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Philosophiekurs in Paris, 14. Jh., Illustration aus Grandes Chronicles de France.

© frei

Tagesrückspiegel – Heute vor 746 Jahren: „Das Geburtsdatum der modernen Wissenschaft“

Es ging ums theologisch, aber durchaus auch objektiv korrekte Philosophieren, als der Bischof von Paris einst Denk- und Sprechverbote erteilte. Was das bewirkte, sah er sicher nicht voraus.

Eine Kolumne von Richard Friebe

Im späten 13. Jahrhundert, das wissen wir rückblickend, war die Renaissance mit ihrer Blüte im 15. und 16. Jahrhindert, bereits auf dem Weg. Ausgerechnet ein paar von hoher kirchlicher Seite verordnete Denk- und Sprechverbote halfen in jener Zeit dabei.

Das geschah allerdings nicht in der Weise, wie man vielleicht vermuten würde. Freidenkerischer Widerstand gegen kirchliche Dogmen war jedenfalls nicht die treibende Kraft.

Der Kanzler maßregelt

Zentrale Figur war Étienne Tempier. Der war seinerzeit Bischof von Paris. Und als Kanzler der dortigen Universität stand er der vielleicht wichtigsten, natürlich theologisch geprägten, Denkfabrik jener Zeit vor.

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Von ihm stammen die beiden „Pariser Verurteilungen“, eine davon verkündet am 7. März 1277, also heute vor 746 Jahren. Darin untersagt Tempier etwa das Lehren von aus heutiger naturwissenschaftlicher Sicht stimmigen oder gar belegten Sichtweisen – etwa Zweifel an der Unsterblichkeit oder dem Ursprung der Menschheit in einem einzigen Adam.

Die Saat des Zweifels

Vor allem attackierte Tempier die Naturphilosophie des Aristoteles. Diese war, zum Teil über den Umweg über arabische Gelehrte und Übersetzer, mit Macht in die Gedanken spätmittelalterlicher christlicher Denker zurückgekehrt.

Sie passte aufgrund ihrer Herkunft aus der Antike auch zur Idee einer „Wiedergeburt“ und Erneuerung auf Basis jener Zivilisation und ihrer Kultur.

Aristoteles, hier als Statue in Thessaloniki.

© AFP

Unter anderem verbot Tempier, im aristotelischen Sinne zu behaupten, die Existenz eines Vakuums sei unmöglich. Auch die Kosmologie des Philosophen mit der These exklusiv kreisförmiger Bewegungen der himmlischen Körper kam auf den Index.

„Wenn wir ein Datum für die Geburt der modernen Wissenschaft festlegen müssten, würden wir zweifellos das Jahr 1277 wählen“, schrieb der französische Physiker und Wissenschaftshistoriker Pierre Duhem schon vor über 100 Jahren.

Mitentscheidend sei der durch die bischöfliche Ansage vermittelte Zwang gewesen, die aristotelische Lehre als nicht perfekt anzusehen. Mehr fragendes, kritisches, hinterfragendes Denken – und irgendwann auch aktives Forschen – war demnach die logische Konsequenz.

Dass, wenn Duhems Einschätzung stimmt, der Pariser Gottesmann damit einen Geist aus der Flasche ließ, den weder er noch irgendeiner seiner Kollegen je wieder würde einfangen können, auch das wissen wir heute rückblickend.

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