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Alina Vimbai Strähler als Nina und Joachim Meyerhoff als Trigorin in der Schaubühne . Foto: Soeren Stache/dpa

© dpa/Soeren Stache

Tschechow an der Schaubühne: Bittere Komödie der Liebe

Unter dem großen Baum: Thomas Ostermeier inszeniert „Die Möwe“ in der großen Tradition der Schaubühne

Einmal donnert ein Flugzeug über das Landgut. Ein Kampfjet? Der ohrenbetäubende Lärm ist schnell vorüber. Eine Erinnerung an den Krieg, der im Namen der russischen Kultur gegen die Ukraine geführt wird?

Sonst bleibt es äußerlich ruhig. Die Tschechow-Menschen, in denen wir uns doch immer wieder so leicht spiegeln, gehen ihren versunkenen Verrichtungen nach, das Glück ist abgereist. Sie jagen ihm hinterher, ewig im Kreis herum. „Voll schwül heute“, sagt jemand.

„Die Möwe“ spielt in einer Fassung des Ensembles und der Übersetzung von Ulrike Zemme. Moderat dem Heute angepasst. Das gilt auch für Thomas Ostermeiers Regie. Die Gangart wirkt erstaunlich traditionell und damit zuweilen etwas erwartbar. Aber ist es nicht genau das, wonach sich so viele sehnen im Theater - eine Geschichte, Emotionen, ausgespielte Dialoge, Drama, Komik? Menschen, mit einem Wort.

Wozu noch Klassiker?

Publikum und Ensemble rücken enger zusammen. Der Zuschauerraum umarmt gleichsam die Bühne, was zu kleinen Interaktionen führt. Wenn die sympathisch verrückte, todtraurige Mascha von Hevin Tekin ihre Kunststückchen aufführt und in die Runde fragt: Ihr trinkt doch auch? Heimlich? Oder wenn Kostja, der junge Schriftsteller, leidenschaftlich gespielt von Laurenz Laufenberg, provozieren will: Wir brauchen neue Formen. Was sagen uns Klassiker?

Sie führen nun gerade ein klassisches Stück auf, mit einiger Intensität. Tschechow ist Familie. Da kommt man her, da geht man wieder hin. Besonders in diesem Haus: Einst gab es am Lehniner Platz die „Drei Schwestern“ von Peter Stein und Karl Ernst Herrmann, mit vierzig Meter tiefer Bühne und Birkenwäldchen. Was Jan Pappelbaum und Thomas Ostermeier sich ausgedacht haben, beeindruckt nicht weniger: Der gesamte Raum ist von einem weit ausladenden Baumriesen überwölbt. Seine Äste und Blätter formen eine Kathedrale. Sie spenden Schatten, aber keinen Trost.

Der Schriftsteller als Egoman

Anton Tschechow hat sein 1896 uraufgeführtes Werk eine „Komödie in vier Akten“ genannt. Es dauert an der Schaubühne knapp drei Stunden ohne Pause. Der letzte Akt ist abgekürzt und der böse Schluss überdeutlich aufgesetzt. Trigorin, der im Gegensatz zu Kostja erfolgreiche Schriftsteller und viel ältere Autor, der dem Jüngeren die Freundin wegnimmt, pinkelt an den Baum der Erkenntnis.

Großer Auftritt für Joachim Meyerhoff. Er ist dominant als widerlich eitler, egomanischer, verschusselter Salonschriftsteller. Er sieht aus wie ein Clown und spielt sich in die Karikatur. Was um Himmels Willen finden alle Frauen an diesem lachhaften Typen?

Stephanie Eidt als Arkadina und Laurenz Laufenberg als Kostja, ihr Sohn. Foto: Soeren Stache/dpa

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Es geht in Richtung Klamotte. Ein ähnliches Übertreibungsproblem hat auch die Arkadina, die große Schauspielerin, Kostjas Mutter, Trigorins Geliebte. Stephanie Eidt hält es keinen Moment aus, ohne von sich selbst zu schwärmen, so unsicher ist diese Frau, die sie vorführt. Aufgezogen theatralisch, falsch wie ihr blondes Haar.

Da kommt die nächste Generation erst einmal besser weg. Mascha verbreitet so viel Charme wie Dunkelheit. Nina, die sich die Möwe nennt, springt anfangs überwältigend naiv auf die Szene - hinein in das neuartige Stück von Kostja, das die Etablierten verlachen. Später wird sie hart, berechnend auch, sie liebt Trigorin, der sich als Schwein herausstellt. Alina Vimbai Strählers Nina und Laurenz Laufenbergs Kostja opfern sich, jeder auf seine Weise.

Der Schauspieler als Beobachter: Wie kühl und klug, ganz Tschechow, spielt Axel Wandtke den Arzt, hier Gynäkologe. Der cholerische Verwalter von David Ruland packt hartes brandenburgisches Idiom aus. Wir sind also im Lande, jetzt. Fast alles dabei, was zu so einem Abend gehört. Zugleich fehlt viel: Zwischentöne, auch mal die Ruhe vor dem nächsten Gefühlssturm. Man wird nicht wirklich satt: Als wäre es das Leben.

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