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Joachim Meyerhoff gewinnt als Trigorin in der „Möwe“ an der Schaubühne den Titel „Schauspieler des Jahres“. Hier ist er in einer Szene Alina Vimbai Strähler zu sehen.

© dpa/Soeren Stache

Das Theater des Jahres und die Nachhaltigkeit: Prima Preise, prima Klima

Bei der Kritikerumfrage von „Theater heute“ schneiden die Berliner Bühnen so gut ab wie lange nicht. Das Jahrbuch befasst sich ansonsten mit dem „Theatre Overshoot Day“.

Erstmal das, was alle am meisten interessiert: Das Deutsche Theater Berlin ist „Theater des Jahres“. Mit 10 von 46 Voten belegt die Bühne den Spitzenplatz beim aktuellen Kritiker:innen-Ranking der Zeitschrift „Theater heute“. Was auch als Verbeugung vor dem scheidenden Intendanten Ulrich Khuon zu sehen ist, der während seiner Berliner Amtsjahre von der Kritik zwar nicht gerade verwöhnt wurde, aber zweifellos eine verdiente Theaterpersönlichkeit ist.

Den Titel „Schauspielerin des Jahres“ (7 Voten) hat sich Wiebke Mollenhauer erworben, die in Christopher Rüpings Züricher Inszenierung von Sarah Kanes „Gier“ herausragt. Auch der „Schauspieler des Jahres“ kommt aus der Hauptstadt: Mit 5 Stimmen wurde Joachim Meyerhoff gekürt, für seinen Auftritt als Trigorin in Thomas Ostermeiers „Möwe“ an der Schaubühne. Sehr verdient.

Zu vermelden gibt es allerdings auch eine zumindest fragwürdige Entscheidung, wieder für Berlin: Den Titel „Inszenierung des Jahres“ hat Florentina Holzingers „Ophelia’s Got Talent“ an der Volksbühne eingeheimst, Nicola Knezevic hat dazu obendrein das „Bühnenbild des Jahres“ gebaut. Zur Erinnerung: Das Stück ist eine wahre Material- und Wasserschlacht, ausgerechnet, ein Sinnbild für Kunst als Verschwendung! Da naht der „Theatre Overshoot Day“ mit großen Schritten.

Damit, also mit Nachhaltigkeit, befasst sich das Jahrbuch von „Theater heute“, unter dem Titel „Knappheit“. Natürlich steht der Band in Kreisen von Theater-Aficionados (und den Theaterschaffenden selbst) eigentlich vor allem wegen der alljährlichen Umfrage im Fokus des Interesses und weniger wegen seines intellektuellen Überbaus. Theatre Overshoot Day? Der Begrifft lehnt sich an den des „Earth Overshoot Day“ an, den Erdüberlastungstag, der den Zeitpunkt bestimmt, an dem ein Land alle verfügbaren natürlichen Ressourcen für ein ganzes Jahr aufgebraucht hat. In Deutschland war er 2023 Anfang Mai erreicht, i.n Katar schon am 10. Februar. Fürs allgemeine Klima lässt das nichts Gutes hoffen.

Weniger Blase, mehr Welt

Gibt es also auch einen „Theatre Overshoot Day“, einen Tag, an dem das Publikum genug Theater für ein ganzes Jahr gesehen hat, sodass die Bühnen erst einmal dicht machen und somit Ressourcen sparen könnten? Klar, die Kulturbetriebe schrauben landauf, landab fleißig stromsparende LED-Lampen in ihre Scheinwerfer oder zweitverwerten Bühnenbildelemente. Aber seien wir ehrlich: Am besten für den Planeten ist es, wenn gar nichts läuft.

Solche Gedanken stößt das Jahrbuch mit dem furchterregenden Begriff „Knappheit“ an, Untertitel: „Alles auf Kante“. Im großen Eröffnungsessay („Die Wachstumsillusion“) recycelt die Journalistin Ulrike Herrmann Gedanken aus ihrem Buch „Das Ende des Kapitalismus“ und preist die britische Kriegswirtschaft als Vorbild für eine grünere, gesundgeschrumpfte Zukunft, in der staatlicherseits festgelegt wird, was noch produziert werden soll. Und wie die knappen Güter zu verteilen wären. Ob auch Theaterkarten zu den rationierten Waren zählen würden?

Eine ganze Reihe prominenter Theatermenschen stellt dann lesenswerte Überlegungen zum Reizthema „Verzicht“ an. Von Rimini-Mitgründerin Helgard Haug (die mit dem „Earth Overshoot Day“ aufschlägt) über Milo Rau und Falk Richter bis zu She She Pop. Man erfährt viel über persönliche Vorbildleistungen (Vegetarismus! Radfahren! Flugverzicht!). Und Sonja Anders, Leiterin des Schauspiels am Staatstheater Hannover, stellt die Metier-Gepflogenheiten mit dem schönen Statement infrage: „Vielleicht ist der Verzicht auf so manche überflüssige Geschichte überhaupt der sinnvollste Beitrag, um etwas für eine bessere Zukunft zu tun. Den Kanon überarbeiten. Weniger Blase, mehr Welt“.

Auch Ulrich Khuons Nachfolgerin – die aus Graz nach Berlin ziehende Intendantin Iris Lauffenberg – ist im „Theater heute“-Jahrbuch vertreten, in einer Gesprächsrunde über Leitungswechsel an Stadttheatern und die Frage, ob den Ensembles dabei mehr Mitspracherechte eingeräumt werden sollten (Lauffenberg: „Es ist wirklich kompliziert“). Im Verzichts-Kapitel wiederum erklärt der Regisseur Jan-Christoph Gockel schon mal, mit seiner kommenden Inszenierung von Heiner Müllers „Der Auftrag“ an Lauffenbergs DT an eine Müller-Beschäftigung anknüpfen zu wollen, die vor sieben Jahren in Graz stattfand.

Die Vorwürfe, die ihn treffen könnten, ahnt er schon: „Wenn es in Berlin als Wiederaufnahme rüberkommt, auch noch aus Graz (geflüstert: aus der Provinz), wird es schwierig“. Andererseits: Ist so eine nachhaltige Arbeit am gleichen Text nicht eher ein Beitrag zur kulturellen Kreislaufwirtschaft?

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