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Blick auf Kiruna und den Berg Kiirunavaara, von dem die Stadt ihren Namen hat.

© Imago/Derifo

Zur Geologie Skandinaviens: Im Land der Trolle und Seltenen Erden

In Nordschweden schlummern unentdeckte Bodenschätze, die Europa unabhängiger von China machen könnten. Warum ist gerade Skandinavien so reich an Rohstoffen? Eine kleine Reise in den Norden.

Es ist eine seltsame Sache mit den Himmelsrichtungen. Seit Goethe blicken die Deutschen nach Süden, diese Sehnsucht ist ihnen nicht auszutreiben – auch wenn die Klimaveränderungen dafür sorgen werden, dass Italien oder Spanien zumindest in den Sommermonaten kaum noch auszuhalten sind. Im Westen lag immer die Verheißung, sprich: Frankreich oder Amerika, dessen Anziehungskraft allerdings seit einigen Jahren, und nicht erst seit Donald Trump, nachlässt.

Nach Osten geht der Blick mit gemischten Gefühlen, zu groß und unheimlich ist die Landmasse, wo Deutsche monströse Verbrechen begangen haben, dann senkte sich lange der Eiserne Vorhang. Jetzt herrscht im Osten wieder Krieg, und wir entdecken die Ukraine – ein Land, dessen Grenzen wir nicht mal kannten – völlig neu.

Und der Norden? Auch der hat einen Sog entwickelt, eine eigene Romantik, vermutete man dort doch Ursprünglichkeit und Natürlichkeit, eine unangetastete Welt. Was einerseits ein heilloses Klischee ist, anderseits auch nicht ganz falsch, insofern die dünne Besiedelung von Ländern wie Schweden, Norwegen oder Finnland mit nur wenigen Metropolregionen der Natur fantastisch viel Raum lässt und nicht zuletzt der Wohlstand dort für stabile politische und soziale Systeme sorgt. Die Kälte übrigens könnte sich bald erledigt haben, im Zuge der Erderwärmung werden diese Länder künftig eher das Klima bekommen, das wir in Deutschland bisher hatten.

Unser Klischeebild von Schweden

© Imago/Westend61

Wir haben es hier jedenfalls, aller rote-Häuser- vor-felsiger-Landschaft-Romantik zum Trotz, mit hochmodernen Gesellschaften zu tun, deren Reichtum zu großen Teilen auf einer in Europa ziemlich einzigartigen Dichte von Bodenschätzen beruht. Diese könnte dabei helfen, die EU unabhängiger von China und Russland zu machen. Ein Blick auf die Geologie Skandinaviens lohnt sich also.

Europas geologische Kinderstube

Skandinavien ist alt. Es geht zurück auf den erdgeschichtlichen Kontinent Baltica, der vor 550 Millionen Jahren entstanden war und vor 440 Millionen Jahren mit Laurentia (grob gesagt, dem heutigen Nordamerika) kollidierte. Das war noch bevor die berühmte Pangäa entstand, in der alle Landmassen der Erde in einem Superkontinent vereint waren. Wer heute nach Skandinavien reist, blickt in die geologische Kinderstube Europas, denn dort liegt der erdgeschichtliche Kern des heutigen Kontinents relativ offen zutage.

Wobei der Begriff „Skandinavien“ unterschiedlich definiert wird, in der Regel sind damit die skandinavische Halbinsel (Norwegen und Schweden) sowie Dänemark gemeint, nicht aber Finnland. Geologisch hilft das nicht weiter, da muss man von Fennoskandinavien sprechen, also dem Gebiet, das zusätzlich auch Finnland und die russische Halbinsel Kola einschließt. Es wird auch „Baltischer Schild“ genannt.

Kollisionen zwischen Kontinenten begünstigen tendenziell die Formierung von Mineralien.

Erik Jonsson, Geologe an der Universität Uppsala

Dass diese Region heute eine so hohe Konzentration an Bodenschätzen, Mineralien und Seltenen Erden aufweist, hat auch mit eben dieser Tatsache zu tun: Dass sie geologisch so alt ist. Ähnliches trifft auch auf andere bedeutsame Abbaugebiete der Erde zu, in Kanada, Brasilien, Australien oder Kongo.

