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Russia EEF Plenary Session 8269860 07.09.2022 Russian President Vladimir Putin is seen on a screen as he attends the plenary session of the 2022 Eastern Economic Forum EEF, in Vladivostok, Russia. Grigory Sysoev / Sputnik Vladivostok Primorsky krai region Russia PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xGrigoryxSysoevx

© IMAGO/SNA

Russland wählt im Schatten des Krieges: Putin hat sein Machtsystem fest im Griff

Die Abstimmungen sind ein Schauspiel imitierter Demokratie – und doch ein wichtiges Element im Machtgefüge des Wladimir Putin. Die Opposition hat keine Chance.

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Geografisch gesehen war der Krieg, den Wladimir Putin vor gut sechs Monaten gegen die Ukraine angeordnet hat, fast 10.000 Kilometer entfernt. Doch war er natürlich eines der zentralen Themen, als der russische Präsident am Mittwoch in der pazifischen Hafenstadt Wladiwostok seine Rede vor dem Östlichen Wirtschaftsforum hielt.

Staatsgästen aus ehemaligen Sowjetrepubliken, China, der Mongolei und Myanmar unterbreitete Putin seine Weltsicht: Russland habe den Krieg nicht begonnen, sondern versuche, ihn zu beenden. „All unsere Handlungen sind darauf gerichtet, den Menschen zu helfen, die im Donbass leben“, sagte Putin und fügte hinzu: „Das ist unser Ziel - und wir werden ihm folgen bis zum Ende.“

Der Krieg, den Putin nur „Spezialoperation“ nennt, habe zu „einer Polarisierung in der Welt und innerhalb des Landes geführt“, gibt Putin zu. „Aber ich denke, das ist nur nützlich“, ist der russische Präsident überzeugt. „Alles unnütze, schädliche, das uns daran hindert, vorwärts zu schreiten, wird abgetrennt.“ Das entscheidende Ziel sei die Festigung der Souveränität Russlands.

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In seinem Krieg gegen die Ukraine sieht sich der Kreml derzeit mit wachsenden Schwierigkeiten konfrontiert. Die ukrainische Armee meldet derzeit täglich die Einnahme weiterer kleiner Dörfer im Süden des Landes auf dem Weg nach Cherson, die erste Großstadt, die die russischen Angreifer im Frühjahr einnehmen konnten. Und auch im Osten, im Donbass, soll inzwischen eine Gegenoffensive begonnen haben.

Die ukrainische Armee meldet Erfolge bei ihrer Gegenoffensive.

© dpa

Detaillierte und vor allem gesicherte Angaben zu den Kampfhandlungen sind nicht zu bekommen, doch der russische Statthalter der Region Cherson, Kirill Stremusow, hält die Lage für so unsicher, dass er das Referendum zum Anschluss an Russland erst einmal auf unbestimmte Zeit verschoben hat.

In den besetzten Gebieten der Ukraine war alles vorbereitet

Dabei sei alles vorbereitet, versicherte er in Richtung Moskau. Sergej Kirijenko, Vizechef der russischen Präsidialverwaltung, hatte bereits im August das Wunschergebnis aus der Zentrale durchgestellt. Angeblich würden Umfragen zeigen, dass in den Donbass-Regionen Luhansk und Donezk 91 Prozent der Wahlberechtigten für den Anschluss stimmen würden und in den Regionen Cherson und Saporischschja 75 bis 77 Prozent.

Der oppositionellen russischen Online-Plattform „The Insider“ war kürzlich eine Handreichung des Kremls zugespielt worden, aus der hervorgeht, dass in Moskau die Entscheidung über den Anschluss längst gefallen ist. Das Dokument enthält detaillierte Instruktionen, wie die Abstimmung zu organisieren ist.

Sie beginnt mit dem Auftrag, Umfragen zu erstellen, die das gewünschte Endergebnis als Stimmungsbild der Bevölkerung ausgeben. Sie enden mit der Anweisung, dass nach der Verkündung des Resultats Beifallsbekundungen der örtlichen Bevölkerung mit russischen Fahnen und Transparenten mit der Aufschrift „Jetzt sind wir zusammen“ zu organisieren seien.

