kunstauge ist ein Okularist – also Kunstaugenfachmann – etwa acht Stunden beschäftigt.

Viel Handarbeit ersetzt

Zwar gab es schon Ansätze mit Ersatzaugen aus dem 3D-Drucker, doch blieben viele Schritte Handarbeit, etwa die Vermessung der Augenhöhle mithilfe eines Geliermittels, was mit Schmerzen verbunden sein kann. Stattdessen stützt sich der neue Prozess auf einen Scan durch optische Kohärenztomografie (OCT). Weil der Scan meist nicht die gesamte Augenhöhle erfasst, nutzt die Fraunhofer-Software ein statistisches Modell, um die am besten passende Prothesenform vorherzusagen. In wenigen Minuten errechnet das Programm dann ein passgenaues 3D-Modell der Prothese. 

Welches Auge ist eine Prothese? Das künstliche rechte, mit einem neuen Verfahren schnell und günstig produziert, ist vom linken echten nicht zu unterscheiden.
Welches Auge ist eine Prothese? Das künstliche rechte, mit einem neuen Verfahren schnell und günstig produziert, ist vom linken echten nicht zu unterscheiden.

© Ocupeye Ltd./Stephen Bell

Mit dem sanften OCT-Scan erfasst das System auch das gesunde Auge, um ein möglichst exaktes Abbild davon zu erzeugen. Das reicht von den Farben und der Form der Iris über die Größe der Pupille bis zu den kleinen Blutgefäßen in der weißen Lederhaut.

Es können mehr Patientinnen und Patienten behandelt werden und die Wartezeit auf eine neue Prothese wird verkürzt.

Johann Reinhard, Fraunhofer-Institut für Grafische Datenverarbeitung, Darmstadt

Gedruckt werden die Prothesen mit einem kommerziellen, biokompatiblen Kunststoff, der hochauflösende 3D-Farbdruck dauert etwa sechs Minuten. Anschließend entfernt der Hersteller die beim 3D-Druck entstandenen Riefen in einer Waschtrommel.

Mehr Patienten behandelbar

Okularisten polieren die Kunstaugen und passen sie schließlich den Patienten ein. Zwei der zehn Patienten des Moorfields Eye Hospital in London benötigten nur Prothesen für den vorderen Teil des Auges. Diese waren zwar etwas zu groß, ihr Aussehen wurde jedoch als „exzellent“ bewertet.

Patienten mit ihrer digital entworfenen, 3D-gedruckten Prothese nach der Anpassung. Patient 1 (a) und Patient 7 (e) haben ihr linkes Auge verloren. Patient 2 (b), Patient 3 (c), Patient 6 (d), Patient 8 (f), Patient 9 (g) und Patient 10 (h) haben ihr rechtes Auge verloren.
Patienten mit ihrer digital entworfenen, 3D-gedruckten Prothese nach der Anpassung. Patient 1 (a) und Patient 7 (e) haben ihr linkes Auge verloren. Patient 2 (b), Patient 3 (c), Patient 6 (d), Patient 8 (f), Patient 9 (g) und Patient 10 (h) haben ihr rechtes Auge verloren.

© Johann Reinhard et al., Nature Communications

Die Automatisierung des Prozesses ermöglicht den Forschern zufolge eine gleichbleibend hohe Qualität. Außerdem könnten durch den geringeren Zeitaufwand für die Okularisten Kosten gespart werden. 

„Viel wichtiger jedoch ist, dass mehr Patientinnen und Patienten behandelt werden können und sich deren Wartezeit auf eine neue Prothese verkürzen lässt“, wird Reinhard in einer Mitteilung seines Instituts zitiert. In Großbritannien ist die Software als Medizinprodukt zugelassen, mehr als 200 Patienten haben schon das Verfahren genutzt. Nun soll es auch in anderen europäischen Ländern eingeführt werden.

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