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Trotz gegenteiliger Versprechen erlaubt Biden Ölförderung in Alaska.

© Imago/Danita Delimont

Umstrittene Entscheidung des US-Präsidenten: Biden will an Alaskas Küste Öl fördern lassen – und wird scharf kritisiert

US-Präsident Joe Biden hat trotz gegenteiliger Versprechen dem umstrittenen Projekt eines Ölkonzerns zugestimmt. Er gibt damit dem Druck der Republikaner nach.

Er hat es tatsächlich getan. Am Montag machte die Regierung von US-Präsident Joe Biden den Weg frei für eine massive und hochumstrittene Ölfördermaßnahme an der Nordküste von Alaska. Mit dem „Willow-Projekt“ des Ölkonzerns ConocoPhillips sollen in den kommenden 30 Jahren rund 576 Millionen Barrel Öl in einem der letzten unberührten Gebiete des amerikanischen Bundesstaats gewonnen werden.

Die Entscheidung ist ein Erfolg für Alaskas Politiker und einen Teil der indigenen Stämme, die sich davon notwendige Investitionen und neue Jobs in der abgelegenen Region versprechen. Aber sie ist auch ein Schlag ins Gesicht der Klimabewegung und trifft einen anderen Teil der Ureinwohner, die das Projekt vehement ablehnen.

Diese Gruppen reagieren empört auf die Pläne, ausgerechnet in einer der sich am schnellsten erwärmenden Gegenden der Welt ein Projekt voranzutreiben, das unbestritten zur Klimaaufheizung beitragen würde. Auf der Onlineplattform change.org wurden bereits mehr als 3,7 Millionen Stimmen gegen das Willow-Projekt gesammelt. Die Regierung muss sich auf Klagen einstellen.

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Milliarden Liter Öl sollen in den kommenden 30 Jahren durch das Willow-Projekt gefördert werden

Biden war in einer Zwickmühle. Er musste abwägen zwischen den mit dem Ukraine-Krieg dramatisch an Bedeutung gewonnenen Energieinteressen Amerikas und seinem Versprechen, mehr für den Klimaschutz zu tun.

Seine Entscheidung, dem größten Ölfördervorhaben Amerikas die Genehmigung zu erteilen, ist auch eine Reaktion auf den Druck vonseiten der Republikaner: Sie fordern, die USA energieunabhängig zu machen, indem die heimischen Quellen für fossile Energie ausgeschöpft werden. Und schon jetzt scheint klar, dass sie im Wahlkampf 2024 auf dieses Thema setzen werden. Der Benzinpreis gilt als Gradmesser für die Stimmung vieler Amerikaner.

Zu beobachten sind in diesen Wochen politische Kehrtwenden von Biden. Der Präsident, der 2024 für eine zweite Amtszeit kandidieren will, gilt eigentlich als moderater Demokrat.

3,7
Millionen Menschen sprachen sich auf change.org gegen das Willow-Projekt aus

Mit dem Senator Joe Manchin aus West Virginia – für viele Linke die Verkörperung eines von der Kohleindustrie gekauften Politikers – pflegt er regelmäßigen Austausch, genauso wie mit Republikanern, etwa dem Minderheitsführer im Senat, Mitch McConnell. Mit Letzterem eröffnete Biden gerade ein Infrastrukturprojekt in dessen Heimatstaat Kentucky.

Gleichzeitig ist die Demokratische Partei in den vergangenen Jahren nach links gerückt. Und Joe Biden rückte im vergangenen Wahlkampf mit ihr. Die Jungen in der Partei galten und gelten als treibende Kraft – und mit dem Level ihres Enthusiasmus steigen oder fallen die Erfolgsaussichten der Demokratischen Partei. Auch darum versprach Biden im Wahlkampf 2020, dass unter ihm auf öffentlichem Land nicht neu nach Öl gebohrt werden solle.

Noch 2020 versprach Biden, dass nicht neu nach Öl gebohrt werden soll

Darum kündigte er an, die Abschottungspolitik der Trump-Regierung zu beenden und eine humanere Einwanderungspolitik zu gestalten – und stellte massive Investitionen über die Notwendigkeit, gegen die exorbitant wachsende Staatsverschuldung vorzugehen.

Der dadurch generierte Ausstoß gefährdet nicht nur die Ureinwohner Alaskas und andere lokale Gemeinden. Er ist auch unvereinbar mit dem von uns benötigten Ehrgeiz, eine klimaneutrale Zukunft zu erreichen.

Ex-Vizepräsident und Umweltschützer Al Gore über das Willow-Projekt

Im dritten Jahr seiner Amtszeit und wenige Woche vor der erwarteten Verkündung seiner Kandidatur für 2024 bringen seine Entscheidungen aber zunehmend den Realpolitiker zum Vorschein, als der Biden jahrzehntelang bekannt war. Dazu beigetragen haben Gerichtsentscheidungen und ein Kongress, in dem die Demokraten nur noch im Senat mit knapper Mehrheit das Sagen haben.

Die Republikaner versuchen, Biden als „Sozialist“ zu verunglimpfen, der aus ideologischen Gründen den Wohlstand und die Sicherheit des Landes gefährde. Dieses Label wird er in ihren Augen wohl so schnell nicht los. Aber die moderaten Konservativen und politisch beweglichen Unabhängigen will er auf diesem Weg für sich gewinnen. Er ist der festen Überzeugung, dass sich Wahlen nur mit einer größtmöglichen Koalition gewinnen lassen – die er derzeit am besten zusammenhalten könne.

