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Polens Wahl wird zur Richtungsentscheidung zwischen dem nationalen und dem liberalen Lager.

© Imago/NurPhoto/Beata Zawrzel

Angst vor illegaler Migration, höherem Rentenalter: Wie Polens Regierungspartei ihre Anhänger mobilisiert

Die PiS-Partei nutzt für ihren Wahlkampf die Ängste vieler Polen, womit sie schon 2015 und 2019 gewonnen ha. Ihre Botschaften verkleidet sie als Fragen, auf die es nur eine Antwort geben kann.

Polens Regierungspartei PiS enthüllt ihre Wahlkampfstrategie, als handele es sich um die Türchen eines Adventskalenders: jeden Tag ein neuer Inhalt. Ihre Botschaften verkleidet sie als Fragen. Es sind jedoch Suggestivfragen, auf die es nur eine Antwort geben kann – wie bei der ironisch gemeinten Alternative: „Lieber reich und gesund oder arm und krank?“

So will die PiS die polnische Parlamentswahl am 15. Oktober zu einem Referendum über vier Fragen machen. Sie möchte eine Volksbefragung parallel zur Wahl der Abgeordneten und Senatoren abhalten.

In den vergangenen vier Tagen hat die PiS täglich eine Frage von einer prominenten Parteigröße vorstellen lassen. Die Rollenzuteilung dabei ist klar: Die PiS steht für das gesunde und reiche Polen. Das liberale Oppositionslager Platforma Obywatelska (PO, deutsch: Bürgerplattform) unter Führung von Donald Tusk für die Gegenvariante: arm und krank. Tusk war von 2007 bis 2014 Regierungschef und dann fünf Jahre Präsident des Europäischen Rats.

Kampagne gegen Verfall der Moral in der EU

Die PiS appelliert direkt an die Ängste vieler Menschen, womit sie schon die Wahlen 2015 und 2019 gewonnen hat, ergänzt um die neuen Sorgen wegen des Kriegs im Nachbarland Ukraine: Ängste vor illegaler Migration, vor Sittenverfall durch eine angeblich fehlgeleitete Toleranz im verkommenen Westeuropa, vor sozialen Härten durch längere Lebensarbeitszeit und vor Konflikten mit den östlichen Nachbarn, akut mit Belarus nach Verlegung der russischen Wagner-Söldner dorthin.

Die erste Frage hatte Parteichef Jaroslaw Kaczynski am Freitag präsentiert: „Bist du für den Ausverkauf der Staatsbetriebe?“ Kaczynski und Regierungschef Mateusz Morawiecki insinuierten Korruptionsskandale bei den Privatisierungen in der Regierungszeit von Tusk. Die PO solle Rechenschaft ablegen, wo die Milliarden aus Privatisierungserlösen geblieben seien.

Diese Strategie ist nicht ohne Risiko. Die PiS hat in ihren acht Regierungsjahren eine Reihe eigener Skandale angesammelt. Tusk nutzte den Vorwurf zum Gegenangriff. Die PiS solle ihren Premier Morawiecki fragen; der sei damals Chef einer der größten Banken Polens gewesen. „Schau doch mal auf deinen Privatkonten nach, du warst doch eifrig bei der Privatisierung dabei“, ätzte Tusk.   

Bist du für die Aufnahme Tausender illegaler Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika, die uns die EU mit dem Zwangsmechanismus der Verteilung aufdrücken will?

Dritte Referendumsfrage, vorgestellt von Premier Mateusz Morawiecki.

Die zweite Frage, die Ex-Regierungschefin Beata Szydlo am Samstag vorstellte, ist für die Opposition problematischer: „Bist du für die Erhöhung des Renteneintrittsalters, das heute bei 60 Jahren für Frauen und 65 Jahren für Männer liegt?“ Tusk hatte 2012 die schrittweise Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre durchgesetzt, wie sie auch Deutschland praktiziert. Die PiS hatte sie rückgängig gemacht.

Die dritte Frage formulierte Premier Morawiecki am Sonntag: „Bist du für die Aufnahme Tausender illegaler Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika, die uns die EU mit dem Zwangsmechanismus der Verteilung aufdrücken will?“

Das Thema ist heikel für Tusk. Er hatte der Verteilung von Migranten in den EU-Ländern zugestimmt und gewarnt, wenn Polen nicht mitmache, werde das Konsequenzen haben. Die unkontrollierte Migrationswelle 2015 hatte der PiS geholfen, die Wahl damals zu gewinnen.

Die EU war mehrfach mit Anläufen zur verpflichtenden Verteilung gescheitert und hatte erst kürzlich eine Reform beschlossen. Unter anderem müssen Mitgliedsstaaten entweder Migranten aufnehmen oder können sich durch Zahlung von 20.000 Euro pro Kopf der auf sie entfallenden Migrantenzahl freikaufen. Polen und Ungarn haben dagegen gestimmt. Derzeit ist unklar, wie Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine – in Polens Fall zwischen ein und zwei Millionen Menschen – angerechnet werden.

Die vierte Frage stellte am Montag Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak vor: „Bist du für den Abbau der Grenzanlagen zwischen Polen und Belarus?“ Sie suggeriert fälschlich, die Opposition wolle die Stahlbarrieren wieder abbauen, die die PiS 2021 errichtet hatte. Damals ließ der belarussische Machthaber Aleksandr Lukaschenko Migranten aus dem Nahen Osten einfliegen und schickte sie in Massen an die Grenze, um Druck auf die EU auszuüben.

Hinzu kommt die Angst vor militärischen Provokationen an Polens Ostgrenze, nachdem Wagner-Söldner nach dem gescheiterten Umsturzversuch gegen Wladimir Putin nach Belarus verlegt worden waren. Kürzlich hatte Blaszczak mehrere Tausend Soldaten zusätzlich an diesen Teil der Nato-Ostgrenze beordert.

Die Opposition möchte mit Hinweisen auf die hohe Inflation und die sich verschlechternde Wirtschaftslage punkten.

Nach aktuellen Umfragen ist der Ausgang der Wahl offen. In der Mehrzahl der Erhebungen bleibt die PiS stärkste politische Kraft, braucht aber einen Koalitionspartner zum Regieren, voraussichtlich die nationalistische Partei Konfederacja. Eine Minderheit von Umfragen sieht eine Mehrheit für die heutigen Oppositionskräfte. Sie reichen von der konservativen Bauernpartei über die liberale PO bis zur Vereinigten Linken.

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