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FDP-Chef Christian Lindner steht unter Druck, 2023 warten mehrere Landtagswahlen.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Die FDP provoziert mit System: Christian Lindners Spiel in der Ampel

Für die Liberalen war das Jahr schwierig. Kurz vor dem Dreikönigstreffen wollen sie mit neuen Themen ihre Linie schärfen und sich für die Landtagswahlen wappnen.

An dem Tag, an dem der neueste politische Aufschlag der FDP durchsickert, postet Parteichef und Ampel-Finanzminister Christian Lindner ein Foto aus dem Pferdestall. Er mistet aus. Das Bild passt in die Zeit.

Für die Liberalen war es kein gutes Jahr. Bei drei von vier Landtagswahlen hat die Partei Stimmen verloren, in Niedersachsen sind sie aus dem Parlament geflogen, im Saarland hat es für den Einzug nicht gereicht.

Ihre Anhänger fremdeln mit der Ampel. Die FDP steht unter Druck, ihre Analyse ist, dass sie sichtbarer werden muss, insbesondere mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Berlin, Bremen, Bayern und Hessen.

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In der vergangenen Woche versuchte die FDP sich bereits mit ihrer Forderung, alle Corona-Maßnahmen aufzuheben, von den Koalitionspartnern SPD und Grüne abzuheben. Mit dem Papier aus dem Finanzministerium ist ihr erneut ein Aufschlag gelungen. Offiziell stammt das durchgestochene sogenannte Non-Paper zwar von der Fachebene des Bundesfinanzministeriums, es liest sich aber streckenweise wie ein FDP-Wahlprogramm.

Lindners Leute fordern darin eine „Zeitenwende“ in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Es brauche nach einem „Jahrzehnt der Verteilungspolitik“ eine „Trendwende zur Angebotspolitik“. Eine Vermögenssteuer komme auf keinen Fall infrage, Einkommen- und Körperschaftsteuer könnten aber gesenkt werden.

Bemerkenswert ist, wie weit das Papier über die Ressortzuständigkeit des Finanzministeriums hinausgeht. Die Atomkraft müsse weiter genutzt werden, das Fracking-Verbot in Deutschland solle aufgehoben werden. Bei der geplanten Kindergrundsicherung bestünde die Gefahr, dass „Arbeitsanreize für Geringqualifizierte beeinträchtigt“ würden.  

Zeitpunkt strategisch gewählt

Der Zeitpunkt ist kein Zufall. In der kommenden Woche kommt die FDP zum traditionellen Dreikönigstreffen in Stuttgart zusammen, die nachrichtenarme Zeit zwischen den Jahren nutzt die FDP regelmäßig für neue Forderungen. Aber sie regiert jetzt in einer unliebsamen Koalition. Das verleiht dem Papier zusätzliches Gewicht.

In Fraktion und Partei wird es begrüßt. „Es ist völlig richtig, dass wir eine Zeitenwende in der Wirtschaftspolitik unseres Landes brauchen“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai dem Tagesspiegel.

Wir haben deshalb im Bundesvorstand besprochen, bei welchen Themen wir wieder mehr Flagge zeigen müssen.

Michael Theurer, FDP-Landesvorsitzender Baden-Württemberg

Der baden-württembergische FDP-Landesvorsitzende Michael Theurer erklärt die Strategie dahinter. „Die bevorstehenden Landtagswahlen sind für die FDP nicht einfach, aber es ist noch alles drin. Umso wichtiger ist es, an Dreikönig gut ins neue Jahr zu kommen und unsere Anhänger zu mobilisieren“, sagte er dem Tagesspiegel. „Wir haben deshalb im Bundesvorstand besprochen, bei welchen Themen wir wieder mehr Flagge zeigen müssen – auch wenn sie in der Bundesregierung Ressorts berühren, die wir nicht besetzen.“

Neuauflage des Atomstreits droht

Das Papier zeichnet die Konfliktlinien des kommenden Jahres vor. Vor allem in der Energiepolitik sind die Streitpunkte insbesondere mit dem Koalitionspartner Grüne offenkundig. Die Grünen verhinderten eine „vernünftige Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke“, sagte jüngst der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Kubicki.

Dem widerspricht Till Steffen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Bundestag. „Die Neuauflage des Streits ist ermüdend“, sagte er dem Tagesspiegel. „Kurzfristig bringt eine Laufzeitverlängerung nichts, weil die Brennelemente nicht zur Verfügung stehen“, sagte er, „langfristig dürfen wir uns nicht in neue Abhängigkeiten autoritärer Staaten begeben“.

Muss der Kanzler bald wieder seine Amtsautorität einsetzen?

Dass die FDP sich offenbar entschieden hat, die Atomfrage wieder aufzumachen, ist aber nicht nur für die Grünen ein Problem, sondern auch für Kanzler Olaf Scholz (SPD). Er hatte in einem Schreiben von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch gemacht und angewiesen, die drei Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland bis „längstens zum 15.4.2023“ laufen zu lassen. Damit schien der Ausstieg endgültig beschlossen.

Wenn die FDP die Frage nach Laufzeitverlängerungen auch am Kabinettstisch wieder aufmacht, dürfte der Kanzler sich mit einem Autoritätsproblem konfrontiert sehen.

Bislang hat Scholz der FDP viele Freiräume gestattet, auch weil er weiß, dass die Ampel-Koalition für sie am schmerzhaftesten ist. Doch Scholz gilt als Machtpolitiker, der intern kein Problem damit hat, Grenzen zu setzen. Der Streit zwischen FDP und Grünen könnte sich also ausweiten – zu einem Streit zwischen FDP auf der einen und SPD und Grünen auf der anderen Seite.

Für die FDP scheint der drohende Streit in der Koalition zweitrangig zu sein. Die Liberalen wollen weiter an ihrer Profilschärfung arbeiten. Für sie wird die Landtagswahl in Berlin Anfang Februar zum Gradmesser. Daran wird sie ablesen müssen, ob ihre Strategie der Sichtbarkeit erfolgversprechend ist. Oder eben nicht.

Anmerkung: In einer früheren Version des Textes hieß es, Till Steffen sei stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen. Tatsächlich ist er Parlamentarischer Geschäftsführer. Wir haben die Stelle korrigiert.

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