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Familienbande. Sohn Ingwer (Charly Hübner) und Mutter Ella (Hildegard Schmahl).

© Majestic / Christine Schroeder

Bestseller-Verfilmung „Mittagsstunde“ : Bei Mudder und Vadder in Brinkebüll

Zurück auf Dorf, um die Eltern zu pflegen. Das Familiendrama nach dem Roman von Dörte Hansen lebt vom großartigen Hauptdarsteller Charly Hübner.

Mit „Mittagsstunde“ hat Dörte Hansen, die zuvor Linguistin und Kulturredakeurin beim NDR war, sich freigeschrieben. Heraus aus der Schublade der Debütantin, deren Roman „Altes Land“ 2015 in den Buchhandlungen zum Überraschungserfolg geriet. Ein Roman, der im Gewand gehobener Unterhaltungsliteratur, deutsche Nachkriegsgeschichte und heutiges Stadt-Land-Gefälle in einer Familiengeschichte verwebte.

„Mittagsstunde“ fiel 2018 deutlich spröder aus, literarisch ausgefeilter und noch präziser in der Milieuschilderung der plattdeutschen Provinz. Schwierig, so einen feinnervigen, von lakonischer Trauer durchzogenen, aber gänzlich unsentimentalen Abgesang auf das alte, von bäuerlicher Kultur geprägte Dorf zu verfilmen.

Regisseur Lars Jessen, hat sich im Kino mit der schrägen Pop-Mockumentary „Fraktus“ (2012) und der Rocko-Schamoni-Verfilmung „Dorfpunks“ (2009) als Experte für Norddeutsches empfohlen. Er schneidert seine im Bemühen um Werktreue allzu brav ausfallende „Mittagsstunde“ ganz auf den Hauptdarsteller zu: Charly Hübner, den gebürtigen Mecklenburger Gastwirtssohn, der Ingwer Feddersen, den Gastwirtssohn im fiktiven nordfriesischen Kaff Brinkebüll, bis in jede erdschwere Bewegung glaubhaft verkörpert.

Ingwer, der Uni-Dozent, verlässt seine Dreier-WG in Kiel, um ein Sabbatjahr bei den Eltern einzulegen. Sein „Vadder“ Sönke Feddersen (Peter Franke) ist selbst zu gebrechlich, um die demente „Mudder“ Ella (Hildegard Schmahl) noch länger zu betreuen. Also wird Ingwer – der in Romanen und Filmen derzeit weit verbreitete provinzflüchtige Bildungsaufsteiger – zum Heimkehrer.

Die bereits vollzogene Verwandlung des Dorfes in eine menschenleere Pendlerschlafstätte schildert „Mittagsstunde“ in drei, bis zur „Flurbereinigung“ 1965 zurückreichenden Erzählebenen.

Diese Landvermessung stellte die Weichen für die von der industriellen Landwirtschaft benötigten Großäcker und trug so zum inzwischen viel beklagten Schwund der Biodiversität bei.

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Deren einstigen Reichtum spiegelt – im Film viel ausgestellter als im Roman – die Figur der „verdrehten“ Gastwirtstochter Marret (Gro Swantje Kohlhoff), die die Natur bis zur letzten Vogelfeder liebt und nach Hause schleppt, sich in einen der Vermesser verguckt – und eines Tages verschwindet. Eins der Geheimnisse, um das sowohl die traditionelle Brinkebüller Mittagsstunde der Vergangenheit und der nur noch von Line Dancern genutzte Dorfkurg der Gegenwart wissen.

Das ist dramaturgisch gut gebaut, in stimmigem Plattdeutsch – und hochdeutscher Version – gedreht und mit Rainer Bock und Gabriela Maria Schmeide als jüngerem Wirtsehepaar noch besser besetzt. Auch die in norddeutscher Wortkargheit abgehandelten Szenen, in denen Ingwer den ruppigen Vater badet oder die ruhelose Mutter einfängt, berühren.

Es sind universelle Themen, die „Mittagsstunde“ verhandelt; größer als es das ein bisschen abschätzig klingende Schlagwort „Dorfroman“ vermuten lässt. Die Fürsorge für die alten Eltern und die durch gesellschaftliche Wohlstandsversprechen ausgelöste Verödung der Provinz, die – was vor 40 Jahren keiner ahnte – direkte soziale und ökologische Auswirkungen hat.

„Moderne Landwirtschaft, breite Straßen, das brauchen wir hier“, sagt der Bürgermeister in den Sechzigern. Alsbald fällt die Dorfkastanie, ein computergeneriertes Menetekel. Solche Offensichtlichkeiten sucht man in Dörte Hansens Roman vergeblich. Das ist der Vorteil, den die Literatur gegenüber dem Film hat. Das beim Lesen entstehende Kopfkino gerät nie so plakativ wie die Kinobilder. Charly Hübners subtiler Ingwer Feddersen könnte jedoch glatt als Romanfigur durchgehen.Gunda Bartels

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