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US-Präsident Joe Biden wandte sich am Donnerstagabend aus dem Oval Office an das amerikanische Volk.

© Reuters/Jonathan Ernst/Pool

Biden hält Ansprache an die Nation: „Amerikanische Führung ist das, was die Welt zusammenhält“

Vor dem EU-USA-Gipfel an diesem Freitag betonen Joe Biden und Ursula von der Leyen den Zusammenhang der Kriege in Israel und der Ukraine. Der US-Präsident erhofft sich Rückenwind für weitere Hilfspakete.

Der erste EU-USA-Gipfel seit zwei Jahren war zu einem Zeitpunkt geplant worden, als der Krieg in der Ukraine noch die größte internationale Krise darstellte. Bei dem Treffen von US-Präsident Joe Biden mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel an diesem Freitag sollte es eigentlich vor allem um Handelsstreitigkeiten gehen.

Aber seit dem 7. Oktober, als Hamas-Angreifer ganz Israel terrorisierten, hat sich ein weiterer Krisenherd nach oben auf die Agenda der westlichen Allianz katapultiert. Der Nahe Osten ist zwar alles andere als ein neuer Krisenherd. Aber die Geschwindigkeit, mit der sich die Eskalationsspirale weiterdreht, ist atemberaubend.

Der Krieg in Israel überschattet auch das Treffen im Weißen Haus: Die Handelsstreitigkeiten sind nicht mehr Priorität.

Die Geschichte hat uns gelehrt, dass, wenn Terroristen keinen Preis für ihren Terror zahlen, wenn Diktatoren keinen Preis für ihre Aggressionen zahlen, dies zu mehr Chaos, Tod und Zerstörung führt.

US-Präsident Joe Biden

Die Gleichzeitigkeit der Krisen fordert den Westen wie lange nicht. Und sie bringt einen US-Präsidenten zum Vorschein, der klar und unmissverständlich für seine Überzeugungen eintritt, der seinen Bürgern klarzumachen versucht, dass die Lösung dieser Krisen in ihrem eigenen Interesse ist. Ob das gelingt, ist offen. In Umfragen äußern viele Amerikaner Zweifel an der Rolle ihres Landes als Hüter der globalen Ordnung.

Überzeugungsarbeit soll nun unter anderem durch den offen demonstrierten transatlantischen Schulterschluss geleistet werden. Fast wortgleich warben Biden und von der Leyen am Vortag ihres Treffens in Washington dafür, gegen die Feinde der Freiheit zusammenzustehen.

Der US-Präsident sagte am Abend (Ortszeit) bei seiner überhaupt erst zweiten Fernsehansprache aus dem Oval Office: „Die Hamas und (der russische Präsident Wladimir) Putin stellen unterschiedliche Bedrohungen dar. Aber sie teilen dies: Beide wollen ihre demokratischen Nachbarn komplett auslöschen.“

Manche würden infrage stellen, dass dies das nationale Sicherheitsinteresse der Amerikaner berühre, so Biden. Diesen Menschen sage er: „Die Geschichte hat uns gelehrt, dass, wenn Terroristen keinen Preis für ihren Terror zahlen, wenn Diktatoren keinen Preis für ihre Aggressionen zahlen, dies zu mehr Chaos, Tod und Zerstörung führt.“ Aggressoren überall auf der Welt, „vor allem der Iran im Nahen Osten“, würden ermutigt, wenn Russland in der Ukraine siegen würde. Biden bezeichnete die Unterstützung der USA für ihre beide großen Verbündeten, Israel und die Ukraine, als entscheidend. „Amerikanische Führung ist das, was die Welt zusammenhält. Amerikanische Allianzen geben uns, Amerika, Sicherheit“, sagte Biden.

Von der Leyen spricht von „barbarischer Kriegsführung“

Wenige Stunde zuvor hatte von der Leyen bei einer Rede im Washingtoner Hudson Institute ebenfalls betont, wie sehr die beiden Krisen zusammengehören – und dass die atlantische Allianz darauf gemeinsame Antworten geben müsse. Die Ukrainer verteidigten seit mehr als 600 Tagen ihre Freiheit gegen die russischen Aggressoren. „Und jetzt musste Israel die schlimmsten Terroranschläge in seiner Geschichte und die schlimmsten Morde an Juden seit dem Holocaust erleiden.“

Wladimir Putin will die Ukraine von der Landkarte tilgen. Die Hamas, unterstützt vom Iran, will Israel auslöschen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

Auch von der Leyen sagte: „Russland und die Hamas sind sich sehr ähnlich.“ Beide hätten gezielt unschuldige Zivilisten getötet und entführt, darunter Babys und Kinder. „Das ist eine barbarische Kriegsführung.“

Die zwei Krisen verlangten von Amerika und Europa, Stellung zu beziehen und zusammenzustehen, sagte die Kommissionspräsidentin weiter. „Wladimir Putin will die Ukraine von der Landkarte tilgen. Die Hamas, unterstützt vom Iran, will Israel auslöschen.“ Wenn die Demokratie nicht beschützt werde, so von der Leyen, werde sich der Horror ausbreiten.

Hinter diesen konzertierten Appellen steckt auch die Sorge, dass der Krieg in Israel, der durch einen offenbar bevorstehenden Einmarsch in den Gazastreifen weiter angeheizt werden könnte, den in der Ukraine in den Hintergrund drängt. Zum Beispiel bei der Frage, wer wann welche Munition geliefert bekommt.

