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Ein Polizeibeamter steht in der Nähe der Crocus City Hall in Moskau.

© dpa/Alexander Zemlianichenko

Ukraine-Invasion Tag 763: Tadschikische Migranten müssen nach Anschlag auf Konzerthalle Putin fürchten

Nobelpreisträger warnen vor „Beschwichtigung des Aggressors“. Ukraine will zwei russische Spione festgenommen haben. Der Nachrichtenüberblick am Abend.

Der Anschlag auf die Konzerthalle nahe Moskau am Freitag könnte ethnische Unruhen in Russland weiter anheizen – und letzlich auch Einfluss auf Putins Krieg haben.

Vier der festgenommenen Verdächtigen des Anschlags sollen aus dem überwiegend muslimischen zentralasiatischen Land Tadschikistan stammen. Im Messenger-Dienst Telegram hätten sich nach der Festnahme russische Nationalisten und Putin-und Kriegsbefürworter grundsätzlich fremdenfeindlich gegenüber Menschen aus Tadschikistan geäußert, schreibt die „New York Times“. Von einer Anti-Migranten-Rhetorik ist die Rede.

Das Problem: Angehörige dieser muslimischen Minderheiten machen dem Bericht zufolge einen erheblichen Teil der kämpfenden russischen Soldaten aus und stellen einen Großteil der Arbeitskräfte dar, die Russlands Wirtschaft und seine militärische Versorgungskette am Laufen halten. Kurz: Putin braucht diese Menschen, aber er muss auch versuchen, die Kriegsbefürworter bei Laune zu halten.

Die „New York Times“ hat mit Sergej Markow, einem Putin-freundlichen politischen Analysten und ehemaligen Kreml-Berater, gesprochen. Dieser räumt ein, dass die einwanderungsfeindliche Politik Russlands in Widerspruch zu einem militärisch-industriellen Komplex steht, der auf Migranten angewiesen ist. „Und dieser Terroranschlag hat das Problem noch verschärft.“

Die Tadschiken könnten nun die großen Verlierer werden: Swetlana Gannushkina, eine langjährige russische Menschenrechtsaktivistin, sagt gegenüber der „New York Times“: „Sie brauchen Migranten als Kanonenfutter für die russische Armee und als Arbeitskräfte.“ Sie erzählt, ein tadschikischer Mann sei festgenommen worden, bloß weil die Polizei „nach Tadschiken sucht“ und „eine Person mit einem solchen Aussehen gesehen hat“.

Tadschikische Migranten in Moskau fürchteten jetzt nicht nur ihre Abschiebung, sondern auch, dass sie in der Ukraine zum Krieg gezwungen werden könnten, sagt Saidanvar, ein tadschikischer Menschenrechtsaktivist. „Die Tadschiken haben wirklich Angst, dass die russischen Behörden Tadschiken in Massen an die Front schicken werden, um als eine Art Rache gegen unser tadschikisches Volk zu kämpfen.“

Swetlana Gannushkina ist sich sicher: „Sie werden sich die Tadschiken schnappen und den Ukrainern die Schuld geben. Das war von Anfang an klar.“

Die wichtigen Nachrichten des Tages:

  • In einem offenen Brief fordern zahlreiche Trägerinnen und Träger des Nobelpreises eine drastische Erhöhung der Unterstützung für die Ukraine. Unter dem Titel „Keine Toleranz mehr für Putin“ wird außerdem eine deutlich härtere Linie gegenüber dem Regime in Moskau angemahnt. „Die Geschichte lehrt uns, dass die Beschwichtigung eines Aggressors weitere Verbrechen gegen die Menschheit begünstigt“, heißt es. Mehr dazu hier.
  • Diesen Winter, von Dezember bis Februar, sind mindestens 32 ukrainische Kriegsgefangene von Russland ermordet worden. Das geht aus einem Bericht des Büros des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) vom 26. März hervor. Mehr dazu hier.
  • Die Stadt Charkiw im Nordosten der Ukraine ist nach Angaben der örtliche Polizei erstmals seit 2022 von den russischen Streitkräften gezielt mit Fliegerbomben angegriffen worden. Es seien eine Schule und ein Wohngebiet getroffen worden, teilt der Ermittlungsleiter der Regionalpolizei, Serhij Bolwinow, auf Facebook mit. Den örtlichen Behörden zufolge wurden bei insgesamt zwei Luftangriffen auf Charkiw ein Mensch getötet und zwölf weitere verletzt. Mehr dazu in unserem Newsblog.
  • Polen will seinen Beitrag zu dem von Tschechien initiierten Munitionskauf für die Ukraine verdoppeln. „Wir haben bereits einen erheblichen Betrag angekündigt, und in den vergangenen 48 Stunden wurde beschlossen, diesen Betrag zu verdoppeln“, sagte Außenminister Radoslaw Sikorski auf einer Pressekonferenz in Lettland. Wie viel genau Polen beisteuern wird, wollte er allerdings nicht verraten.
  • Russische Ermittler prüfen eine mögliche Verwicklung des Westens in den Anschlag auf eine Konzerthalle bei Moskau. Dies geschehe auf Bitten von Abgeordneten, teilte die Ermittlungsbehörde in Moskau mit. Untersucht werde eine mögliche „Organisation, Finanzierung und Durchführung von Terroranschlägen“ gegen Russland seitens der USA und anderer westlicher Länder.
  • Der ukrainische Geheimdienst SBU hat nach eigenen Angaben zwei mutmaßliche Agenten Russlands festgenommen. Beide seien auf frischer Tat ertappt worden, als sie Informationen über mögliche Ziele in der Ukraine sammelten, um sie an Russland zu übermitteln, teilte der SBU in Kiew mit. Einer von ihnen habe ein Stromwerk fotografiert.
  • Die Verhandlungen in Brüssel über geplante Beschränkungen für die zollfreie Einfuhr ukrainischer Agrarprodukte gestalten sich weiter zäh: Der belgische Ratsvorsitz legte den EU-Ländern einen neuen Kompromissvorschlag vor, eine geplante Abstimmung wurde auf den Abend verschoben. Streit gibt es vor allem um mögliche Beschränkungen für die Einfuhr von Weizen, wie sie unter anderem Frankreich und Polen fordern.
  • Der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev hat den Vorschlag eines Einfrierens des Ukraine-Krieges verworfen. Dies würde bedeuten „Millionen Ukrainer in den besetzten Gebieten zu verlassen“, sagte Makeiev im Deutschlandfunk. Es bestehe das Risiko, dass diese Menschen weiterhin von Russen gefoltert, vergewaltigt und vertrieben würden, erklärte er. „Deswegen sind wir mit dem Einfrieren nicht einverstanden“, betonte er.
  • Der US-Lebensmittelkonzern Mondelez (Milka, Oreo, Tuc) verteidigt sich gegen Kritik an seinen Geschäften in Russland. „Es gibt keine einfachen Entscheidungen, aber wie die meisten anderen globalen Lebensmittel- und Getränkeunternehmen stellen wir in diesen schwierigen Zeiten weiterhin Lebensmittel zur Verfügung“, sagte eine Sprecherin des Unternehmens. „Würden wir unsere Geschäftstätigkeit vollständig einstellen, liefen wir Gefahr, unser gesamtes Geschäft einer anderen Gruppe zu überlassen, die den gesamten Erlös für ihre eigenen Interessen verwenden könnte.“
  • Auch Tage nach den heftigen russischen Raketenangriffen hat die ostukrainische Millionenstadt Charkiw weiter mit Stromabschaltungen zu kämpfen. „In der Stadt herrscht ein katastrophaler Mangel an Elektroenergie“, teilte der städtische Wärmeversorger bei Telegram mit. Die Einwohner wurden ermahnt, Elektroboiler abzuschalten. Warmwasser sei über die zentrale Versorgung fast überall wieder verfügbar.

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