Zudem spielt das dynamische Geschehen zwischen den Kontinenten – das in der Gegenwart weiter anhält – eine Rolle. „Kollisionen wie die zwischen Baltica und Laurentia begünstigen tendenziell die Formierung von Mineralien“, erklärt Erik Jonsson, Geologe und Mineraloge an der Universität von Uppsala.

Innerhalb von Fennoskandinavien ist Norwegen ein Sonderfall, weil es im Unterschied zu den anderen nordischen Ländern zusätzlich zu den Mineralien auch reiche Öl- und Gasvorkommen im atlantischen Kontinentalschelf besitzt, im relativ flachen, von Wasser bedecktem Übergangsbereich von Land und Ozean. Dort befinden sich auch die entsprechenden Felsformationen in der Erdkruste, die das Erdöl „in Schach halten“, es also daran hindern, aufzusteigen. „Öl tendiert immer an die Oberfläche“, erklärt Jonsson, „und ohne diese natürliche Barriere würde es irgendwann einfach verschwinden.“

Schweden wiederum ist reich an Kupfer, Blei, Zink – und natürlich Eisenerz, wobei die Mine in Kiruna nur die bekannteste einer ganzen Reihe von Abbaugebieten ist. Auch rund 100 Kilometer südlich von Kiruna, in Gällivare, liegen bedeutende Vorkommen. Ein Blick auf Google Earth offenbart eindringlich die Spuren, die der Bergbau in der Landschaft hinterlässt. Sichtbar werden riesige, schlammige Abbauflächen, die größer sind als die dazugehörige Stadt.

Eine weitere besondere Formation befindet sich im Süden Schwedens in Norra Kärr („nördliches Moor“), grob auf der Höhe von Göteborg. Dort tritt sehr alter Fels mit hoher Konzentration an Seltenen Erden zutage und wird abgebaut.

Die nordischen Länder sind eine der vielversprechendsten Regionen in Europa zum Abbau von Metallen.

Erik Jonsson, Geologe an der Universität Uppsala

In Finnland finden sich kaum Seltene Erden, aber andere wertvolle Metalle. „In ihrer Gesamtheit sind die nordischen Länder eine der bedeutendsten und vielversprechendsten Regionen in Europa zur Erforschung und zum Abbau von Metallen“, sagt Erik Jonsson.

Die nördlichste Stadt Schwedens

Kiruna, die nördlichste Stadt Schwedens, existiert nur wegen der Mine. Die Geschichte des Ortes ist vergleichsweise kurz, sie umfasst nur 120 Jahre. Zwar war seit Mitte des 17. Jahrhunderts bekannt, dass unter den Bergen Kiirunavaara (von dem die Stadt ihren Namen hat) und Luossavaara reiche Erzvorkommen lagern – es handelt sich um die zweitstärkste magnetische Anomalie der Erde –, doch das vor 1,6 Milliarden Jahren entstandene Erz ist sehr phosphorhaltig; ein Verfahren zum Abbau wurde erst im 19. Jahrhunderts entwickelt.

Ein Blick über Kiruna.

© AFP/Jonathan Nackstrand

So entstand Kiruna erst um 1900. Eine wichtige Rolle dabei spielte der Bau der Erzbahn, in älteren deutschen Texten auch Ofotenbahn genannt, die vom schwedischen Luleå am Bottnischen Meerbusen, also an der Ostsee, über ein weiteres Erzabbaugebiet bei Gällivare und Kiruna über das Skandinavische Gebirge zum eisfreien Hafen von Narvik in Norwegen führt.

Kiruna war für die Nazis wichtig

Erst diese Bahnstrecke ermöglichte den Abtransport und die Verschiffung des Erzes, und sie war mit ein Grund, warum die Nazis Norwegen besetzten. Da das neutrale Schweden weiterhin Eisenerz ans Dritte Reich lieferte, war es für Hitler von größtem strategischen Interesse, Narvik und den Hafen zum Zugriff der Alliierten zu entziehen.

