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Andreas Rödder

© Gestaltung: TSP, Guido Werner / Gestaltung: TSP, Guido Werner

Politik getrieben von Umfragewerten: Die schädliche Macht der Demoskopie

Permanente Umfragen tragen ein populistisches Element in die Demokratie und verhindern strategische Politik. Sie messen nicht nur Meinungen und Stimmungen, sie erzeugen sie selbst.

Eine Kolumne von Andreas Rödder

Unsere tägliche Umfrage gib uns heute! Innerhalb von vier Wochen präsentieren mindestens neun Meinungsforschungsinstitute ihre neuesten Wasserstandsmeldungen zur Sonntagsfrage, begleitet von persönlichen Beliebtheitswerten von Spitzenpolitikern und einer Myriade einzelner Themen von der Abschaffung des Bargelds bis zum Tempolimit auf deutschen Autobahnen.

Die Nachrichten sind voll von solchen Umfrageergebnissen, und dies ist das erste Problem: Umfragen messen nämlich nicht nur Meinungen, Stimmungen und Trends. Sie erzeugen sie selbst.

Hinzu kommt ein methodischer Einwand: Die Repräsentativität von Umfragen bemisst sich nach Veränderungen über Zeit, dem Vergleich zwischen verschiedenen Zeitpunkten. Das ist bei immer neuen Themen bzw. einzelnen Erhebungen allerdings nicht möglich.

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Vor allem aber tragen die permanenten Umfragen ein plebiszitäres Element in die repräsentative Demokratie. Nach dem Grundgesetz sind die auf vier Jahre gewählten Abgeordneten des Bundestages „Vertreter des ganzen Volkes“ und „nur ihrem Gewissen unterworfen“.

Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) sorgte Ende 2022 mit vermeintlich respektlosen Aussagen über Wähler für Wirbel.
Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) sorgte Ende 2022 mit vermeintlich respektlosen Aussagen über Wähler für Wirbel.

© dpa/Sina Schuldt

Annalena Baerbocks viel kritisierte Aussage, Deutschland stehe an der Seite der Ukraine, „egal, was meine deutschen Wähler denken“, war daher der repräsentativen Demokratie völlig angemessen: Sie ist auf Zeit ermächtigt, eine Politik zu vertreten, mit der sie sich nach vier Jahren wieder zur Wahl stellt.

Natürlich wird Politik immer Stimmungen und Widerstände in der Bevölkerung berücksichtigen und abwägen. Aber wenn sie sich davon abhängig macht, wären die großen Entscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik nicht möglich gewesen – von der Wiederbewaffnung über den Nato-Doppelbeschluss bis zur Agenda 2010.

Wären diese Entscheidungen heute möglich? Helmut Kohl ließ sich seine persönlichen Popularitätswerte ziemlich egal sein, und es hinderte ihn nicht daran, ein bedeutender Bundeskanzler zu werden. Allerdings wurden auch nicht ständig neue Umfragewerte über alle möglichen Kanäle verbreitet.

Dennoch zeigt der Vergleich: Das ständige Schielen auf Umfragen macht alle nervös und verhindert nachhaltige politische Führung. Sie zeichnet sich durch eine Ernsthaftigkeit gegenüber dem Amt und der Aufgabe aus, die über eigene Interessen und kurzfristiges Kalkül hinausgeht. Populistische Umfrageorientierung ist das Gegenteil strategischer Politik. Die aber braucht das Land.

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