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Susanne Kennedy, eine der Preisträgerinnen in Rom.

© Mike Wolff

Europäischer Theaterpreis: Hier können sie noch feiern

In Rom wurden die Europäischen Theaterpreise vergeben - und die beiden Berliner Regisseurinnen Yael Ronen und Susanne Kennedy für „neue Realitäten“ geehrt.

Wer ab und zu auf Theater-Symposien zugegen ist, kennt dieses herzerfrischende Plattitüden-Bingo. Keine Branchenrunde, auf der die Bühne nicht wahlweise „der Spiegel der Gesellschaft“ wäre oder „kritisch die Realität hinterfragte“, wobei es natürlich in jedem Fall darauf ankommt, „den Abend frisch zu halten“. Nicht, dass auch nur ein einziger dieser Sätze nicht mehrfach gefallen wäre auf den üppig bestückten Podien bei der Verleihung der Europäischen Theaterpreise im vorweihnachtlichen Rom. Aber – interessante Erkenntnis aus dieser italienischen Bühnenreise – selbst für Phrasen gilt offenbar eine Art Standortvorteil. In einem Festivalzentrum wie dem Palazzo Venezia jedenfalls, gleichsam zwischen antiken Säulen, wirkt noch der bewährteste dramatische Standard eher wohlig adventssedierend als berlinisch aggressionssteigernd.

Sogar die locker aus dem geborenen Entertainer Jeremy Irons heraussprudelnden Aphorismen - „I don’t live to act, I act to live“ – gehen im malerischen Fresken- Saal notfalls als des Pudels tiefenphilosophischer Kern durch. Oder das Statement von Isabelle Huppert, es komme weniger darauf an, was man in seinem Beruf mache, als vielmehr, wie man es mache. Die beiden Schauspieler, die de facto häufiger auf Theaterbühnen stehen als dem gemeinen europäischen Durchschnittscineasten bewusst sein mag, erhielten dieses Jahr den mit insgesamt 60 000 Euro dotierten Hauptgewinn des „Europäischen Theaterpreises“. Wobei Irons mit grimmigen Brexit-Witzen künstlerisch tatsächlich nahtlos zu europapolitischen Tagesaktualitäten aufschloss: Er sei zwar hoffentlich nicht der letzte Brite, der diesen Preis bekomme, scherzte er auf der Gala im Teatro Argentina unweit des Campo de’ Fiori. Aber er freue sich trotzdem, gewissermaßen prophylaktisch, es noch rechtzeitig nach Rom geschafft zu haben, bevor die Insel sich eigeninitiativ einknaste.

Eines der weltweit eigenwilligsten Theaterfestivals

Sechs Tage lang feierte die Branche das Theater und sich selbst in Rom. Tagsüber die Gesprächsrunden, abends Inszenierungen der Haupt- wie der zahlreichen Nebenpreisträger. Und zwar keineswegs nur aktueller wie Yael Ronen oder Susanne Kennedy, die, neben anderen Künstlern, jeweils für ihre Kreation „neuer theatraler Realitäten“ mit dem Innovationspreis ausgezeichnet wurden. Sondern auf dem Programm stehen gleichermaßen – Markenzeichen dieses Festivals, das mit Fug und Recht als eine der weltweit eigenwilligsten dramatischen Zusammenkünfte gelten darf – Arbeiten verflossener Sieger. Weshalb Rom anno 2017 nicht nur mit Kennedys installativen „Selbstmordschwestern“ von den Münchner Kammerspielen oder Ronens Empowerment- Show „Roma Armee“ vom Berliner Maxim Gorki Theater aufwartete, sondern auch mit einem gut in die Jahre gekommenen „Richard II“ à la Peter Stein.

Ein Programmpunkt, so mysteriös wie das Festival selbst: Seit 1987 auf Initiative der Europäischen Kommission verliehen, wanderte dieser von der EU mitgetragene „Europäische Theaterpreis“ – in unregelmäßigen Abständen – vom sizilianischen Taormina aus durch verschiedene Städte von Thessaloniki bis Wroclaw, um eben jetzt, zur 16. Auflage, ins Italienische zurückzukehren. Auswahltechnisch existiert neben einem mit sieben (männlichen) europäischen Branchen-Urgesteinen besetzten „beratenden Ausschuss“ eine 16-köpfige Jury, der unter anderem der Hamburger Thalia-Intendant Joachim Lux und die russische Kritikerin und Leiterin des Moskauer NET-Festivals für neues europäisches Theater Marina Davydova angehören.

Am Ende ist – wie auch immer – ein Repertoire herausgekommen, an dem sich tatsächlich einige signifikante Befunde über die europäische Theatergegenwart ablesen lassen. Zu den sechs Preisträgern, die sich die insgesamt 30 000 Euro für die „neuen theatralen Realitäten“ teilen, gehört neben Ronen, Kennedy, dem Theater NO99 aus Tallinn, dem slowenischen Regisseur Jernei Lorenci und dem italienischen Choreografen Alessandro Sciarroni auch der in Russland unter Hausarrest stehende Kirill Serebrennikow, dessen Stuhl in Rom demonstrativ leer bleibt.

Kennedy und Ronen stehen für zwei völlig gegensätzliche Theatertendenzen

Davydova, die ihn auf dem Podium vertritt, klärt nicht nur in erhellender Konkretion darüber auf, was es für einen Künstler anno 2017 in Moskau bedeutet: kein Telefon, kein Internet, 24 Stunden täglich in einer Mini-Studiowohnung. Sondern Davydova zeichnet auch ein komplexes russisches Gesellschaftsbild; erzählt, wie Serebrennikow von der „Schlüsselfigur“ einer vor wenigen Jahren vom Kreml gestützten künstlerischen Modernisierungsbewegung gleichsam zum theatralen Staatsfeind wurde. Und dass die Frontlinien nicht – wie die vielfach beschworene europäische „Theaterfamilie“ das gern euphemistisch denkt – zwischen einer aufgeklärten Künstler- und Intellektuellenszene einerseits und einem nationalistisch-konservativen Kreml-Establishment andererseits verliefen, sondern Haltungen und Ideologeme komplexerweise quer durch die verschiedenen Milieus gingen.

Aus deutscher Sicht zeigt sich in Rom eine Entwicklung, die zurzeit in stellvertretender Programmatik besonders Berlin oder München umtreibt: Da ist auf der einen Seite die kühle, Oberflächen zelebrierende Installationskunst einer Susanne Kennedy an der Volksbühne, die Schauspieler mit Masken und Playback entindividualisiert. Auf der anderen steht der Ensemblegeist einer Yael Ronen, die sämtliche Inhalte aus den Schauspielerpersönlichkeiten schöpft. Letztere machten das Podium in Rom denn auch zu einer ziemlich singulären Party. Nicht nur für das Publikum, sondern vor allem auch für ihre Preisträger-Regisseurin. Und zwar nahezu plattitüdenfrei.

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