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Langsam wird es. Im finnischen Olkiluoto entsteht derzeit ein „Europäischer Druckwasserreaktor“. Der Termin der Fertigstellung wurde immer wieder verschoben. Womöglich wird es 2015 sein, vielleicht auch später.

© REUTERS

Kernkraft: Laufzeitverlängerung

Trotz Fukushima setzen viele Länder weiter auf Kernkraft. Vor allem China und Indien bauen neue Reaktoren. In den USA ist die Lage deutlich anders. Dort drückt billiges Schiefergas die Energiepreise.

An einem Freitag im März 2011 bebte die Erde, stieß einen gewaltigen Tsunami an – beides zusammen führte in den folgenden Tagen zu einer Reaktorkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Dai-ichi. Bereits nach jenem Wochenende stand für die deutsche Bundesregierung fest: Wir steigen aus. Später verkündeten weitere Länder wie die Schweiz und Japan, die Stromerzeugung mittels Kernenergie auslaufen zu lassen. In anderen Teilen der Welt hingegen wird diese Technik weiter forciert und es werden neue Kraftwerke gebaut.

„Global gespalten. Hat die Atomkraft eine Zukunft?“ Unter diesem Titel hatte das Deutsche Technikmuseum Berlin am Dienstagabend zur Diskussion geladen. Hauptakteure waren Ralf Güldner, Präsident des Deutschen Atomforums, und Michael Sailer, Nuklearexperte vom Öko-Institut. Beide waren sich einig, dass die Technik auch in den nächsten Jahrzehnten zum globalen Strommix beitragen wird. Aber nur in relativ bescheidenem Umfang – den Güldner und Sailer gern ändern würden, jeder in unterschiedliche Richtung.

Derzeit kommen 13,5 Prozent der weltweiten Stromproduktion aus der Kernenergie. Dieser Anteil wird sich, anders als noch vor wenigen Jahren von Interessenverbänden immer wieder behauptet, wohl wenig ändern. In ihrem kürzlich veröffentlichten World Energy Outlook hat die Internationale Energieagentur den Anteil der Kernkraft an der globalen Stromerzeugung im Jahr 2035 auf 12 Prozent nach unten korrigiert. In absoluten Zahlen bedeutet dieser Trend dennoch eine enorme Steigerung der Kraftwerksleistung, schließlich wird sich der Elektroenergieverbrauch in derselben Zeit etwa verdoppeln.

Angesichts des steigenden Energiebedarfs hob Güldner als Vertreter der Nuklearindustrie hervor, wie wichtig die Technik für den Klimaschutz sei. „Um den Kohlendioxidausstoß zu reduzieren, muss man im großen Stil das CO2 fossil befeuerter Kraftwerke abfangen und in die Erde bringen, oder man setzt auf Kernenergie“, sagte er. Anders werde auf absehbare Zeit kein CO2-armer Grundlaststrom verfügbar sein, also jene Elektroenergie, die rund um die Uhr verfügbar ist.

Die Realität sieht bisher anders aus. Zum einen ist für viele Staaten ernsthafter Klimaschutz kein Thema, weshalb dieser Vorzug der Kerntechnik nicht zum Tragen kommt. Vielmehr dominiert der entscheidende Nachteil: das wirtschaftliche Risiko der mehrere Milliarden Euro teuren Anlagen. „Dort, wo der Markt kaum reguliert ist, sind die Investoren sehr vorsichtig“, sagte Sailer. „In den USA zum Beispiel schafft die Regierung seit Jahrzehnten immer wieder Anreize, aber neu gebaut wurde dort seit langem nicht.“ Anders verhalte es sich mit Ländern wie China oder Indien, wo der Ausbau der Kernenergie von staatlicher Seite vorangetrieben wird.

Wie viele Reaktoren in diesen Ländern in Zukunft ans Netz gehen, lasse sich schwer voraussagen, sagte Sailer. „Vergleicht man die Prognosen der 1990er-Jahre mit dem Stand von heute, sieht man viele Projekte, die angekündigt, aber nie verwirklicht wurden“, nannte er ein oft zitiertes Argument der Kerntechnikgegner. Nur fair, dass Sailer hinzufügte: „Andererseits entstehen in China viele neue Anlagen, die damals nicht auf der Liste standen.“

Nach Angaben der World Nuclear Association sind derzeit rund 435 Reaktoren in 31 Ländern in Betrieb. Mehr als 60 Reaktoren in 13 Staaten würden aktuell neu errichtet. Wie fragil jegliche Prognose ist, zeigt sich beispielsweise am Boomland China. Laut „New York Times“ will das Land das Tempo beim Ausbau der Kerntechnik drosseln. Der Fünfjahresplan sah für 2015 eine installierte Leistung von 50 Gigawatt vor, nun sollen es nur noch 40 Gigawatt sein. Auch das ist noch ambitioniert, Ende 2011 waren es 12,5 Gigawatt.

In den USA wurde zwar im Februar erstmals seit 30 Jahren ein Neubau von Reaktoren genehmigt, von einer Renaissance ist das Land aber weit entfernt. „Durch die intensive Förderung von heimischem Schiefergas sind dort die Energiepreise massiv nach unten gegangen“, erläuterte Güldner. „Da lohnt sich der Neubau von Kernkraftwerken kaum.“

Neben den ökonomischen und klimapolitischen Fragen spielt bei der Kerntechnik die Sicherheit eine maßgebliche Rolle. „Ich habe mir diese Frage intensiv gestellt, nach Tschernobyl und nach Fukushima“, sagte Güldner und erzählte offen von Absperrungen, die plötzlich eingerichtet wurden, als er am 26. April 1986 nichts ahnend mit seinen Kindern den Münchener Zoo besuchte. Erzählte vom Haus der Familie in der Nähe eines Kernkraftwerks. Erzählte von Computersimulationen, in denen der „Europäische Druckwasserreaktor“ virtuell in Fukushima errichtet wurde – und den Naturgewalten vom März 2011 standhielt. Güldners Fazit: „Ich kann es verantworten, weiter für diese Technik zu arbeiten.“

„Sie zielen immer auf die neuesten Anlagen ab“, entgegnete Sailer. Die meisten laufenden Reaktoren seien älter als 20 Jahre. „Die meisten erfüllen nicht die Anforderungen, über die wir hier sprechen.“ Für Sailer bleibt es eine Risikotechnik, bei der „immer etwas schiefgehen“ kann.

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