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Loreen hat für Schweden zum zweiten Mal die ESC-Trophäe gewonnen.

© AFP/OLI SCARFF

Schweden siegt, Deutschland wieder ESC-Letzter: Die schönsten und peinlichsten Momente des Eurovision Song Contest

Die schwedische Loreen gewinnt zum zweiten Mal und ist nun endgültig eine ESC-Ikone. Der deutsche Beitrag hingegen kommt mal wieder gar nicht gut an

Sängerin Loreen aus Schweden hat den Eurovision Song Contest 2023 gewonnen. Es ist nach 2012 der zweite Sieg für sie. Das hat bislang nur der Ire Johnny Logan geschafft. Schon nach der Punktevergabe der internationalen Jurys lag Schweden mit 340 Punkten deutlich vorne, am Ende waren es 583 Punkte zum Sieg.

Knapp geschlagen wurde Finnland mit 526 Punkten. Deren Vertreter Käärijä hatte sich in den Tagen zuvor zum Geheimfavoriten gemausert. Seine skurrile Tanzperfomance im neongrünen Bolero kam in Europa gut an.

Ebenfalls stark: Israel mit Noa Kirel auf Platz drei und Marco Mengoni aus Italien mit der stärksten Ballade des Wettbewerbs auf Platz vier.

Es war ein denkwürdiger und besonderer ESC, in dem mit der Ukraine ein Vorjahressieger zum ersten Mal wegen eines Krieges den Wettbewerb nicht ausrichten konnte. Großbritannien war als Zweitplatzierter eingesprungen. Zum ersten Mal richteten damit zwei Länder gemeinsam den Wettbewerb aus.

Für den starken Elektro-R’n’B-Beitrag von Tvorchi für Vorjahressieger Ukraine reichte es am Ende zu einem starken sechsten Platz, dabei waren ihnen auch Außenseiterchancen zugeschrieben worden.

Sänger Jeffrey Kenny des ukrainischen Beitrags Tvorchi.

© AFP/PAUL ELLIS

Die britischen Gastgeber gaben sich wie schon in den Halbfinals viel Mühe, den Ukrainern gerecht zu werden. Kalush Orchestra eröffneten die Show, dazu gab es bei der Flaggenparade ein Medley erfolgreicher ukrainischer ESC-Vertreter. Hin und wieder kamen auch kurze Moderationen auf Ukrainisch. Doch all das täuscht natürlich nicht darüber hinweg, dass ein Wettbewerb in Kiew, Odessa oder Lwiw gerechter und würdevoller gewesen wäre.

Herausragend war die Stimmung in der Arena. Die Briten (und auch die vielen internationalen Fans) sorgten für eine Atmosphäre wie in einem Fußballstadion.

No politics!

Jeder weiß, der ESC findet in diesem Jahr nur in Liverpool statt, weil in der Ukraine ein russischer Angriffskrieg herrscht. Trotzdem sind klare politische Statements unerwünscht. So durfte auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kein Grußwort sprechen. So muss man sich fragen: Ist es schon politisch, wenn Ukrainisch gesprochen oder gesungen wird?

Gerade mal zwei Songs im Finale haben sich deutlicher mit dem Thema Krieg beschäftigt. Beim jungen Remo Forrer aus der Schweiz sprangen aber weder Emotionen noch Botschaft über. Zu platt auch der Text: „Ich möchte kein Soldat sein.“ Das reichte für Platz 20.

Eindeutiger war die Botschaft bei Kroatien – bei aller Skurrilität des Auftritts. Der Frontsänger als in Pink gekleidete Führerfigur, der am Ende des Auftritts, wie auch seine Mitläufer, in Feinripp-Unterwäsche dasteht. Die Absurdität des kriegerischen. Dazu ein Text, der wie kaum ein anderer im Vorfeld analysiert wurde. „Mama küsste eine Idioten“: Steht das etwa für „Mutter Russland“ und Putin? Am Ende gab es Platz 13.

