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Das Gebiet rund um den Tatort in Ankara wurde weiträumig abgesperrt.

© dpa/Ali Unal

Update

Nach PKK-Selbstmordattentat in Ankara: Türkei greift Ziele in den kurdischen Gebieten im Nordirak an

Am Sonntagmorgen sprengte sich ein Mann in der Nähe des Parlaments in die Luft, wo Erdogan kurz darauf sprechen sollte. Die PKK bekannte sich zu dem Anschlag.

| Update:

Wenige Stunden nach dem Bombenanschlag in Ankara hat das türkische Militär Luftangriffe im Nordirak geflogen. Dabei sei „eine große Zahl von Terroristen neutralisiert“ worden, teilte das Verteidigungsministerium am Sonntagabend mit.

Die Angriffe hätten der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und anderen „terroristischen Elementen“ gegolten. Das Ministerium berief sich auf das Recht zur Selbstverteidigung. Die PKK hat ihr Hauptquartier in den nordirakischen Kandil-Bergen.

Zuvor waren am Sonntagmorgen im Regierungsviertel der türkischen Hauptstadt Ankara zwei Männer mit einem grauen Kleintransporter vor dem Innenministerium vorgefahren. Als der Wagen hielt, stürmte einer der Männer mit einem Gewehr auf den Eingang des Ministeriums zu, schoss und sprengte sich mit einer Bombe in die Luft. Der zweite Mann eröffnete das Feuer vom Auto aus und wurde vom Wachpersonal erschossen.

Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach von einem Terroranschlag – nur Stunden vor der Eröffnung des Parlaments, das sich erstmals nach seiner dreimonatigen Sommerpause wenige hundert Meter vom Tatort entfernt versammelte.

Bekennerschreiben der PKK aufgetaucht

Wer hinter dem Anschlag steckte, war nach der Explosion um 09.30 Uhr Ortszeit (08.30 Uhr MESZ) zunächst unklar. Am frühen Abend wurde schließlich bekannt, dass die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK die Drahtzieherin des Bombenanschlags ist. „Gegen das türkische Innenministerium wurde von einem Team, das unserer Brigade der Unsterblichen untersteht, eine Opferaktion verübt“, teilte die PKK der kurdischen Nachrichtenagentur ANF mit.

Die Agentur steht der PKK nahe. Sie zitierte zudem aus einem Bericht der HPG, dem militärischen Arm der PKK. Demnach war die Aktion eine Reaktion auf das Vorgehen der Türkei in kurdischen Gebieten.

Beim letzten schweren Anschlag in der Türkei starben im vorigen November sechs Menschen durch eine Bombe in einer Istanbuler Einkaufsstraße. Damals macht die Regierung die kurdische Terrororganisation PKK für die Gewalt verantwortlich; die PKK bestritt, etwas mit dem Anschlag zu tun zu haben. In den vergangenen Jahren hatten auch Extremisten des Islamischen Staates (IS) und Linksextremisten Anschläge in der Türkei verübt.

Erdogan sollte am Sonntag im Parlament sprechen

Fotos vom Explosionsort in Ankara zeigten eine Panzerfaust, die neben dem zerstörten Wagen auf der Straße lag. Der Kleintransporter gehörte einer Tierarzt-Klinik im zentralanatolischen Kayseri; der Wagen sei gestohlen und der Inhaber der Firma ermordet worden, teilte die Polizei mit. Ein verdächtiges Paket in der Nähe wurde von der Polizei gesprengt.

Das Parlament blieb trotz des Anschlags bei seinem Programm. Erdogan sagte in seiner Eröffnungsrede, der Anschlag im Regierungsviertel sei „das letzte Zucken“ des Terrorismus in der Türkei gewesen. Die Terroristen würden niemals ihre Ziele erreichen.

Der Konflikt zwischen PKK und dem türkischen Staat dauert seit Jahrzehten an und ihm sind bisher Tausende Menschen zum Opfer gefallen. Ankara geht in der Südosttürkei und im Nordirak regelmäßig mit Militäreinsätzen gegen die PKK vor. Diese wiederum verübt immer wieder Anschläge vor allem auf türkische Sicherheitskräfte.

Es kommen aber auch Zivilisten dabei ums Leben. Die Türkei wirft der PKK vor, mit Terror die nationale Sicherheit und Einheit zu gefährden. Die PKK argumentiert, sie kämpfe unter anderem für die „Rechte der Kurden“ und gegen Unterdrückung. 2015 war ein Friedensprozess zwischen Türkei und PKK gescheitert.

Parlament muss über Nato-Beitritt von Schweden entscheiden

Zu den Aufgaben des Parlaments in den kommenden Wochen gehört die Entscheidung über den schwedischen Antrag auf den Beitritt zur Nato. Erdogan sprach das Thema in seiner Rede nicht an.

Ankara wirft Schweden vor, Regierungsgegnern, unter anderem kurdischen, Schutz zu gewähren und anti-islamische Aktionen wie Koran-Verbrennungen zu tolerieren. Stockholm hat seine Anti-Terror-Gesetze verschärft, um der Türkei entgegenzukommen.

Einige Tage vor der Parlamentseröffnung hatte er gesagt, er strebe einen politischen Tauschhandel mit den USA an: Ankara werde dem schwedischen Nato-Beitritt zustimmen, wenn die Führungsmacht Amerika grünes Licht für die Lieferung von Kampfflugzeugen an die Türkei gebe, so wie sie es versprochen habe.

Ankara werde dem schwedischen Nato-Beitritt zustimmen, wenn die USA grünes Licht für die Lieferung von Kampfflugzeugen an die Türkei gebe, so wie sie es versprochen habe, sagte Recep Tayyip Erdogan wenige Tage vor der Parlamentseröffnung. 
Ankara werde dem schwedischen Nato-Beitritt zustimmen, wenn die USA grünes Licht für die Lieferung von Kampfflugzeugen an die Türkei gebe, so wie sie es versprochen habe, sagte Recep Tayyip Erdogan wenige Tage vor der Parlamentseröffnung. 

© AFP/Adem Altan

Führende Politiker aus Erdogans Regierungspartei AKP gaben sich trotzdem skeptisch: „Wir sind nicht überzeugt“, sagte Fuat Oktay, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Parlament, zum schwedischen Antrag. Die AKP und ihre rechtsnationale Bündnispartnerin MHP haben in der Volksvertretung die Mehrheit und können die Ratifizierung beschleunigen oder verschleppen.

Erdogan hatte den Nato-Partnern im Juli beim Gipfel in Vilnius versprochen, den Weg zur Ratifizierung freizumachen, nachdem US-Präsident Joe Biden zusagte, im Kongress um Zustimmung für die Lieferung von F-16-Kampfjets an die Türkei zu werben; Ankara bemüht sich seit zwei Jahren vergeblich um 40 neue Kampfflugzeuge und 79 Modernisierungs-Pakete für ältere Maschinen.

Ben Cardin, Nachfolger von Menendez als Chef des Senatsausschusses, hat nach eigenen Angaben bereits Zusagen der türkischen Seite für eine Ratifizierung in der ersten Oktober-Hälfte erhalten. Danach sei „das Nato-Problem erledigt“, sagte Cardin vor Journalisten in Washington.

Aber vielleicht nicht das F-16-Problem. Cardin sagte auch, dass seine Zustimmung zu der Lieferung der F-16 nicht allein von einer Lösung im Streit um Schwedens Nato-Beitritt abhänge. Auch andere Themen wie die Menschenrechtslage in der Türkei und das Verhältnis zwischen der Türkei und Griechenland müssten besprochen werden.

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