zum Hauptinhalt
Kälte macht nicht nur die Finger steif, sondern auch die Trompetentöne tiefer.

© PantherMedia / Mihai Barbu/MIHAI BARBU

Misstöne in der Kälte: Wie der Frost Trompeten und Geigen verstimmt

In frostigen Kirchen klänge das Händel-Oratorium reichlich schräg, wenn Musiker ihre Instrumente nicht ständig nachstimmen würden. Der Physik der Kälte zu trotzen, ist eine ganz eigene Kunst.

Ludwig Güttler hat noch nie ein Konzert abgesagt: „Als Student hatte ich einmal einen Auftritt in Hildburghausen – die Gasheizung der Kirche war ausgefallen, es war zwei Grad kalt“, sagt der berühmte Trompeter und Dirigent. Gespielt hat er trotzdem, immer, bis heute. Dabei ist die Kälte nicht nur eine Frage steifer Finger: Wenn es kalt ist, verstimmen sich die Instrumente. Aber sie tun es nicht parallel, sondern gegenläufig: Die Trompete sackt ab, die Orgel teilweise, Streichinstrumente steigen in ihrer Stimmung, das Orchester fällt auseinander.

Die anfangs kalte Luftsäule in der Klarinette wird durch die Atemluft wärmer, die Töne klingen zunehmend höher.

Joachim Striepens, Klarinettist in Berlin

Der Trompete geht es dabei noch relativ gut: „Der Stimmton erniedrigt sich signifikant“, sagt Güttler. „Ich beginne meist zu hoch eingestimmt, um das Tieferwerden auszugleichen.“ Wird ein Blasinstrument durchgehend mit warmer Atemluft bespielt, kühlt es langsamer. Hat eine Trompete dagegen kurze Passagen und lange Pausen, kühlt sie schneller immer wieder aus. Und ein kaltes Mundstück ist ein zweites Problem: „Die Lippen werden klamm, kälter und weniger flexibel“, so Güttler.

Ludwig Güttler (rechts) ist einer der bekanntesten Trompetenvirtuosen.

© Kircheis

Hinzu kommt die Feuchtigkeit: Warme Luft speichert sehr viel mehr Feuchtigkeit als kalte. Wird die warme Atemluft in der Trompete kalt, fällt Kondenswasser aus (so wie auf einer kalten Brille in warmen Räumen). Bei der Trompete ist das weniger ein Problem, sie hat Ventile, über die Flüssigkeit ausgeblasen wird. Auch deshalb sind Trompeten die Klassiker für Militärkapellen, die bei Kälte und Nässe im Freien spielen.

Auch die Wagner-Orgel in der Angermünder Marienkirche kann sich der Physik nicht entziehen: Bei Kälte verstimmen sich ihre Pfeifen unterschiedlich.

© dpa/Patrick Pleul

Schwieriger ist es etwa bei der Klarinette: „Wenn Kondenswasser in ein Tonloch fließt, verstopft es dieses, der Ton spricht schlecht an, er blubbert regelrecht“, sagt der Berliner Klarinettist Joachim Striepens. Bei der Klarinette ist das stimmliche Hauptproblem die Erwärmung der Luft im Instrument. „Die anfangs kalte Luftsäule in der Klarinette wird durch die Atemluft wärmer, die Töne klingen zunehmend höher“, sagt Striepens. „Ich habe immer eine kurze Birne dabei, eine Art Zwischenstück, mit der ich das Instrument bei Bedarf tiefer stimmen kann. Die Klarinette ist damit in geringem Umfang stimmbar – andere Blasinstrumente wie Oboe oder Fagott noch weniger.“

Schrumpfende Geigensaiten

Bei den Streichern – von der Geige bis zum Kontrabass – ziehen sich die Saiten bei Kälte zusammen, die Spannung steigt, der Ton wird höher. Erheblich höher! Und die Stimmung der tiefen Saiten verändert sich stärker als die der hohen – das Instrument verstimmt sich in sich selbst. Ein besonderes Problem haben dabei noch die historischen Instrumente. Es ist zurzeit Mode, Barockmusik mit Instrumenten der Barockzeit aufzuführen – Bach mit historischen Instrumenten, mit Trompeten ohne Ventile, mir Geigen mit Saiten aus Darm statt Stahl.

© Stefan Braun

„Bei den historischen Streichinstrumenten bestehen die Saiten aus Schafsdarm – die tiefen, dicken Saiten sind zusätzlich mit feinem Silberdraht umwickelt“, sagt Alexander Koderisch, der künstlerische Leiter von „Märkisch Barock“. Das Problem: Darmsaiten reagieren sehr viel empfindlicher auf Änderungen von Temperatur und Feuchtigkeit. „Durch den Silberdraht zieht sich die Stimmung der Saite nach oben. Gleichzeitig sinkt die Darmsaite bei Feuchtigkeit nach unten – auf demselben Instrument“, so Koderisch.

Das Problem ist nicht, dass sich ein Instrument temperaturabhängig verstimmt, sondern dass der obere Teil der Klaviatur anders auf die Kälte reagiert als der untere.

© imago images/Bildgehege/bildgehege via www.imago-images.de

Und wenn sich die Feuchtigkeit in der Kirche etwa durch einen Gewitterguss draußen schlagartig ändert – dann leiden alle Instrumente. „Dann kommt auch der Pauker aus dem Schrauben nicht mehr heraus“, so Koderisch. „Wenn Sie das nicht tun, können Sie etwa bei Händels ,Halleluja’ vor dem ersten Paukenschlag eine Quarte nach unten gerutscht sein.“

Schiefe Orgelpfeifen

Barry Jordan hat ein ganz anderes und trotzdem ähnliches Problem. Er ist Organist im Magdeburger Dom – und Herr über 6139 Pfeifen der Domorgel. Und auch die verstimmen sich gegenläufig: „Die Labialen sinken ab, die Zungenstimmen nicht“, so Jordan. Die Labialen oder Lippenpfeifen erzeugen den Ton, indem sie den Luftstrom brechen. Die Lingualen oder Zungenpfeifen erzeugen ihn durch eine schwingenden Metallzunge. Also muss Jordan in jeweils viereinhalbstündiger Arbeit die 20 Labial-Register mit jeweils 61 Pfeifen nachstimmen.

Alles also wie zu Bachs Zeiten. „Mit einem Unterschied: Bach hat seine Kompositionen oft erst am Vorabend beendet, die Musiker bekamen sie kurz vor der Aufführung mit minimaler Probenzeit“, sagt Christian Drengk, Leiter des Dortmunder Bachchores. „Heute, im Zeitalter von CD und Streaming, erwarten die Zuhörer perfekte Musik – und die Musiker erwartet stundenlanges Proben in kalten Räumen.“

Nicht nur in der Kirche: „Ich habe das schwierige Geigensolo aus Beethovens ,Missa solemnis’ im Winter zu Hause mit weit offenen Fenstern geübt“, sagt Gabriele Nußberger, Konzertmeisterin des Essener Barockorchesters. „Einfach um es dann auch in der Kirche mit kalten, klammen Fingern spielen zu können.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false