Let 3 aus Kroatien setze als einer der wenigen Beiträge ein politisches Zeichen. Wenn auch ein skurriles.

© REUTERS/Phil Noble

Auch die Beiträge beim ESC sind immer stärker geprägt von ihrer Nutzbarkeit in sozialen Medien. Dramaturgische Wechsel mitten im Song zum Beispiel. Manch Song, zum Beispiel aus Frankreich oder Armenien, begann als Ballade und wandelte sich doch noch zur Up-Tempo-Nummer. Hinzu kommen Dancemoves und Handbewegungen, die gut in sozialen Medien genutzt werden können. Zum Beispiel die Einhorn-Geste aus Israel oder das Winken der Britin Mae Muller oder der Polin Blanka.

Ein anderer kleiner Trend: Songs über female empowerment. Polen, Tschechien, Norwegen und Israel, sie alle sangen über die Kraft der Frauen. Und bei den Auftritten war Sängerinnen leicht in der Überzahl.

Die größte Dramaqueen

Wie viel spanische Seele man in einen Auftritt legen kann, bewies Blanca Paloma. Ihr in blutroten Anzügen vorgetragener Neo-Flamenco soll eigentlich eine Art Schlaflied sein. Aber das Kind, das umringt von dramatisch singenden und rhythmisch klatschenden Frauen einschläft, statt sich vor Angst in die Hose zu machen, möchte man mal sehen. Es klang eher nach: Sei froh, wenn du morgen früh wieder aufwachst.

Der unheimlichste Auftritt

Eine Zombie-Apokalypse im Weltraum? Ein kichernder Rächer im Dartagnan-Hemd? Oder doch alles nur ein Computerspiel? Der Auftritt des Serben Luke Black wirkte beängstigend und befremdlich zugleich. Jedenfalls nahm man ihm den Astronauten tötenden Helden nicht ab. Offenbar sollte hier die Geschichte auf der Bühne in den Vordergrund gerückt werden. Manchmal kann weniger auch echt mehr sein. Er landete auf Platz 24.

Der Auftritt von Luke Black aus Serbien hinterließ viele Fragezeichen.

© IMAGO/TT/IMAGO/Jessica Gow/TT

Weniger unheimlich, trotzdem gewöhnungsbedürftig, war der Auftritt aus Albanien. Eigentlich dachte man, solche Familien-Auftritte gehören in der durchprofessionalisierten ESC-Welt der Vergangenheit an. Irgendwie auch schön, dass es nicht so ist. Aber wie die albanischen Kardashians – bestehend aus Frontsängerin Albina, ihren Eltern, ihrem Bruder und ihren Schwestern – da auf der Bühne standen, wirkten sie doch etwas verloren. Ein schöner Familienausflug war es bestimmt trotzdem. Am Ende war es Platz 22.

Albanischer Familienausflug zum ESC: Albina und Familja Kelmendi.

© IMAGO/TT/IMAGO/Jessica Gow/TT

Und schließlich Moldau, deren Bühnenshow aussah, wie die eines postapokalyptischen Naturvolks. Dazu ein kleinwüchsiger Flötenspieler, bei dem das ungute Gefühl blieb, dass er als exotisches Element herhalten musste.

Merkwürdige Texte

Der ESC ist eine wahre Fundgrube für zweifelhafte Lyrics. Kleine Kostprobe? „Da ist ein Geist in meinem Körper und der ist Lyriker“, berichteten die beiden Österreicherinnen. Luke Black aus Serbien wollte lieber ins Bett: „Ich will einfach nur schlafen“.

Finnlands Käärijä flüchtet sich in teuren Alkohol. „Die Welt macht mir keine Angst mehr, wenn ich mich mit Champagner übergieße“. Mae Muller aus Großbritannien hat zumindest eine gesündere Strategie, mit Frust umzugehen: „Stattdessen habe ich ein Lied geschrieben“.