Heute hat Kiruna 17.000 Einwohner und gruppiert sich um die zentrale, touristisch interessante Holzkirche, die Architekt Gustaf Wieckmann 1912 in Nachahmung einer samischen Hütte errichtet hat – die Samen (veraltet Lappen) sind das indigene Volk des nördlichsten Europas. Besucher kommen auch wegen des Nordlichts oder dem Eishotel im benachbarten Jukkasjärvi.

Polarlicht im Norden Schwedens

© Imago/McPhoto

Überragt wird Kiruna von der gewaltigen Mine auf dem Kiirunavaara, während die Anlage auf dem Luossavaara stillgelegt ist. Das Unternehmen LKAB fördert jährlich 30 Millionen Tonnen Roherz, die Hauptsohle der Grube wandert immer weiter in die Tiefe. Lag sie um 1900 noch auf der Bergspitze, ist sie inzwischen rund 1500 Meter darunter angelangt. Man schätzt, dass das Ende des Flöz bei etwa zwei Kilometern erreicht sein wird. Aufsehen erregte jüngst die Meldung, dass LKAB unweit der Hauptmine, in der Lagerstätte „Per Geijer“, rund eine Million Tonnen Seltener Erden gefunden hat, etwa Ytrium, Scandium, Lanthan.

Wobei die Existenz dieser Metalle offenbar bekannt war, laut Erik Jonsson erschien 1931 die ersten Publikationen darüber. Wirklich „selten“ sind diese Erden übrigens nicht, Lanthan etwa soll in der Erdkruste 400-mal häufiger vorkommen als Silber, 10.000-mal häufiger als Gold. Allerdings treten sie nie in Reinform, sondern immer als Beimischung auf und müssen gelöst werden. Mit dem Abbau in Per Geijer kann erst in zehn bis 15 Jahren begonnen werden, so LKAB.

Bis dahin wird sich Kiruna bereits verändert haben. Die Stadt muss „wandern“, um vier Kilometer, da sie einsturzgefährdet ist, der Bergbau schreitet voran. Die Verlegung soll schrittweise geschehen und 100 Jahren dauern, bedeutende Gebäude wie die Kirche ziehen mit. Größere Proteste gegen die Pläne würde es nicht geben, so Erik Jonsson. Denn letztlich ist den meisten Bewohnern wohl bewusst: Die Mine gibt’s, die Mine nimmt’s. Ohne sie gäbe es die Stadt gar nicht.

Die Rohstoffe abbauen? Oder die Natur in Ruhe lassen?

Jede Medaille hat zwei Seiten. Wenn der Mensch die Schätze der Natur nutzt, ist damit fast immer Zerstörung verbunden, im Lausitzer Braunkohlerevier genauso wie in den nordschwedischen Erzminen. Auch die traditionelle Lebensweise der indigenen Sami wird durch den Bergbau beeinträchtigt, etwa durch gestörte Wanderrouten der Rentiere. „Solche Schäden werden in allen Genehmigungsprozessen habituell ignoriert“, erklärt Rasmus Kløcker Larsen, Senior Research Fellow am Stockholm Environment Institut (SEI).

Andererseits argumentiert ein Bericht für den Nordischen Ministerrat, der von Erik Jonsson mitverfasst worden ist, dass der Wandel zu nachhaltiger Lebensweise („Green Energy Transition“) nicht ohne die Metalle und Seltenen Erden, wie man sie in großer Zahl in Skandinavien findet, möglich sei. In Solarpanelen oder Autobatterien seien sie unerlässlich.

Dass die skandinavischen Bodenschätze in Demokratien liegen und nicht in Ländern, die autokratisch oder diktatorisch regiert werden, ist für Europa ein Segen, führt aber auch zu langen Abstimmungsprozessen. China ist nicht zuletzt deshalb führender Exporteur von Metallen und Seltenen Erden, weil es sich um Umweltbelange nicht schert.

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