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Der Spiegel änderte ein Zitat Selenskyjs über Bundeskanzler Scholz (Archivbild).

© imago/UPI Photo/Ukrainian Presidential Press Office/Uncredited

Update

„Ich muss ihn zwingen“: „Spiegel“ ändert brisantes Zitat von Selenskyj über Scholz nachträglich

Eine Schlüssel-Aussage des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über Bundeskanzler Olaf Scholz im „Spiegel“ liest sich jetzt diplomatischer. Eine ungenaue Übersetzung soll schuld sein.

| Update:

Ein „Spiegel“-Interview mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat am Donnerstag die brüchige deutsch-ukrainische Beziehung in den Fokus gerückt. In einer ersten Version zitierte das Nachrichtenmagazin den Staatschef mit den Worten: „Ich muss ihn zwingen, der Ukraine zu helfen und ihn ständig überzeugen, dass diese Hilfe nicht für uns ist, sondern für die Europäer.“ Mit „ihn“ war Bundeskanzler Olaf Scholz gemeint.

Kurze Zeit später änderte der „Spiegel“ die Passage und sprach von einer ungenauen Übersetzung. Jetzt liest sich die entsprechende Passage im Interview so: „Ich muss Druck machen, der Ukraine zu helfen und ihn ständig überzeugen, dass diese Hilfe nicht für uns ist, sondern für die Europäer.“ Aus „zwingen“ wurde „Druck machen“, ein erheblicher Unterschied in der Bedeutung.

Unter dem Interview findet sich inzwischen ein Hinweis: „Im ukrainischen Original fehlte im ersten Teil des Satzes das Personalpronomen ‚ihn‘ vor dem Verb ‚zwingen‘, deshalb haben wir diesen Satz im Sinne einer genaueren Übersetzung nachträglich geändert.“

Eine „Spiegel“-Sprecherin erklärt gegenüber dem Tagesspiegel: „Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat im Interview auf Ukrainisch im exakten Wortlaut in Bezug auf Olaf Scholz gesagt: ‘Ich muss zwingen [sic], der Ukraine zu helfen und ihn ständig überzeugen, dass diese Hilfe nicht für uns ist, sondern für die Europäer.’“ 

Das Vorgehen sorgt für Verwunderung. „Dass @derspiegel einen solch brisanten Satz falsch hat übersetzen lassen, und damit dafür sorgt, dass Selenskyj als undankbarer Präsident ggü Deutschland dasteht, ist ziemlicher Wahnsinn“, twitterte Paul Ronzheimer, stellvertretender Chefredakteur der Bild, am Donnerstagabend.

Wann die Anpassung der besagten Stelle erfolgte, ist nicht genau nachvollziehbar. Eine erste Version des Interviews wurde laut dem „Internet Archive“ bereits um 13.57 Uhr veröffentlicht – der aktuelle Zeitstempel lautet 9. Februar, 15.37 Uhr.

Noch um 15.06 Uhr verschickte die Nachrichtenagentur dpa eine Meldung an die deutschen Redaktionen mit dem Titel „Selenskyj: Ich muss Scholz zwingen, der Ukraine zu helfen“ und zitiert darin das „Spiegel“-Interview. Etwa anderthalb Stunden später schickt auch die AFP eine Agentur – allerdings mit dem bereits geänderten Zitat.

Die Änderung muss also irgendwann in den ersten zweieinhalb Stunden nach Veröffentlichung des Interviews erfolgt sein. Wann genau beantwortete der Spiegel auf Tagesspiegel-Anfrage nicht. Auch nicht, wann genau der Hinweis auf die Veränderung im Text unter dem Text erschien.

„Le Figaro“ zitierte Selenskyj diplomatischer

Die „Spiegel“-Sprecherin erklärte gegenüber dem Tagesspiegel: Der Korrekturhinweis unter dem Text sei „kurz“ nach der Änderung angebracht worden. „Das von anderen Medien abgewandelt verbreitete Zitat ‘Ich muss Scholz zwingen, der Ukraine zu helfen’ hat der „Spiegel“ allerdings nie veröffentlicht“, erklärt sie weiter.

Die französische Tageszeitung „Le Figaro“, die das Interview gemeinsam mit dem deutschen Nachrichtenmagazin führte, zitierte Selenskyj von Beginn an diplomatischer: „Meine Aufgabe ist es, die westlichen Länder dazu zu bringen, uns zu helfen. Denn es geht nicht nur um uns ... Die Europäer müssen verstehen, dass sie, wenn sie uns helfen, auch ihnen helfen. Das sage ich allen Staatsoberhäuptern, die den Krieg schnell beenden wollen, weil sie Angst haben, dass er auf ihr Territorium übergreift.“

Im Kanzleramt in Berlin sieht man den Übersetzungsfehler offenbar nicht so eng. Man habe „in keiner Weise“ nach der Veröffentlichung des Interviews interveniert, zitiert die „Bild“ einen Sprecher. (Tsp mit dpa/AFP)

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