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Ein Bild, das sich durch das gesamte Buch zieht, ist das Meer wie hier im Libanon.

© imago images/VWPics

Buch „Ein Tor zum Meer“ von Khaled Alesmael: Was Schwule in der arabischen Welt erleben

In seinem zweiten Roman „Ein Tor zum Meer“ skizziert Khaled Alesmael die Schicksale schwuler arabischer Männer. Inspiriert wurde er von wahren Geschichten.

Am Beginn steht ein Brief. Ein Brief, in dem ein schwuler Mann aus Damaskus seine Geschichte erzählt und den Adressaten bittet, diese zu veröffentlichen. Es geht um seine Flucht aus Syrien, seine Flucht vor der eigenen Sexualität und die Scham als schwuler Mann in einer streng religiösen Familie aufzuwachsen. Und er erzählt von der Flucht vor seinem Peiniger.

Empfänger ist der aus Syrien stammende Autor Khaled Alesmael, der den Brief zum Anlass für sein zweites Buch nimmt. Schrieb Alesmael in seinem Debütroman „Selamlik“ noch über die eigenen Fluchterfahrungen, skizziert er in „Ein Tor zum Meer“ nun die Schicksale zehn weiterer schwuler arabischer Männer aus Ländern wie dem Libanon, Syrien, Irak und Marokko.

„Ein Tor zum Meer“ von Khaled Alesmael, 2022, Albino Verlag, 208 Seiten, 22 Euro.

© Albinon Verlag

Einige hat Alesmael, der inzwischen in London lebt, auf seiner Flucht aus Syrien interviewt, andere kamen nach Veröffentlichung seines Debütromans selbst auf ihn zu. All das Material, das Alesmael über die Jahre gesammelt hat, arbeitet er poetisch auf und lässt dabei die Grenzen zwischen Fakten und Fiktion verschwimmen. Dadurch gelingt ihm ein einzigartiges Werk, das von Schicksalen erzählt, die anderenfalls unsichtbar geblieben wären.

Alesmael schildert den Einmarsch des IS ins kurdische Ar-Raqqa aus Sicht eines Mannes, der sich gerne schminkt und Kleider trägt, schreibt über queere Liebe inmitten des Krieges und legt zugleich offen, mit wie viel Gewalt die Kindheit vieler Männer verbunden ist. Ein Bild, das sich durch das gesamte Buch zieht , ist das Meer: Vom Freiheitsgefühl der Fische im Meer, über den Meeresweg nach Europa bis hin zu den nackten Oberkörper der Fischer am Strand, die bei einem Protagonisten das erste sexuelle Begehren wecken.

Der Titel des Buches „Ein Tor zum Meer“ bezieht sich auf das Hammam Bab al-Bahr in der Innenstadt Kairos. Den queeren Treffpunkt beschreibt Alesmael als stinkenden unwirtlichen Ort, der zugleich jedoch Zuflucht bietet - ein unbekanntes Meer, in das man für einige Stunden abtauchen und sich selbst verwirklich kann. „Um sie selbst sein zu können, müssen Schwule sich am schmutzigsten Ort Kairos baden.“ Mit wie viel Gefahr der Besuch solcher Räume einhergeht, wird im selben Kapitel deutlich, als die ägyptische Polizei das Hammam stürmt und einige Männer festnimmt.

Die ständige Bedrohung schwingt auf jeder Buchseite mit. Etwa wenn die beiden jungen Männer Semiramis und Tariq sich heimlich im Keller küssen, während der Boden Bagdads von Bomben erschüttert wird; oder zwei geflüchtete Männer sich mitten in Venedig plötzlich in den Armen halten und küssen, damit die vorbeigehenden Polizisten sie nicht für Geflüchtete, sondern für Touristen halten.

An einigen Stellen werden auch die Gesetze aufgegriffen, die queere Menschen kriminalisieren und teilweise sogar mit dem Tode bestrafen. Einer der Protagonisten entscheidet sich dennoch, seinem Liebhaber nach Saudi-Arabien hinterher zu reisen und stößt dort sogar auf eine kleine queere Community.

Denn so gewaltvoll und schmerzvoll die Erfahrungen der Männer sind, so kraftvoll sind die Bilder die Alesmael ihnen entgegensetzt. Bilder von zaghaften Berührungen, vorsichtigen Neuanfängen und Akten der Befreiung. Mit diesem fiktionalen Sachbuch wolle er das Publikum nicht im Unklaren darüber lassen, was real und was nicht real ist, schreibt er selbst im Epilog.

Vielmehr wolle er seine Leser*innen dazu einladen, sich auszumalen, was wäre, wenn er einer dieser Figuren wäre. Und das gelingt Alesmael: Er führt sie so nah an die Protagonisten heran, dass sie selbst einen kleinen Blick auf das erhaschen können, was sich hinter dem Tor zum Meer verbirgt.

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