zum Hauptinhalt
Keine Kunstfreiheit mit Erdogans AKP.

© Getty Images/NurPhoto (Archivbild)

„Jetzt müsst ihr so leben, wie wir es wollen“: Nach der Wahl in der Türkei eskaliert die Kulturzensur

Kommunen erteilen Auftrittsverbote an Künstlerinnen und Künstler, die sich für progressive Anliegen einsetzen oder die Opposition im Wahlkampf unterstützt haben. Sie würden nationale Werte missachten.

“Du bist rot geworden, aber rot steht dir echt gut!“ Wenn dieser Schlager durch die türkischen Nächte weht, dann ist es Sommer in der Türkei.

„Kirmizi“ heißt der Evergreen der Popsängerin Hande Yener, der auch den letzten Tanzmuffel vom Stuhl reißt. Nun könnte es sich aber bald ausgetanzt haben, fürchten Anhänger eines westlichen Lebensstils in der Türkei.

Hande Yener erhielt jetzt Auftrittsverbot bei einem Festival im westtürkischen Balikesir, und auch anderswo im Land werden seit den Wahlen im Mai reihenweise Konzerte untersagt.

Ausladungs-Grund: Einsatz für Rechte von Homosexuellen

Hat ein Künstler im Wahlkampf die Opposition unterstützt oder eine Künstlerin sich für Schwulenrechte ausgesprochen, kann das schon reichen für ein kommunales Auftrittsverbot; auch die bildende Kunst gerät unter diesen Druck.

Hande Yener sollte in Balikesir zum Höhepunkt eines kommunalen Heilkräuter-Festivals auftreten, mit dem Lavendel und Echinacea aus heimischem Anbau beworben wurden. Das Stichwort „Festival“ ließ konservative Gruppen aufmerken.

„Solche Festivals verleiten unsere Jugend zu unmoralischen Berührungen, zu Alkohol- und Drogenmissbrauch, zu Auflehnung und Rebellion“, beschwerte sich ein örtliches Bündnis, das vom Verband islamischer Mittelstandsunternehmer bis hin zu religiösen Bruderschaften reichte.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Anrufer beschwerten sich bei der Stadtverwaltung vor allem über die Einladung an Hande Yener, die als Verteidigerin der Rechte von Homosexuellen bekannt ist. Yener, ein Megastar in der Türkei, wurde daraufhin ausgeladen.

Balikesir wird von der national-konservativen AKP regiert, deren Chef der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan ist. Der Bürgermeister sei offenbar unter Druck gesetzt worden, argwöhnte die Opposition im türkischen Parlament.

Setzt Erdogans Partei die Kommunen unter Druck?

Aus der Luft gegriffen ist dieser Verdacht nicht: Der AKP-Bürgermeister einer westtürkischen Ortschaft am Marmara-Meer wurde kürzlich nach Ankara zitiert, weil er ein Konzert der Sängerin Melek Mosso erlaubt und mit ihr auf der Bühne ein Lied gesungen hatte.

Die türkische Pop-Ikone Hande Yener ist
Die türkische Pop-Ikone Hande Yener ist

© Wikimedia Commons/Emre Kara

Mosso hatte bei einer Preisverleihung kürzlich „alle unterdrückten Frauen des Landes“ gewürdigt - der Bürgermeister musste zurücktreten, „um weiteren Schaden von der AKP abzuwenden“.

In der westtürkischen Großstadt Bursa wurde der Volksmusiker Hüseyin Turan aus dem Programm eines städtischen Festivals geworfen, weil er sich im Wahlkampf zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Mai für die Opposition eingesetzt hatte.

Angriff auch auf die bildende Kunst

Turan habe damit gezeigt, dass er die nationalen Werte nicht achte, erklärte Oberbürgermeister Alinur Aktas von der AKP. Die Stadt werde nur Künstler dulden, die den „nationalen Willen“ respektierten, fügte er hinzu – mit diesem Begriff bezeichnet die AKP ihr Regierungsmandat.

Wenn euch die Bilder beunruhigen, dann geht eben nicht in die Ausstellung.

Mehmet Yilmaz, Kolumnist beim regierungskritischen Nachrichtenportal T24

Auch die bildende Kunst bekommt die kommunale Kulturpolitik der AKP zu spüren – zuletzt bei der Eröffnungsausstellung der neuen Kulturfabrik „ArtIstanbul“ am Goldenen Horn, die von der oppositionsregierten Großstadtverwaltung ausgerichtet wurde und hunderte Werke türkischer Künstler von internationalem Ruf zeigt.

Die Ausstellung verletze Moral und Werte der Gesellschaft, beschuldigte der örtliche AKP-Bezirksbürgermeister die Stadt. Vor dem Museum versammelte sich eine Menge, um gegen die „perverse Ausstellung“ zu protestieren, weil einige Bilder Männer in Frauenkleidung zeigten oder Bauchtänzerinnen vor einer Moschee. Die Ausstellung musste vorübergehend schließen.

„Wenn euch die Bilder beunruhigen, was ja in der Absicht des Künstlers liegen kann, dann geht eben nicht in die Ausstellung“, empfahl der Kolumnist Mehmet Yilmaz vom regierungskritischen Nachrichtenportal T24.

Demokratie bedeute nicht, dass nach der Wahl nur noch gesungen, gemalt oder gesagt werden dürfe, was der Mehrheit gefalle. Der Angriff auf die Kunst sei Ausdruck einer gefährlichen Einstellung, schrieb Yilmaz, die laute: „Wir haben die Wahl gewonnen - jetzt müsst ihr so leben, wie wir es wollen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false