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AFP journalist Arman Soldin wurde vom Schrappnel einer russischen Rakete getötet

© AFP/Handout via Reuters/Bulent Kilic

Tod eines AFP-Reporters in der Ukraine: Wo die Besten unserer Generation sterben – und warum wir weitermachen

Der AFP-Journalist Arman Soldin wurde am Dienstag in der Ukraine von einer Rakete tödlich getroffen. Ein persönlicher Nachruf eines befreundeten Kriegsreporters.

„Arman ist tot“. Es sind nur drei Worte, die ich und eine kleine Gruppe von Journalisten bekommen, kurz nachdem unser Freund Arman Soldin im Alter von 32 Jahren am Dienstag gestorben ist. Soldin arbeitete für die französische Nachrichtenagentur AFP als Videoreporter in der Ukraine. Wie Soldin war auch ich seit Kriegsbeginn immer wieder als Reporter dort.

Unsere Aufgabe ist es, über Krieg und Zerstörung zu schreiben, aber jetzt sind die Worte nur noch klägliche, unzusammenhängende Brocken. Bekannte sagen mir, dass der erste Tod eines Freundes der schlimmste ist.

Der Krieg hat Arman sein Leben lang begleitet. Geboren in Sarajevo, ein Jahr bevor der Bosnienkrieg Anfang der 90er Jahre Jugoslawien überrollte, fanden er und seine Familie Zuflucht in Frankreich.

Neben seiner Muttersprache Bosnisch sprach er bald fließend Französisch, Englisch und Italienisch, wobei ihm die slawische Sprache bei seiner Berichterstattung aus der Ukraine zugutekam.

Den Beschuss in Bachmut beschrieb er als „puren Terror“

Von Beginn des Krieges an berichtete Arman aus den Außenbezirken Kiews und verfolgte den Kriegsverlauf im Osten bis in den Donbass, wo wir uns in Kramatorsk zum ersten Mal trafen.

Extreme Umstände bringen das Beste und das Schlimmste im Menschen zum Vorschein. An der ukrainischen Front waren Armans fröhliche Art und sein Lachen ablenkende und tröstende Elemente.

Die Welt der Kriegsberichterstattung kann auch in Egomanie und Konkurrenzdenken abgleiten – Informationen über die nächste Story werden behandelt wie Gold. Aber Arman gehörte nicht zu diesen Journalisten.

Arman Soldin (links) am 29. April im Donbass.

© AFP/Dimitar Dilkoff

Informationen über die sichersten Routen oder darüber, was er und sein Team im Laufe des Tages gesehen und getan hatten, kamen dagegen so selbstverständlich wie sein häufiges Lächeln und Schulterklopfen. Wir liebten ihn dafür. Er sah uns als ein Team, obwohl wir für verschiedene Medien arbeiteten.

In der Stadt wo er einem Igel das Leben rettet, stirbt Arman

Unsere Arbeit verband uns: Wir Kriegsberichterstatter haben kein medizinisches Wissen; wir können Verwundete nicht heilen. Wir haben keine militärische Erfahrung, wir können nicht kämpfen. Aber wir können Geschichten erzählen, die sonst in Vergessenheit geraten würden – wir können schreiben.

Armans Arbeit führte ihn an viele Orte an der Front in der Ukraine, an einige der umkämpftesten und gefährlichsten Orte. Er machte sich keine Illusionen über die Gefahr, in der er sich befand, und Beinaheunfälle – einige, in denen der Tod nah war – gehörten zu seiner Arbeit.

Arman Soldin in einem Schützengraben in der Ukraine.

© Reuters/AFP/Twitter

Selbst in der größten Gefahr hatte er noch einen Blick für die vermeintlich kleinen Dinge im Krieg. Vor zwei Wochen erzählte er der Welt in einem Video von einem Igel, den er und sein Team während ihrer Reportage gefunden und wieder aufgepäppelt hatten. Sein Name: Luck the Hedgehog.

Durch eine Laune des Schicksals rettete Arman den Igel Luck in der gleichen Kleinstadt, in der er selbst nur zwei Wochen später sein Leben verlieren sollte.

Arman war innerhalb von zwei Minuten tot

Am 1. Mai schrieb er über seine Erfahrungen unter Beschuss während eines Einsatzes in der Nähe von Bachmut im Donbass. Er beschrieb den Beschuss durch russische Raketen als „puren Terror“ und „einen der schlimmsten Momente, die ich je erlebt habe“.

Die genauen Umstände von Armans Tod werden sicherlich in den nächsten Tagen bekannt werden. Bisher ist nur bekannt, dass eine russische Rakete irgendwo in der Nähe von Tschassiw Jar, einer Kleinstadt drei Meilen westlich von Bachmut, eingeschlagen ist.

Die Rakete landete zwei Meter von der Stelle entfernt, an der Arman stand. Ein Schrapnell der Detonation durchbohrte seinen Körper an der Seite. Man sagte uns, dass er innerhalb von zwei Minuten tot war.

Ich versuche mir vorzustellen, was ich Arman bei unserem letzten Treffen gesagt hätte, wenn ich gewusst hätte, dass ich ihn nie wieder sehen würde. Was hätten wir zusammen unternommen?

Wir hätten wohl das gemacht, was wir immer getan haben – wir hätten in einer feuchten, verrauchten Bar in Kiew über den Verlauf des Krieges geredet oder in einem Hotel irgendwo im Donbass bei einem Schluck billigen Whisky auf eine Landkarte gestarrt.

Ändert Armans Tod etwas?

Nach seinem Tod habe ich auch zwei Gläser mit Whiskey gefüllt, eins für mich, eins für ihn. Unsere gemeinsamen Bekannten, Freunde, haben genau dasselbe getan, wie ich erfahre.

Wir haben uns mit einem Drink getröstet, auch wenn wir weit voneinander entfernt sind. Arman hätte das gefallen, denke ich.

„Ändert Armans Tod etwas?“, hat mich ein Journalist gefragt. Wohl kaum.

„Warum berichtet ihr weiter, obwohl die Gefahr offensichtlich so groß ist?“ Jetzt, wo einer der großen Kriegsberichterstatter aus der Ukraine nicht mehr da ist, müssen wir die Lücke in der Berichterstattung füllen.

Armin Soldin am 3. März in einem Dorf nahe der Front in der Ukraine.

© AFP/Aris Messinis

Russlands Einmarsch in die Ukraine und der Krieg, in dem Arman getötet wurde, haben nicht aufgehört. Warum sollten wir aufhören?

Ernest Hemingway, einer der bedeutendsten Kriegsberichterstatter des 20. Jahrhunderts, soll einmal gesagt haben: „Das Leben eines jeden Menschen endet auf dieselbe Weise. Es sind nur die Details, wie er gelebt hat und wie er gestorben ist, die einen Menschen vom anderen unterscheiden.“

Das Zitat mag kitschig und aus der Zeit gefallen sein, aber es ist wahr. Wie Arman starb, wenn auch gewaltsam und unerwartet, spielt keine Rolle.

Das, was Arman aus seinem Leben gemacht hat, so kurz es auch war, stellt ihn in das Pantheon der Kriegsberichterstatter, die bei dem gefallen sind, was sie immer getan haben – Zeugnis ablegen, die Wahrheit aufdecken und Geschichten erzählen, die sonst für die Welt verloren gegangen wären.

Ein Sohn, geboren in einem Krieg, kehrt zurück, gefallen in einem anderen. Ruhe in Frieden, Bruder.

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