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Es ist erklärtes politisches Ziel, die Zahl der Tierversuche zu reduzieren. Doch für Forschung und Entwicklung von Therapien werden sie gebraucht.

© dpa/jan-Peter Kasper

Rund 51.300 Tiere eingesetzt: An der Charité gehen Tierversuche kaum zurück

Es ist erklärtes politisches Ziel, die Zahl der Tierversuche zu reduzieren. Doch für Forschung und Entwicklung von Therapien werden sie gebraucht.

Die Charité-Universitätsmedizin Berlin meldet für das Jahr 2022 nur unwesentlich geringere Versuchstierzahlen als im Vorjahr: Für biomedizinische Forschungen seien 51.338 Tiere zum Einsatz gekommen, fast 93 Prozent davon Mäuse, 5,5 Prozent Ratten.

Das sind rund 4000 Tiere weniger als 2021 (56.228)*, aber selbst die Charité führt den leichten Rückgang auf „übliche Schwankungen“ zurück, die Größenordnung sei gleich geblieben. Auch das biomedizinische Max-Delbrück-Center in Berlin-Buch nutzt pro Jahr ähnlich viele Tiere (52.132 in 2021). In ganz Deutschland werden pro Jahr etwa 650.000 Tiere zu Forschungszwecken getötet (Stand 2020).

Eine erkennbare Wirkung des Vorhabens, Berlin zur „Hauptstadt der Erforschung von Alternativen zu Tierversuchen“ zu machen, wie im Koalitionsvertrag des jetzt scheidenden Rot-Grün-Roten Senats angestrebt, lässt damit ebenso auf sich warten wie ein Effekt der „Reduktionsstrategie“ für Tierversuche, die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung in Aussicht gestellt wird. Im Koalitionsvertrag der neuen Berliner Regierung von CDU und SPD kommt das Wort „Tierversuche“ nicht einmal vor.

Es sei der Bundesregierung zwar „ein wichtiges Anliegen, Tierversuche möglichst schnell durch Alternativmethoden zu ersetzen und die Anzahl verwendeter Versuchstiere zu reduzieren“, wie sie Ende Februar in einer Antwort auf eine Anfrage der AfD-Fraktion wissen ließ. Tatsächlich vorgelegt wurde die „Reduktionsstrategie“ allerdings noch immer nicht.

Tierversuche sind „unersetzbar“

Eine „Ausstiegsstrategie“ aus Tierversuchen, wie sie etwa die Bundes-Grünen in ihrem Wahlprogramm forderten, hält Stefan Hippenstiel, Leiter der Einrichtung zur Reduzierung von Tierversuchen „Charité 3R“, für derzeit nicht realistisch: „Tierversuche sind für die Weiterentwicklung der medizinischen Behandlungsmöglichkeiten derzeit noch unersetzbar“, sagte der Professor für Infektiologie und Pneumologie. „Deshalb ist es umso wichtiger, gezielt an Alternativen zu forschen, diese zu entwickeln und in Forschung, Diagnostik und Therapie zunehmend zu nutzen.“ Das werde bei „Charité 3R“ auf dreierlei Weise versucht:

  • Replace: das Ersetzen von Tierversuchen mithilfe alternativer Testmethoden, etwa Zellkulturen, Organoiden oder „Human on a chip“-Konzepten.
  • Reduce: das Reduzieren der Anzahl der Tierexperimente etwa über verbesserte statistische Methoden oder Vermeidung unnötiger Dopplungen durch frühzeitigen Informationsausstausch unter Forschungsgruppen.
  • Refine: soweit wie möglich die Belastung der Tiere vermeiden, etwa durch eine artgerechtere Haltung.

Zwei Millionen Euro wendet die Charité für dieses Programm jährlich auf, das sich einerseits um die Kommunikation und Aufklärung über Tierversuche bemüht, die Ausbildung in diesem Bereich fördert und drittens Forschungsansätze für alternative Methoden fördert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert ebenfalls eine 3R-Initiative mit fünf Millionen Euro pro Jahr.

Letztlich wird das Problem aber wohl nicht die Politik lösen können, sondern die Forschung muss Wege finden, etwa sicherheitsrelevante Tierversuche adäquat ersetzen zu können. Das ist nicht einfach: Denn bestimmte, etwa toxikologische Fragen, ob ein neues Medikament auf bestimmte Zellen förderlich oder schädlich wirkt, lassen sich zwar mit Zell- oder Gewebekulturen beantworten. Aber nicht jedes Gewebe des Menschen und schon gar nicht ihr Zusammenspiel in einem komplexen Körper lassen sich im Labor so gut nachempfinden, dass eine halbwegs sichere Aussage über Nutzen und Risiken eines Wirkstoffs möglich sind.

Und wenn es etwa um das Testen einer neuen Herzklappe geht, dann reicht auch ein aus Stammzellen gezüchtetes, herzähnliches Organoid nicht, um Operationen am Menschen zu verantworten. Dann müssen, auch an der Charité, mitunter Schweine als Testobjekte herangezogen werden.

Alternative Methoden jetzt offiziell möglich

Die Richtlinien der Arzneimittelzulassung in der Europäischen Union sehen aus solchen Gründen zwingend Tierversuche vor. Dass diese mittlerweile wenigstens teilweise durch alternative Methoden, die ihre Aussagekraft unter Beweis gestellt haben, ersetzt werden dürfen, hat die US-Zulassungsbehörde FDA erst vor kurzem überhaupt erlaubt: Der „FDA Modernization Act 2.0“ hob die Regelung auf, dass jeder neuartige Wirkstoff mindestens in zwei Species, in der Regel Mäuse und ein „höheres Säugetier“ (meist Kaninchen oder Affen) getestet werden mussten, bevor sie Menschen verabreicht werden durften.

An Geld, das für die Erforschung der Ersatzmethoden nötig ist, fehlt es jedoch, in den USA ebenso wie in der EU und Deutschland. Dabei würde es sich lohnen: Denn Forscher wissen, dass manche Wirkstoffe, die Mäusen schaden und daher aussortiert werden, Menschen womöglich nützen oder gar das Leben retten könnten. Mit einem „menschlicheren“ Testsystem wäre also auch dem Menschen, den Patienten, geholfen.

* Ein Tippfehler in den Zahlen wurde korrigiert, wir bitten das zu entschuldigen.

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