zum Hauptinhalt
Bundeskanzler Olaf Scholz (l, SPD) wird vom Kronprinzen des Königreichs Saudi-Arabien Mohammed bin Salman im Al-Salam-Palast empfangen.

© Foto: dpa/Kay Nietfeld

„Saudischer Weg“ gegen westliche Softpower: Ist Deutschland auf die neuen Machtzentren am Golf vorbereitet?

Die Golfstaaten gewinnen als geostrategische Partner zunehmend an Bedeutung. Ihr Selbstbewusstsein stellt den Westen vor Probleme. Ein Vorwurf lautet: Doppelmoral.

Ein Gastbeitrag von Bruno Schmidt-Feuerheerd

Die Golfstaaten sind zunehmend wichtige Energielieferanten und strategische Partner für Deutschland und Europa. Saudi-Arabien organisierte jüngst eine internationale Konferenz zur Beendigung des Ukraine-Krieges. Anfang Juni ernannte die EU erstmals einen EU-Sonderbeauftragten für die Golfregion in Person von Luigi Di Maio, um die strategische Partnerschaft zu stärken.

Die Bundesregierung zeigt ebenfalls gesteigertes Interesse an der Region durch Besuche von Bundeskanzler Olaf Scholz sowie von Annalena Baerbock und Robert Habeck. Doch sind Deutschland und die EU auf diese Partnerschaft vorbereitet? Und wie stellen sich die Golfstaaten diese Beziehung vor?

Die arabischen Golfsaaten, allen voran Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), treten international mit einem neuen Selbstbewusstsein und nationalistischer Rhetorik auf, die deutsche und EU-Politikerinnen vor bisher unbekannte Probleme stellen.

Es handelt sich um grundlegende Verschiebungen, die die Wahrnehmung der eigenen Rolle in der Welt sowie der Beziehungen zu westlichen Staaten auf absehbare Zeit bestimmen werden.

In der Außenpolitik zeigt sich das neue Selbstbewusstsein in der Emanzipation von westlichen Normen, um die eigenen nationalen Interessen als Leitlinien der Außenpolitik zu etablieren. Damit machten die westlichen Staaten kürzlich eine schmerzhafte Bekanntschaft.

Zu Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Februar 2022 weigerten sich die Golfstaaten, die westlichen Sanktionen mitzutragen oder Druck auf Russland über OPEC+ auszuüben. Die Golfstaaten sehen ihre Interessen am besten dadurch gewahrt, sich nicht dem westlichen Lager anzuschließen – auch wenn die USA der wichtigste externe Partner bleiben – sondern weiterhin Beziehungen mit Russland zu unterhalten.

Frustration über westliche Doppelmoral

Es besteht vor Ort eine Frustration über westliche Doppelmoral. Ein Krieg in Europa, so der Vorwurf, werde zu einem globalen Problem erhoben wird, während saudische und emiratische Sicherheitsinteressen kaum Beachtung in westlichen Hauptstädten finden.

Riad und Abu Dhabi fühlten sich wiederholt alleingelassen – beispielsweise beim Nuklear-Abkommen mit dem Iran 2015, das sie ablehnten, oder bei militärischen Angriffen durch den Iran oder die jemenitischen Houthis, auf welche die USA nicht militärisch reagierten. Dies setzte Anreize für eine stärkere Autonomie in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Ein Blick in die Gesellschaft zeigt, dass es nicht nur um kurzfristige oder ausschließlich außenpolitische Veränderungen handelt. Patriotische und nationalistische Diskurse sind in beiden Ländern inzwischen dominant. In Gesprächen bringen saudische Kultur- und Medienschaffende eine tiefe Unzufriedenheit mit der Doppelmoral in westlichen Öffentlichkeiten zum Ausdruck.

Ein „saudischer Weg“ zeichnet sich ab

Warum predigen die USA die Menschenrechte, während die amerikanischen Innenstädte Menschen zu Tausenden in die Obdachlosigkeit und Drogenabhängigkeit rutschen lassen? Ein gutes Beispiel für das neue Selbstbewusstsein war die Corona-Pandemie, die beide Staaten durch robuste und effektive Maßnahmen überstanden.

Es ist eine in der Bevölkerung nun verbreitete Annahme, dass ihre politischen Systeme deutlich leistungsfähiger als „zahnlose“ Demokratien seien, aber gleichzeitig weniger repressiv als China. Der „saudische Weg“ als goldener Mittelweg. Das gibt Grund zur Annahme, dass die westliche Softpower an Strahlkraft verloren hat.

Eine demokratische Legitimität, die sich auf prozessuale Elemente beschränkt, wird global nur ein kleines Publikum finden.

Mit One-Love-Binde brüskieren, aber Gas kaufen

Wie kann die deutsche und europäische Politik darauf reagieren? Es wäre für eine wertegebundene Außenpolitik im Sinne der Strategiefähigkeit erstrebenswert, moralische Ansprüche und Rhetorik in Einklang mit den politischen Zielen zu bringen.

Anstatt die lokale Bevölkerung durch plakative Maßnahmen wie die One-Love Binde bei der Weltmeisterschaft in Kater zu brüskieren, aber gleichzeitig im großen Stil Gas einzukaufen, kann ein liberaler Wertekatalog im diplomatischen Prozess als Richtwert für westliche Exporte dienen.

In der Außen- und Sicherheitspolitik wäre es ratsam, legitime Sicherheitsbedürfnisse stärker in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, hat doch das Ignorieren der Stimmen aus Riad und Abu Dhabi beim Abschluss des Nuklear-Abkommens 2015 entscheidend zur Abkehr der Außen- und Sicherheitspolitik von westlichen Staaten beigetragen.

Vielleicht bestünde dadurch auch die Möglichkeit, dass Saudi-Arabien und die VAE sich im Ukraine-Krieg bewegen.

Um auch die Bevölkerung vor Ort zu erreichen, wäre die Stärkung der strategischen Kommunikation erstrebenswert. Schließlich zählt die arabische Version von Russia Today zu den beliebtesten Fernsehsendern in den Golfstaaten. Die deutschen und europäischen Positionen dringen daher nicht immer zur Bevölkerung durch.

Die Förderung von Auftritten deutscher Diplomatinnen im arabischen Fernsehen könnte dazu beitragen, die deutsche Perspektive wieder zu stärken, gegen Vorwürfe zu verteidigen und verzerrte Darstellungen zu korrigieren.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false