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Juli Zeh

© dpa/Soeren Stache

Neues Kinderbuch von Juli Zeh über Justiz: „Das Recht wird ausgeblendet, dabei bestimmt es unser ganzes Leben“

Juli Zeh gehört zu Deutschlands meistgelesenen Schriftstellerinnen. Weniger bekannt ist, dass die Erfolgsautorin auch Kinderbücher schreibt. Ihr neuestes handelt vom deutschen Justizsystem.

Von Silke Sullivan

Wer in der Buchhandlung bei den Kinderbüchern stöbert, kann beim Blick auf die Autorennamen mitunter stutzig werden. Juli Zeh? Die Bestseller-Autorin? Tatsächlich – und das ist weniger bekannt – schreibt Zeh, die mit zeitkritischen Romanen wie „Unterleuten“ (2016), „Über Menschen“ (2021) und zuletzt „Zwischen Welten“ (2023) große Erfolge gefeiert hat, auch Bücher für Kinder. Für Zeh selbst schließt das eine das andere nicht aus, im Gegenteil. Am Donnerstag erscheint mit „Der war's“ ihr nun sechstes Kinderbuch.

Auf die Frage, wie sie dazu kam, auch für Kinder zu schreiben, antwortet Zeh, es liege für sie nahe. Als Kind habe sie gern gelesen und den Kinderbüchern von damals eine Menge zu verdanken. Seit sie selbst Mutter ist, Zeh hat zwei Kinder und lebt mit ihrer Familie in einem Dorf in Brandenburg, sei es für sie noch logischer.

Zeh ist selbst Juristin

„Der war's“ hat Zeh gemeinsam mit ihrer besten Freundin, der Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven, geschrieben. Es beschäftigt sich mit einem Thema, das den Autorinnen besonders vertraut ist: Am Beispiel einer Schulklasse zeigen sie, wie die Gesellschaft mit Recht und Gerechtigkeit umgeht. Zeh ist promovierte Juristin und arbeitet ehrenamtlich als Richterin am Verfassungsgericht in Potsdam.

Gleich nach Geliebtwerden ist gerechte Behandlung auf Platz zwei der emotionalen Bedürfnisse.

Juli Zeh

Die Idee sei entstanden, nachdem Hoven in einer Buchhandlung ein Kinderbuch gesucht habe, in dem es unter anderem um das deutsche Justizsystem geht, erzählt Zeh. Gefunden habe sie dazu nichts – dafür viel über Polizei, Feuerwehr, Bauernhof und Flughafen. „Das Recht wird irgendwie ausgeblendet, obwohl es doch unser aller Leben bestimmt, schon vom Tag der Geburt an und sogar noch davor.“ Dabei interessierten Kinder sich sehr für das Thema Gerechtigkeit. „Man könnte fast sagen: Gleich nach Geliebtwerden ist gerechte Behandlung auf Platz zwei der emotionalen Bedürfnisse.“

„Der war's“ erzählt eine spannende Geschichte, die das Problem der Rechtsfindung als etwas Alltägliches zeigt, das notwendig ist, um das Zusammenleben zu organisieren. In der 6a verschwinden plötzlich die Pausenbrote der beliebten Schülerin Marie. Schnell deutet alles auf den Klassenaußenseiter Konrad als Schuldigen hin. Fortan wird er gemobbt. Als es zum Äußersten kommt, merkt die Klasse: Um Gerechtigkeit zu erlangen, müssen sie den Fall anders lösen.

Der Geschichte schließt sich eine Art Glossar an, in dem die Autorinnen in leichter Sprache Fragen beantworten, wie Kinder sie stellen würden. Wer ermittelt? Was machen Staatsanwälte? Darf man vor Gericht lügen? Warum tragen Richter schwarze Umhänge? Das ist nicht nur für junge Leser und Leserinnen interessant.

Gesellschaftliche Fragen in Kinderbüchern

Ihr Ansatz beim Schreiben von Kinderbüchern unterscheide sich im Grunde nicht sehr stark von dem anderer Textsorten, erklärt Zeh. „Ich möchte immer Texte schreiben, die ich selbst richtig gerne lesen würde.“ Und die auch Probleme erfassen, die vom einzelnen Menschen erzählen, und auch „von der Welt, in der er lebt“.

Daraus ergebe sich automatisch, dass es auch in ihren Kinderbüchern um gesellschaftliche Fragen gehe. „Kinder leben ja genauso in der Gesellschaft wie Erwachsene, sie erleben die Auswirkungen davon vielleicht sogar manchmal noch intensiver.“

So taucht in „Der war's“ - wenn auch witzig verpackt - Kritik am deutschen Bildungssystem auf, mit Lehrermangel, Unterrichtsausfall und Technik-Defiziten. In der 6a fällt etwa der Mathe-Unterricht aus, weil die Vertretung des Vertretungslehrers nicht da ist. Dafür übernimmt die Fußpflegerin Frau Lukadu, die seit einigen Wochen an der Schule als Biologielehrerin tätig ist. Das klingt absurd.

Bei der Entwicklung von Geschichte und Figuren hätten sie und ihre Freundin sich daran orientiert, was sie selbst erfahren, erklärt Zeh. Ihre Kinder gehen auf die Grundschule, Hovens Mann unterrichtet an einem Gymnasium. „Wir hatten eine Fülle von absurden Episoden zur Verfügung, die wir auf witzige Weise verwenden können.“

Ihre Kritik richte sich nicht gegen die Arbeit von Lehrern, betont Zeh. „Wir nehmen eher eine Gesellschaft aufs Korn, die ständig das Wohl des Kindes in den Himmel lobt, aber dann nicht bereit ist, das Bildungssystem zu finanzieren.“ Sie empfinde das als „schlimme Heuchelei“ und „politischen Kardinalfehler“.

Ob sie bei der Arbeit am Buch auch Hilfe von ihren eigenen Kindern bekommen hat? „Oh ja, sehr viel“, erzählt Zeh. „Ich lese ihnen die Rohfassungen der Kapitel vor, und sie sagen, was ihnen daran gefällt und was sie blöd finden. Sie helfen mir, die Figuren realistisch zu machen, so, wie sie es aus ihrem Alltag kennen.“ Und auch bei der Frage, ob man zu schnell darauf komme, wie die Geschichte ausgeht.

Dass ihre Kinderbücher weniger Aufmerksamkeit erhielten als ihre Romane, findet Zeh nicht so schlimm. Das sei normal, mediale Kommunikation werde ja „hauptsächlich von Erwachsenen für Erwachsene“ gemacht. „Kinder kommen dort eher am Rande vor.“ Doch es habe ihrer Ansicht nach Vorteile, wenn die Bedürfnisse von Kindern, und auch die Bücher, die sie lesen, nicht ständig Teil des öffentlichen Gesprächs sind. Das schaffe eine Art Schutzraum. Und das sei „gar nicht so schlecht“. (dpa)

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