Und Pasha Parfeni aus Moldau weiß, wie man Frauen rumkriegt: „Ich habe so lange für sie gesungen, bis sie mich küssen wollte.“ Wahrscheinlich, damit er endlich ruhig ist.

Schiefe Töne

Nicht immer lief an diesem Abend alles glatt und nicht jede Sängerin traf jeden Ton. Gleich zu Beginn hatten die beiden Österreicherinnen Teya und Salena vielleicht mit der Aufregung zu kämpfen, aber stimmliche Schwächen konnten sie nicht verbergen. Und auch Mae Muller aus Großbritannien hatte sich bei ihrem Auftritt ein, zwei Mal im Ton vergriffen.

Der Fremdschäm-Moment

Was sollte bloß diese Frau, die während einer Moderation von Hannah Waddingham im Hintergrund offensichtlich Lust dabei empfand, Butter in einem Fass zu stampfen? Wahrscheinlich war es ukrainische Folklore, die hier auf britischen Humor traf.

ESC meets Football

Man merkte schon, warum viele Fußballvereine neidisch auf den FC Liverpool und seine Stadionhymne sind. Denn auch auf der ESC-Bühne verfehlte „You’ll never walk alone“ seine Wirkung nicht.

Als frühere Eurovision-Stars, die Moderatorinnen und die gesamte Halle einstimmten, hatte der Abend seinen emotionalen Höhepunkt erreicht. Plötzlich war alles vereinigt: das Gefühl, Teil etwas Großen zu sein, das niemanden ausschließt und die Hoffnung auf eine friedlichere Welt.

Das beste ESC-Duo

Hannah Waddingham und Graham Norton waren die heimlichen Stars des Abends.

© AFP/OLI SCARFF

Selten gab es ein Moderatorenteam, das so gut harmonierte wie Hannah Waddingham und Graham Norton. Beide bringen die richtige Mischung aus Spontaneität, Ironie und Hemmungslosigkeit mit, die es für einen ESC eigentlich braucht.

„Herzlich willkommen in den alten Docks von Liverpool. Der perfekte Ort für so ein altes Wrack wie mir“, scherzte Norton gleich zu Beginn. Hannah sorgte mit ihrem ansteckenden Lachen und spontanen Tanzeinlagen für Stimmung. Man wusste schon, warum die beiden am Schluss die Punktevergabe durchführten. Die Mitmoderatorinnen Julija Sanina und Alesha Dixon fielen deutlich ab.

Die schönste ESC-Ankündigung

Luxemburg is back! 30 Jahre nach der bislang letzten Teilnahme, wird das kleine Land im Herzen Europas im kommenden Jahr wieder teilnehmen. Bis heute ist Luxemburg eines der erfolgreichsten Länder bei ESC, mit fünf Siegen.

Dafür gab es von Moderator Graham Norton auch liebe Worte an eine in Deutschland gut bekannte ehemalige Siegerin: „Vicky Leandros, wir haben dich nie vergessen.“ Stimmt.

Und Deutschland?

Lord Of The Lost sorgten in der Liverpooler Arena immerhin für Stimmung.

© AFP/PAUL ELLIS

Als eine der wenigen Bands interagierten Lord of the Lost mit dem Publikum in der Halle. Das kam gut an. Ohnehin machten sich die Hamburger in Liverpool mit ihrer freundlichen und offenen Art viele Freunde. Von den internationalen Jurys gab es allerdings nur dürftige drei Punkte – ein Dank an Island und Tschechien. Immerhin drei Punkte mehr als im vergangenen Jahr.

Von den internationalen Zuschauern gab es dann noch ebenso enttäuschende 15 Punkte dazu. Das bedeute erneut: letzter Platz. Wieder einmal wird also diskutiert werden, warum der deutsche Beitrag beim Publikum nicht ankam und was im nächsten Jahr besser werden muss.

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