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Die Weidenmeise (Poecile montanus) ist durch die Intensivierung der Landwirtschaft und den Temperaturanstieg infolge des Klimawandels gefährdet.

© Romain Lorilliere

Immer weniger Vögel in Europa: Landwirtschaft lässt Vogelbestände schwinden

Vogelbestände nehmen in Europa seit Jahrzehnten ab. Forschende benennen die Hauptursachen und Möglichkeiten, ihre Erholung zu unterstützen – auch für das menschliche Wohlbefinden.

Der Rückgang europäischer Vogelarten in den vergangenen vier Jahrzehnten ist laut einer neuen Analyse vor allem auf die Intensivierung der Landwirtschaft zurückzuführen. Das gilt sogar für Arten, die nicht direkt auf landwirtschaftlich genutzten Flächen leben, berichtet ein Forschungsteam um Stanislas Rigal und Vincent Devictor von der Universität Montpellier in der Fachzeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

Zwischen 1980 und 2016 hat die Anzahl der Vögel demnach um ein Viertel abgenommen. Besonders betroffen sind Populationen von Vogelarten, die in landwirtschaftlich geprägten Gebieten leben. Ihre Häufigkeit hat um mehr als die Hälfte abgenommen. Die Landwirtschaft schade den Vogelbeständen auf kontinentaler Ebene, sagt das Autorenteam. Der Fortbestand der Arten hänge von der schnellen Transformation der Landwirtschaft ab.

Vier Stressfaktoren und eine dramatische Entwicklung

Die Forschenden haben regelmäßige Beobachtungen von 170 verbreiteten Vogelarten ausgewertet, die über einen Zeitraum von 37 Jahren an mehr als 20.000 Standorten in Europa gemacht wurden. Sie untersuchten, wie die Entwicklung der Bestände mit der Intensivierung der Landwirtschaft, Veränderungen von Waldgebieten, dem Temperaturanstieg aufgrund des Klimawandels und Verstädterung zusammenhängt.

„Die neue Errungenschaft der Studie ist der große Umfang, die Datenqualität und die explizite Verknüpfung der Vogeldaten mit der Intensität der Landwirtschaft und anderen Faktoren“, sagte Christian Hof, Ökologe von der Technischen Universität München, dem Science Media Center Deutschland.

Jörg Hoffmann vom Julius Kühn-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Kleinmachnow, kritisiert die Studie dagegen. „Die im europäischen Vogelmonitoring eingesetzten Feldmethoden variieren in den Ländern“, sagte er. Da sie methodisch und zeitlich nicht „harmonisiert“ seien, könnten auch die Ursachen der Rückgänge nicht beurteilt werden.

Der Feldsperling (Passer montanus) ist als Insektenfresser besonders von der Intensivierung der Landwirtschaft betroffen.
Der Feldsperling (Passer montanus) ist als Insektenfresser besonders von der Intensivierung der Landwirtschaft betroffen.

© Romain Lorilliere

Von den vier analysierten Faktoren erklärte die Intensivierung der Landwirtschaft, insbesondere der Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln, den größten Teil des Rückgangs der Vogelpopulationen, fand das Forschungsteam. Der Effekt ist bei Arten, die sich von Insekten ernähren, besonders ausgeprägt. Die zunehmende Verstädterung und der Temperaturanstieg wurden ebenfalls mit dem Rückgang der Vogelpopulationen in Verbindung gebracht.

Umgestaltung von Weide, Acker und Wald

Der Rückgang in landwirtschaftlich geprägten Gebieten liegt gegenüber 1980 bei etwa 57 Prozent. „Dieses Ausmaß ist dramatisch und erschreckend“, sagte Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums in Frankfurt am Main. Die Studie liefere auf solider Datenbasis einen „klaren Hinweis“ darauf, dass die intensive landwirtschaftliche Nutzung der Hauptfaktor ist, der zum bereits zuvor dokumentierten Rückgang der Vögel führt. „Wir sollten weniger intensiv wirtschaften, vor allem müssen wir von dem hohen Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden wegkommen“, sagte Hof.

Da Vögel wichtige Ökosystemfunktionen erfüllen, habe der Rückgang auch Folgen für Ökosysteme und Menschen. „Wir bekommen weniger natürliche Schädlingsbekämpfung, geringere Samenausbreitung und damit schlechtere natürliche Regeneration der Wälder“, sagte Böhning-Gaese. Zudem zeige der Rückgang der Vögel an, dass auch viele andere Arten betroffen sind. Die Biologin nennt Wildkräuter, Bestäuber, andere Insekten und Bodenorganismen. „Je mehr Vögel verschwinden, umso mehr sehen wir, dass wir mit der Landschaft etwas tun, dass insgesamt dem Ökosystem schadet“, erklärte Christian Hof.

Die Studie, wie auch andere Arbeiten, zeigt auf, was getan werden muss, um die negativen Trends umzukehren. „Zum einen muss die Fläche, die im Ökolandbau bewirtschaftet wird, ausgeweitet werden, idealerweise auf die 30 Prozent, die bereits im Koalitionsvertrag stehen“, so Böhning-Gaese. Im Ökolandbau sei die Artenvielfalt im Durchschnitt um etwa 30 Prozent höher als im konventionellen Anbau. Zudem könne die konventionelle Landwirtschaft biodiversitätsfreundlicher gestaltet werden. „Dazu gehören weniger Pestizide und Düngemittel, mehr Brachflächen und Blühstreifen, und mehr Hecken, Gehölze und natürliche Bachläufe“, so die Wissenschaftlerin.

Dass auch in Wäldern lebende Vogelarten laut der Studie seltener geworden sind, obwohl die Waldfläche eher zugenommen hat, hänge wahrscheinlich damit zusammen, dass die Qualität der Wälder schlechter geworden ist. „Für gesunde Vogelpopulationen in Wäldern brauchen wir alte Wälder, mit alten Bäumen, vielen Stockwerken, Baumlücken und vor allem viel Totholz“, sagte Böhning-Gaese. Solche Wälder böten viel mehr Nischen und Nahrung als Monokulturen.

Die Biologin verweist auch darauf, dass die Vogeldiversität auch mit der psychischen Gesundheit und dem Wohlbefinden von Menschen zusammenhängt. „Der Rückgang der Vögel führt möglicherweise dazu, dass wir trauriger und unglücklicher werden.“

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