Biden will 105 Milliarden Dollar vom Kongress

Schon vor den Anschlägen wuchs die Zahl der Republikaner im US-Kongress, die sich gegen weitere Unterstützung für die Ukraine aussprechen und den dortigen Krieg als vorwiegend europäisches Problem darstellen. Dass der Sprecher des Repräsentantenhauses, der Republikaner Kevin McCarthy, von Hardlinern seiner eigenen Fraktion gestürzt wurde, hatte viel damit zu tun. Die Kongresskammer ist nun bereits seit mehr als zwei Wochen führungslos.

Ganz konkret soll die direkte Verbindung zwischen den beiden Kriegen Biden nun dabei helfen, weitere Ukraine-Hilfen bewilligt zu bekommen. An diesem Freitag, so kündigte der US-Präsident in seiner 15-minütigen Ansprache an, werde er seine Bitte um ein neues, 105 Milliarden Dollar umfassendes Hilfspaket an den Kongress schicken. Darin sollen 60 Milliarden Dollar für die Ukraine und 14 Milliarden für Israel enthalten sein – und 14 Milliarden für die Sicherung der US-Grenze zu Mexiko, ein wichtiges Anliegen der Republikaner.

Der Parteienstreit zuhause, so Biden, dürfe Amerika nicht davon abhalten, seine Führungsrolle auszuüben. Die Unterstützung der Ukraine und Israels sei notwendig für globale Stabilität – und im Interesse Amerikas.

Ursula von der Leyen (Mutte), Präsidentin der Europäischen Kommission, besuchte am vergangenen Freitag den Kibbuz Kfar Aza in Israel.

© dpa/Bea Bar Kallos

Sowohl Biden als auch von der Leyen versuchten, das Argument zu machen, dass es bei beiden Kriegen darum geht, die Demokratie gegen ihre Feinde zu verteidigen. Beide haben die ukrainische Hauptstadt Kiew seit Kriegsbeginn besucht. Und beide waren nach den Anschlägen in Israel: Der US-Präsident flog am Mittwoch nach Tel Aviv, von der Leyen besuchte am vergangenen Freitag das Kibbuz Kfar Aza.

Biden zeigte sich sichtlich bewegt nach den Gesprächen mit Angehörigen der Opfer. Und auch von der Leyen betonte am Donnerstag, sie habe den Horror mit eigenen Augen gesehen – und eine Nation unter Schock erlebt.

Wir stehen zu Israel.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

Applaus von der Zuhörerschaft des konservativen Thinktanks bekam sie vor allem für die Aussage: „Angesichts dieses Horrors kann es von demokratischen Nationen wie unseren nur eine einzig mögliche Antwort geben: Wir stehen zu Israel.“

Von der Leyen fügte hinzu, es sei kein Widerspruch, solidarisch mit Israel zu sein und gleichzeitig der Zivilbevölkerung in Gaza humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. Die EU habe ihre humanitäre Unterstützung für Gaza verdreifacht. Denn auch das palästinensische Volk leide unter dem Terror der Hamas. Eine Aussage, die der US-Präsident ebenfalls mehrfach tätigte.

Kompetenzgerangel zwischen von der Leyen und Michel

Von der Leyens Reise nach Israel und dass sie sofort das Selbstverteidigungsrecht des jüdischen Staates verteidigte, ohne gleichzeitig die Einhaltung des Völkerrechts anzumahnen, hatte zuletzt zu einigem Unmut in Brüssel geführt – und zu Kompetenzstreitigkeiten über die Frage, wer die europäische Außenpolitik vertritt. EU-Ratspräsident Michel, der Außenbeauftragte Josep Borrell und andere kritisierten von der Leyens Äußerungen als einseitige Parteinahme für Israel.

Michel lobte am Donnerstagmittag bei einem Pressegespräch die Fortschritte, die bei Bidens Besuch in Israel erreicht wurden. Der US-Präsident hatte auf dem Rückflug angekündigt, dass der ägyptische Präsident Abdel Fattah al Sisi ihm bei einem Telefonat zugesagt habe, „bis zu 20 Laster“ mit Hilfsgütern über den geschlossenen Grenzübergang Rafah nach Gaza zu lassen.

Am Samstag will Michel selbst nach Ägypten reisen. Dabei werde er auch mit Präsident al Sisi zusammentreffen, kündigte er an. Die Ägypter bräuchten Unterstützung bei der Bewältigung der drohenden Flüchtlingsströme aus dem Gazastreifen.

Laut von der Leyen will die EU ihr Engagement in der Region nochmals verdoppeln. Denn das Risiko, dass die Krise die ganze Region entflamme, sei real. „Und das ist genau das, was die Hamas sich erhofft hatte.“

Aber eine Eskalation sei nicht unabwendbar, sagte von der Leyen. In dieser Kriegs-Zeit müsse auf diplomatischem Wege alles versucht werden. Europa und die USA hätten dasselbe Interesse: eine Welt, in der die Freiheit siegreich sei. Darum sei es auch zwingend, die Ukraine stärker zu unterstützen – „so lange, wie es nötig ist“. Von der Leyen betonte: „Die Ukraine wird siegreich sei.“ Aber dafür bräuchte sie die nötige Hardware – „so schnell wie möglich“.

Ob das die Hardliner unter den republikanischen Kongressabgeordneten überzeugt, die mit dem Finger auf Europa zeigen, ist offen. Von der Leyen listete zwar auf, dass die EU bisher die Ukraine mit fast 90 Milliarden Dollar unterstützt habe – „27 Milliarden davon sind militärische Hilfen“. Aber bei vielen Republikanern ist das offenbar noch nicht angekommen. Auch nicht, dass dies „ein bisschen mehr“ als die bisherigen Hilfen der USA sei, wie EU-Ratspräsident Michael anmerkte.

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