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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (l.) and Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Ankara.

© AFP/ADEM ALTAN

„Wir brauchen einander“: Steinmeier ruft nach Erdogan-Treffen zu Neubelebung deutsch-türkischer Beziehungen auf

Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei köcheln auf Sparflamme. Doch die Präsidenten Steinmeier und Erdogan haben sich in Ankara viel zu sagen. Ihr Gespräch dauert viel länger als geplant.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat dazu aufgerufen, die seit geraumer Zeit auf Sparflamme kochenden deutsch-türkischen Beziehungen neu zu beleben. „Die Zeiten sind ernst. Und gerade deshalb brauchen wir einander“, sagte er am Mittwoch in Ankara in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. „Deshalb sollten wir den deutsch-türkischen Beziehungen wieder neue Wichtigkeit verleihen.“ Steinmeier betonte: „Wir brauchen einander.“ Das gelte etwa für die Nato und die Gruppe der G20-Staaten.

Steinmeier machte deutlich, dass er und Erdogan offen über die Differenzen in der Bewertung des Nahostkrieges seit dem Überfall der terroristischen Hamas auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres gesprochen haben. „Nach meiner Überzeugung: Ohne den 7. Oktober gäbe es den Krieg im Nahen Osten nicht.“

Man habe aber vor allem auch gemeinsame Ziele bekräftigt, sagte Steinmeier. „Wir wollen und müssen die humanitäre Lage in Gaza verbessern. Wir wollen und müssen die Ausweitung des Krieges zum Flächenbrand in der Region verhindern. Auch dabei kommt der Türkei eine ganz wichtige Rolle zu.“ Man stimme auch darin überein, dass es ohne eine Perspektive für die Palästinenser mittel- und langfristig keinen Frieden und keine dauerhafte Sicherheit für Israel geben werde. „Auch das eint uns: Am Ende kann diese politische Perspektive nur in der Zwei-Staaten-Lösung liegen.“

Erdogan hatte seinen Gast aus Deutschland am frühen Nachmittag mit militärischen Ehren einschließlich Salutschüssen begrüßt. Das sich anschließende Gespräch unter vier Augen dauerte erheblich länger als geplant. Eigentlich waren dafür 30 Minuten vorgesehen gewesen - am Ende sprachen beide Präsidenten eine Stunde und 45 Minuten miteinander.

Erdogan kritisiert westliche Haltung im Gaza-Krieg

Erdogan warf dem Westen nach dem Treffen mit Steinmeier vor, die Augen vor dem Leid der Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu verschließen. Gaza sei dem Erdboden gleichgemacht worden – „unsere deutschen Freunde müssen diese tragische Situation sehen“, sagte Erdogan am Mittwoch in Ankara. Der gesamte Westen stehe an der Seite Israels.

Der türkische Präsident übte zudem zum wiederholten Male scharfe Kritik an Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und warf diesem erneut vor, den gesamten Nahen Osten zu gefährden, um sein politisches Überleben zu sichern. Er betonte aber auch, dass sich die Türkei um die Freilassung der aus Israel verschleppten Geiseln bemühe.

Erdogan forderte zudem, Beschränkungen beim Rüstungsexport in die Türkei vollständig aufzuheben. Er äußerte sich außerdem besorgt über steigenden Rassismus in Deutschland. „Unsere Bedenken hinsichtlich aufstrebender fremdenfeindlicher, islamfeindlicher, rechtsextremer und rassistischer Organisationen in Deutschland zusammen mit Europa nehmen stetig zu“, sagte Erdogan.

Deutschland und die Türkei haben im Gaza-Krieg sehr unterschiedliche Positionen. Die deutsche Seite ist irritiert von Erdogans Haltung zur islamistischen Hamas, die für das Massaker am 7. Oktober in Israel verantwortlich ist, von Erdogan aber als Befreiungsorganisation bezeichnet wird. Erdogan unterhält enge Kontakte zur Hamas. Am Wochenende hatte er sich mit deren Auslandschef Ismail Hanija getroffen.

Bei dem Massaker der islamistischen Terrororganisation Hamas und anderer extremistischer Organisationen im israelischen Grenzgebiet waren am 7. Oktober mehr als 1200 Menschen ermordet und mehr als 250 weitere in den Gazastreifen verschleppt worden. Im Laufe einer einwöchigen Feuerpause Ende November hatte die Hamas 105 Geiseln freigelassen. Im Gegenzug entließ Israel 240 palästinensische Häftlinge aus seinen Gefängnissen. Israel war bis vor wenigen Wochen davon ausgegangen, dass knapp 100 der rund 130 verbliebenen Geiseln noch am Leben sind. (dpa)

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