Täuschungen sind gar nicht mehr nötig

Das alles muss nun warten. Dagegen wird bei einem anderen Schauspiel imitierter Demokratie alles nach Plan laufen. Von Freitag bis Sonntag sind 45 Millionen Russen aufgerufen, Regional- und Stadtparlamente sowie Gouverneure zu wählen. Die Staatsmacht muss es diesmal gar nicht mehr auf Täuschungen anlegen.

Die reale Opposition sitzt im Gefängnis oder wurde ins Exil getrieben, ihre Kandidaten müssen nicht erst disqualifiziert werden wie bei vergangenen Wahlen. Es braucht nicht mehr das Aussortieren angeblich ungültiger Unterschriften. Urnen müssen nicht mehr mit gefälschten Wahlscheinen gefüllt werden.

Der in Haft sitzende Kremlkritiker Alexej Nawalny hat zur Beteiligung an der Regionalwahl aufgerufen.

© dpa

Jedoch ausgerechnet der seit anderthalb Jahren in Lagerhaft sitzende Oppositionelle Alexej Nawalny hat in dieser Woche zur Beteiligung an den Abstimmungen aufgerufen. Es sei nicht der effektivste Weg, seinen Unmut mit dem Kurs des Kremls zu zeigen, gibt er zu, aber die sicherste und einfachste Möglichkeit des Kampfes in diesen Zeiten einer „wilden Hysterie“ des Kremls gegen alle Andersdenkenden.

Wer nicht zur Kremlpartei gehört, hat keine Chance

Nawalny strebt eine Neuauflage seiner Kampagne aus den zurückliegenden Regionalwahlen von 2017 an. Damals hatte er die Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, ihre Stimme klug abzugeben: Nicht den Kandidaten der Kreml-Partei „Einiges Russland“, sondern einem der anderen.

Bis auf wenige Ausnahmen waren die als Alternative zu „Einiges Russland“ antretenden Kandidaten auch damals schon keine reale Opposition. Sie gehörten zumeist Parteien an, die der Kreml duldet, weil sie die Macht nicht in Frage stellen. Doch die Aktion Nawalnys erwies sich als einigermaßen erfolgreich. In sieben Stadtteilen Moskaus schaffte es 2017 kein einziger Kandidat von „Einiges Russland“ in die Volksvertretung, in 25 Stadtteilen blieb Putins Staatspartei in der Minderheit.

Doch inzwischen wirkt das Konzept der „klugen Abstimmung“ wie aus der Zeit gefallen. Um in Moskau eine Wiederholung der Pleite von 2017 nicht zuzulassen, wurden diesmal nicht einmal Kandidaten der kremltreuen Blockparteien auf den Wahllisten zugelassen. Doch dieser Vorsichtsmaßnahmen hätte es möglicherweise nicht einmal bedurft.

In diesem Jahr werden die Abstimmungen keine Herausforderung für den Kreml, ist Konstantin Kostin überzeugt. Er leitet die kremlnahe „Stiftung zur Entwicklung der Zivilgesellschaft“, die kurz vor den Wahlen ihre Vertreter aus den Regionen nach Moskau geholt hatte, um über die Stimmung in der Provinz zu diskutieren.

Das Ergebnis: Bei diesen Wahlen gibt es nicht die geringste Chance für die Opposition, nicht einmal für die kremlnahe. Der Krieg in der Ukraine habe zur einer beispiellos hohen Konsolidierung der regionalen Eliten um die Partei „Einiges Russland“ geführt. Alle Gouverneure beispielsweise werden ohne Gegenkandidaten bestimmt.

Dennoch erfüllt auch die bevorstehende Wahl eine wichtige Funktion und ist nicht nur Fassade. Am Ende werde abgerechnet, welcher Kandidat des Kremls die Erwartungen erfüllt hat - und wer nicht, erklärte Kostin. Also: Wer als Zahnrad im Machtgefüge Putins funktioniert hat - und wer nicht. Für die Kandidaten geht es nicht nur um einen Loyalitätsbeweis, sondern um den Nachweis, dass sie die Sache des Kremls in der Provinz im Griff haben, in dem sie die gewünschten Wahlergebnisse bringen.

Wie es dagegen mit den Referenden in den besetzten Gebieten der Ukraine weitergeht, wird vom Fortgang der Offensive der ukrainischen Truppen abhängen. In Moskau gehen viele davon aus, dass sie noch im Herbst stattfinden. Aber auf ein Datum will sich niemand mehr festlegen.

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