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Erdogan am 17.11.2023 bei einer Pressekonferenz in Deutschland.

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Keine Angst vor der Dava-Partei: Wachsamkeit ist wichtig, Verteufelung falsch

Für die Abneigung gegenüber Erdogan gibt es tausend gute Gründe. Daraus sollte aber nicht der Verdacht abgeleitet werden, Deutsche mit türkischen Wurzeln seien besonders empfänglich für Demagogie.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Wenn die Sache abstrakt bleibt, nicken alle zustimmend. „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“: Das steht in Artikel 21 des Grundgesetzes. Daraus leitet sich ein verfassungsrechtlicher Auftrag ab. In einer parlamentarischen Demokratie nehmen Parteien eine wesentliche Scharnierfunktion zwischen Staat und Gesellschaft ein. Mit dem Parteienprivileg einher geht die Pflicht zur Transparenz. Es muss offengelegt werden, wer eine Partei finanziert. So weit, so gut.

Wird die Sache hingegen konkret, runzelt sich bedenkenvoll die Stirn. Wie auch jetzt, da bekannt wurde, dass sich in Deutschland eine türkeinahe Partei gegründet hat, die Dava. Das Kürzel steht für „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“.

Die Vita der Gründungsmitglieder nährt den Verdacht, dass die Dava ein Ableger der nationalistischen AKP ist, der Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Vor dessen Einfluss auf Menschen in Deutschland zu warnen, die türkische Wurzeln haben, gibt es gute Gründe, tausend gute Gründe.

Denn die Abneigung gegenüber Erdogan ist berechtigt. Deshalb muss eine Partei wie die Dava medial intensiv durchleuchtet werden. Verkehrt aber wäre es, aus dieser Abneigung den Generalverdacht abzuleiten, dass Deutsche mit türkischen Wurzeln im besonderen Maße empfänglich seien für autoritäre Demagogie. Ein solcher Verdacht spaltet, und noch mehr Spaltungen braucht Deutschland nicht.

Auf die Kombination Islam und Türkei wird besonders sensibel reagiert

Wachsamkeit einzufordern, ist das eine, etwas anderes ist es, die Sorgen vor der Dava politisch zu instrumentalisieren. Etwa um gegen die Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechtes zu wettern, wie es von der Ampel-Regierung beschlossen wurde. Aus der Union sind entsprechende Stimmen bereits laut zu vernehmen. Die ausgeweitete Möglichkeit einer Doppelstaatlichkeit sei ein „kategorialer Fehler“, heißt es. Erdogan lache sich ins Fäustchen.

Immer noch scheint ein Teil der politischen Klasse und der deutschen Bevölkerung auf die Kombination Islam und Türkei besonders sensibel zu reagieren. Da liegen Nerven blank, die sich ansonsten als durchaus belastbar erweisen. Wenn Sahra Wagenknecht mit Wladimir Putin flirtet oder Hans-Georg Maaßen mit seiner Werteunion zur Parteigründung ruft, wird das gemeinhin als exzentrische Kuriosität registriert – falsch und verschroben, aber im Rahmen des gesellschaftlich Akzeptablen. Wenn sich dagegen die hier lebenden wahlberechtigten Deutschen mit türkischen Wurzeln politisch organisieren, droht der Untergang des Abendlandes. Da wird der Ton schnell schrill.

Was will die Dava? Sie will auf Alltagsdiskriminierung aufmerksam machen, bei Bewerbungen, Behördengängen oder der Suche nach Wohnungen. Sie fordert mehr Sozialleistungen gegen Kinder- und Altersarmut. Sie plädiert für eine „pragmatische und ideologiefreie Flüchtlingspolitik“.

Über all das lässt sich streiten. Kontrovers und mit offenem Visier, wie es sich für eine Demokratie gehört. Kritiker drücken das so aus: Muslime sollen als Opfer einer rassistischen Mehrheitsgesellschaft dargestellt werden. Gegenfrage: Na und? Man muss den Vorwurf nicht teilen, um ihn als legitimen Beitrag zur politischen Willensbildung zu verstehen.

Volksverhetzung, Beleidigung, Holocaust-Leugnung, Aufrufe zur Gewalt: Das ist in Deutschland verboten und sollte ausnahmslos geahndet werden. Das gilt für jeden, der hier lebt, und jede politische Organisation, natürlich auch für die Dava. Weder gibt es mildernde Umstände durch Herkunftsprägungen noch durch Ideologie. Zum Konsens sollte es ebenfalls gehören, Antisemitismus zu verurteilen und sich von ihm zu distanzieren.

Der Islam gehört zu Deutschland. Menschen mit türkischen Wurzeln gehören zu Deutschland. Wenn sie Staatsbürger werden und sich politisch organisieren, ist das zunächst einmal zu begrüßen. Die Union besteht aus zwei Parteien, die sich als christlich definieren. Christliche CDU-Wähler haben keine anderen Rechte als islamische Dava-Wähler. Die Behauptung, Religion habe in der Politik nichts zu suchen, lässt sich in Deutschland nicht halten.

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