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So könnten die Pfeile der prähistorischen Jäger ausgesehen haben.

© Ludovic Slimak

Pfeil und Bogen in der Steinzeit: Kam der moderne Mensch bewaffnet nach Europa?

Bisherige Funde lassen auf eine spätere Ankunft schließen. Doch der moderne Mensch könnte bereits vor 54.000 Jahren Mitteleuropa erreicht haben – und mit Fernwaffen geschossen haben.

Bisher gilt ein in der Nähe des nordöstlich von Hamburg gelegenen Ahrensburg ausgegrabener 12.000 Jahre alter Kiefernholz-Pfeil als ältester Nachweis solcher Waffen. Ein Team um Laure Metz von der Universität Aix-Marseille im französischen Aix-en-Provence will diese Steinzeit-Revolution  – die Erfindung einer leichten und trotzdem wirksamen Fernwaffe  – um gut 40.000 Jahre weiter in die Vergangenheit schieben.

In der Zeitschrift „Science Advances“ berichtet das Team von 852 Steinwerkzeuge, die sie im Eingang der Mandrin-Höhle über dem Rhône-Tal in Südfrankreich in einer rund 54.000 Jahre alten Schicht entdeckt haben. Während die Spitzen, Klingen und anderen Werkzeugen in den insgesamt elf darüber liegenden jüngeren und darunter liegenden älteren Schichten mit der typischen Neandertaler-Technik „Levallois“ hergestellt wurden, nutzten die Steinzeitmenschen vor 54.000 Jahren eine ganz andere Technologie, die „Neronian“ genannt wird.

9000 Jahre früher als andere

„Diese Technik ist bislang nur von einigen grob datierten, etwa 50.000 Jahre alten Fundstellen im unteren Rhônetal und seiner Umgebung bekannt“, erklärt Jean-Jacques Hublin. Der Paläoanthropologe vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der Elitehochschule Collège de France in Paris forscht selbst seit Jahrzehnten über frühe moderne Menschen und Neandertaler, war aber an der Arbeit nicht beteiligt.

Ergiebiger Fundort: Der Eingang zur Mandrin-Höhle in Südfrankreich

© Ludovic Slimak

Bereits vor einem Jahr hatte ein Team um Ludovic Slimak von einem einzelnen Zahn eines modernen Menschen berichtet, den es bei den Ausgrabungen der Mandrin-Höhle in der gleichen 54.000 Jahre alten Schicht wie die Neronian-Werkzeuge entdeckt hatte. In den älteren und jüngeren Schichten dagegen lagen neben vielen Moustérien-Neandertaler-Werkzeugen nur wenige Neandertaler-Fossilien. Die ältesten Spuren von modernen Menschen in Europa wiederum haben Jean-Jacques Hublin und sein Team im heutigen Bulgarien gefunden und auf ein Alter von ungefähr 45.000 Jahren datiert.

Auffällige Abbruchkanten

Handelte es sich bei den auffallenden Werkzeugen des Neronian also um das Werk von modernen Menschen, die vielleicht nur ein paar Jahre in einer Welt voller Neandertaler lebten und danach wieder verschwanden? Der freiberufliche Archäologe Alexander Binsteiner aus Tschechien hält es zwar für eine gewagte These, die Ankunft des modernen Menschen um rund 9000 Jahre vorzuverlegen. „Bei unserem durchaus lückenhaften Wissen über das Zusammentreffen von Neandertalern und frühen modernen Menschen sind allerdings auch Überraschungen drin“, sagt der Spezialist für Steinzeit-Werkzeuge, der an der Studie des Teams um Laure Metz nicht beteiligt war.

Unter den Exemplaren in der 54.000 Jahre alten Schicht tauchen auffallend viele Spitzen auf, von denen etliche einen Durchmesser von höchstens einem Zentimeter haben. Ähnlich dick dürften auch die Schäfte dieser Waffen gewesen sein, weil ein solches gleichmäßiges Projektil am besten in sein Ziel eindringt. Aus Untersuchungen an Naturvölkern, die noch in historischer Zeit mit Pfeil und Bogen jagten, ist bekannt, dass solche Dicken zu einem Pfeil passen.

Auf eine solche Verwendung deuten auch die Gebrauchsspuren auf den Steinspitzen hin: „Diese Spitzen wurden zweifellos gezielt von Steinen abgeschlagen“, erklärt Binsteiner die Produktionstechnik. „An diesen Spitzen wiederum sieht das geschulte Auge typische Spuren wie abgeschlagene Enden, die entstehen, wenn ein solche Geschoss auf einen harten Gegenstand wie zum Beispiel einen Knochen trifft.“

Wie solche Spitzen mit dem Schaft verbunden sind, konnte Alexander Binsteiner bei Untersuchungen an der ungefähr 5300 Jahre alten Steinzeitmumie „Ötzi“ sehen, die in einem Alpengletscher entdeckt worden war. „Ein Schäftungsdorn am stumpfen Ende der Pfeilspitze wurde in das Holz des Schaftes in eine vorpräparierte Kerbe gesteckt“, erklärt Binsteiner. „Mit Sehnen oder feinen Streifen aus Leder oder Bast wurde die Spitze dann festgebunden und das Ganze mit Birkenpech verklebt.“ Alternativ kann man die gerade Basis der Spitze in einen Schlitz im Pfeilschaft stecken und festbinden. „Birkenpech zum Verkleben gewinnt man aus Birkenrinde, die im Feuer nicht verbrennt, sondern nur schwelt“, führt Alexander Binsteiner weiter aus.

Als Laure Metz und ihr Team solche Pfeile für Experimente herstellten, entstanden bei Schüssen auf verschiedene Ziele in den Spitzen ähnliche Kerben und Schäden, wie sie auf 196 Funden aus der Mandrin-Höhle waren. Daraus schließt die Gruppe, dass es sich tatsächlich um Pfeilspitzen handeln könnte. „Wenn das Team dann noch Spuren von Birkenpech und Schäftungen an den Spitzen gefunden hätte, wäre der Nachweis von so alten Pfeilspitzen wasserdicht“, erklärt Alexander Binsteiner. Genau dieser Beweis aber fehlt.

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