Bislang folgten die Progressiven dem 80-jährigen Präsidenten bemerkenswert treu. Ein Trump oder auch ein anderer konservativer Kandidat in spe wie Ron DeSantis taugen offenbar gut als Schreckgespenst beziehungsweise als Motivation, zusammenzuhalten. Derzeit gibt es trotz Bidens Alter keine signifikante Absatzbewegung und keinen potenziellen Herausforderer für die parteiinternen Vorwahlen.

6,5
Millionen Hektar Fläche in der Beaufortsee nördlich von Alaska soll langfristig für Öl- und Gasförderung gesperrt werden

Bemerkenswert ist, dass der Linke Bernie Sanders, der 2020 selbst Präsident werden sollte, sich bereits für Bidens Wiederwahl ausgesprochen hat.

Dennoch: Der Unmut wächst. Das sind die Punkte, die das Potenzial haben, die linken Demokraten aufzuwiegeln:

Aktuell wie oben beschrieben das Willow-Projekt, das Bill Clintons ehemaliger Vizepräsident Al Gore als „rücksichtslos und unverantwortlich“ geißelt, als „Rezept für Klimachaos“. Der inzwischen als Umweltschützer aktive Demokrat sagte dem „Guardian“: „Der dadurch generierte Ausstoß gefährdet nicht nur die Ureinwohner Alaskas und andere lokale Gemeinden. Er ist auch unvereinbar mit dem von uns benötigten Ehrgeiz, eine klimaneutrale Zukunft zu erreichen.“

Die Regierung verweist zwar darauf, dass längst nicht alle Vorhaben von ConocoPhillips gebilligt wurden, sondern nur drei von fünf. Zudem hatte das Innenministerium am Vortag angekündigt, in Alaska rund 6,5 Millionen Hektar Land sowie eine große Fläche in der Beaufortsee, dem Arktischen Ozean nördlich von Alaska, langfristig für Öl und Gasförderprojekte zu sperren.

Den Ärger der Umweltschützer, die Biden gerade noch wegen der Milliarden an Klimainvestitionen durch den Inflation Reduction Act gefeiert hatten, konnte dies aber nicht dämpfen. Diese Entscheidung sei ein „beispielloser Betrug“ von Biden, der mit dem Thema Klimaschutz Wahlkampf betrieben habe und dafür gewählt worden sei, erklärte der US-Ableger von Fridays for Future. Die Aktivisten drohten, das werde ihn die Glaubwürdigkeit und Zustimmung kosten, die er für eine erneute Kandidatur brauche.

Angesichts der steigenden Migrationszahlen soll Asyl künftig nur noch von außerhalb der USA beantragt werden können. Migranten, die einfach über die mexikanische Grenze ins Land kommen, könnten dann in den USA nicht mehr um Asyl bitten. Zwar gebe es bestimmte Ausnahmen, etwa für alleinreisende Minderjährige, hieß es. Aber die meisten Personen könnten damit umgehend abgeschoben werden.

Für sie gilt dann zudem ein fünfjähriges Wiedereinreiseverbot. Hilfsorganisationen verglichen die Pläne mit der Politik unter Trump und kündigten Klagen an. Auch im US-Kongress wurde massive Kritik laut.

Die liberale Hauptstadt Washington wollte ihr Strafrecht reformieren. Doch der Kongress blockte das Vorhaben – mit Bidens Segen und zum Ärger vieler linker Demokraten.

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Billionen Dollar will Joe Biden laut seines Budgetsentwurfes in den nächsten zehn Jahren sparen

In seinem Budgetentwurf kündigt Biden an, in den kommenden zehn Jahren bis zu drei Billionen Dollar einzusparen – auch auf Kosten so mancher Herzensprojekte progressiver Demokraten. In seiner Rede 2019, mit der er seine Kandidatur ankündigte, tauchte das Wort „Defizit“ nicht auf, genauso wenig wie im später verabschiedeten Parteiprogramm, wie Peter Baker in der „New York Times“ schreibt.

Schuldenbekämpfung und ein ausgeglichener Haushalt waren über lange Zeit keine Priorität der Demokratischen Partei. Biden setzte auf gigantische Ausgabeprogramme für Klimaschutz, Soziales oder den Abbau der Verschuldung von Studenten und nahm eine höhere Inflation in Kauf.

Nun steht das Sparen auf einmal im Zentrum von Bidens Agenda. Inzwischen haben die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus erobert und setzen die Regierung unter Druck, massiv Geld einzusparen. Zwar will Biden auch Steuern anheben, für Superreiche und Konzerne.

So soll etwa, wer über ein Vermögen von mehr als 100 Millionen Dollar verfügt, dem Haushaltsentwurf zufolge künftig einen Mindeststeuersatz von 25 Prozent abführen.

Und in seiner Rede in Philadelphia, in der er seine Budgetpläne vorstellte, betonte er auch, wie wichtig es sei, das Krankenversicherungssystem Medicare langfristig zu finanzieren und beispielsweise mehr für Familien mit Kindern zu tun. Aber der Eindruck bleibt, dass Biden im anstehenden Wahlkampf einen Kurs der Mitte verfolgen will.

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