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Thorsten S. wurde in der Nacht zu Sonnabend in Berlin-Schöneberg am Nollendorfplatz attackiert.

© privat/twitter.com

„Schwuchtel, schwuler Möchtegern“: Wie Thorsten S. kurz vor dem Berliner CSD im queeren Kiez attackiert wurde

Er war in der Nacht zu Sonnabend auf dem Heimweg. Dann zückte er sein Handy, weil er queerfeindlich beleidigt wurde. Eine Frau und zwei Männer griffen ihn an.

Schwuchtel, Schwuli, kleiner Schwanz, Schwulatzki, schwuler Möchtegern – so wurde Thorsten S. in der Nacht zu Sonnabend beschimpft und beleidigt, einige Stunden vor der Demonstration zum Christopher Street Day (CSD) in Berlin.

Tatort war der Nollendorfplatz in Schöneberg, mitten im queeren Kiez von Berlin. S. war mit Freunden in einem Lokal, wollte nach Hause, dann gingen sie am Theater Metropol vorbei, aus einem Auto heraus soll eine Frau sie als Schwulis und Schwuchteln beleidigt haben. S. sagte ihr erst, sie solle das lassen. Doch sie machte weiter, S. holte sein Handy hervor und filmte alles.

Nach einem Stoß prallte er mit dem Kopf gegen einen Baum

Die 33-Jährige soll dann aus dem Auto gestiegen sein und ihn attackiert haben. Zu sehen ist auf dem Videomaterial, wie sie minutenlang versucht, ihm das Handy zu entreißen und ihn schlägt. Dann seien „zwei mutmaßlich arabisch aussehende“ junge Männer dazugekommen, die ihm ebenfalls mehrmals ins Gesicht geschlagen hätten, berichtet S. Auch das ist im Video zu sehen.

Nach einem Stoß verlor er das Gleichgewicht, ging zu Boden und prallte mit dem Kopf gegen einen Baum. Die Platzwunde musste im Krankenhaus versorgt werden und war noch am Sonntag angeschwollen. In einer Mitteilung der Polizei heißt es dazu, der 44-Jährige habe lediglich „einen hinter ihm befindlichen Baum berührt“ und „dabei Hautabschürfungen am Kopf“ erlitten.

Ich bin in Neukölln verwurzelt, aber viele meiner Freunde sind weggezogen, weil sie die homophoben Attacken dort nicht mehr aushalten.

Thorsten S.

Als S. wieder auf die Füße kam und laut um Hilfe rief, flüchteten die beiden Angreifer zu Fuß. So ist es auch auf dem Videomaterial zu sehen. Die Polizei erklärte, die beiden Männer seien weder der Angreiferin noch den beiden Begleitern des 44-Jährigen aufgefallen. S. widerspricht der Darstellung der Polizei. Seine Begleiter hätten die beiden Angreifer ebenso gesehen.

Polizei ermittelt wegen Körperverletzung und homophober Beleidigung

Der Staatsschutz beim Landeskriminalamt ermittelt nun in drei Fällen von Körperverletzung: gegen die geflüchteten Angreifer, gegen die 33-Jährige auch wegen homophober Beleidigung, aber außerdem gegen S., weil er sich gewehrt hatte. Die Polizei erklärte: „Die 33-Jährige wiederum gab den Einsatzkräften gegenüber an, von dem 44-Jährigen geschlagen worden zu sein, während dieser die Situation mit seinem Handy gefilmt habe.“

Thorsten S. wohnt seit 15 Jahren in Neukölln. „Ich bin in Neukölln verwurzelt, aber viele meiner Freunde sind weggezogen, weil sie die homophoben Attacken dort nicht mehr aushalten“, erklärt der 44-Jährige. Wie andere Opfer homophober Attacken weiß auch S. aus Erfahrung, dass viele Angreifer in Neukölln arabischstämmige Jugendliche sind. S., der sich als politisch links einordnet, sagt: „Wir müssen darüber reden und die Probleme benennen, ohne dass das jemand gleich als rassistisch brandmarkt. Denn das Thema darf man nicht fremdenfeindlichen Rechten überlassen.“

Zwei Tage nach der Attacke ist der 44-Jährige immer noch erschüttert, weil die Attacken auf queere Menschen nicht abreißen. Allein seit Anfang Juli und bis zum CSD am Sonnabend meldete die Polizei fünf homophobe Attacken in Berlin. Weitere queerfeindliche Attacken folgten – auch am CSD.

  • Kurz vor dem CSD gab es am Freitagabend auch in Pankow einen queerfeindlichen Angriff: Ein 53-jähriger S-Bahn-Fahrgast wurde von männlichen Jugendlichen beleidigt und geschlagen.
  • Am Samstagmittag soll ein Mann am U-Bahnhof Yorckstraße in Schöneberg einen 30-Jährigen erst am Aussteigen aus einer S-Bahn gehindert, ihn dann aus dem Zug gezogen und am Hals gepackt haben. Der Attackierte sei leicht verletzt, sein T-Shirt zerrissen worden. Vor der Attacke soll sich der Angreifer in der U7 am Telefon laut und homophob über CSD-Teilnehmer geäußert haben.
  • Mutmaßliche Rechtsextremisten der Partei „Der Dritte Weg“ brachten am Abend des CSD am Geländer des Gebäudekomplexes am Fernsehturm in Mitte ein 15 Meter langes Banner an. Darauf stand „Homo = Volkstod“ sowie die Ziffer „III“. Das Landkriminalamt ermittelt wegen Volksverhetzung. Die Täter flohen unerkannt.
  • Am Abend sind laut Polizei in Alt-Hohenschönhausen zwei 23- und 34-jährige Frauen und eine 19-jährige Transfrau, die als CSD-Teilnehmerinnen erkennbar waren, von Jugendlichen verfolgt, gefilmt, homophob beleidigt und angespuckt worden.

Nach dem CSD sprachen Polizei und Veranstalter trotz allem am Sonntag von einem insgesamt friedlichen Verlauf. Laut Polizei gab es 84 Strafanzeigen. Das sei bei einer Menge von mehreren hunderttausend Teilnehmern nichts Außergewöhnliches, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag.

Registriert wurden 22 einfache und vier gefährliche Körperverletzungen, sechs Fälle von Widerstand gegen Beamte, fünf Drogendelikte und fünf Beleidigungen. Bei der „Internationalistischen Queer Pride“ der linken Szene am Sonnabend in Neukölln und Kreuzberg haben Teilnehmer israelfeindliche Parolen gerufen.

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