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Olaf Scholz beim Gipfel in Prag.

© Foto: AFP/JOE KLAMAR

Der Kanzler eckt an: Härtetest in der Krise – kann Scholz auch Europa?

Als Finanzminister lieferte Scholz seinerzeit mit dem Corona-Fonds sein europäisches Gesellenstück ab. Aber in der Energiekrise ist er jetzt als Kanzler auf EU-Ebene mehr denn je gefordert.

An der Prager Karls-Universität, gegründet im Jahr 1348, gab Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ende August einen Ausblick, wie er sich Europa vorstellt. In seiner Grundsatzrede sprach sich Deutschlands Regierungschef für ein „weltpolitikfähiges, geopolitisches Europa“ aus. Unter anderem schlug der Kanzler vor, ein gemeinsames europäisches Luftverteidigungssystem aufzubauen.

Während der Aufbau eines solchen Systems, so sinnvoll es angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine auch sein mag, eher in weiter Ferne liegt, haben die Bürgerinnen und Bürger der EU derzeit andere Sorgen. Die drängendste Frage lautet, wie sie ohne allzu große finanzielle Einbußen über den Winter kommen können und wie ihnen die Politik - Deutschland, die EU, der westliche Verbund der G-7-Staaten - dabei hilft.

Am Freitag ist Scholz erneut in Prag. Statt der Visionen wie dem Aufbau der EU-Luftverteidigung geht es beim EU-Gipfel um eben jene energiepolitischen Fragen, die für die Bevölkerung von großem Interesse sind. Bei dem informellen Treffen des Kanzlers mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, mit seinem polnischen Amtskollegen Mateusz Morawiecki und 24 weiteren EU-Partnern stehen keine formalen Beschlüsse an.

Dennoch wollen die europäischen Chefs die gegenwärtigen Kernfragen zumindest sondieren: Wie kann ein weiterer Anstieg der Gaspreise im Winter verhindert werden? Lässt sich der teure Rohstoff gemeinsam beschaffen? Und soll ein Maximalpreis bei Gasimporten festgelegt werden?

Kanzler Scholz (links) und Spaniens Regierungschef Sanchez in La Coruna.
Kanzler Scholz (links) und Spaniens Regierungschef Sanchez in La Coruna.

© Foto: Reuters/Moncloa Palace

Vor dem Treffen hat Scholz versucht, einen wichtigen EU-Partner auf seine Seite zu ziehen. Bei einem Besuch im spanischen La Coruna haben der Kanzler und sein Madrider Amtskollege Pedro Sanchez Mitte der Woche gemeinsam bekräftigt, dass das spanisch-französische Gas-Pipeline-Projekt Midcat über die Pyrenäen wiederbelebt werden soll.

Bei der Pipeline fehlt ein Teilstück auf einer Länge von 226 Kilometern, das in Hostalric nördlich von Barcelona beginnen und in der Nähe des südfranzösischen Carcassonne enden würde.  Die Fertigstellung der Pipeline würde sowohl Spanien als wichtigem Transitland für Erdgaslieferungen aus Algerien als auch Deutschland als Abnehmer helfen.

Beim Gipfel in Prag zeigt sich allerdings, dass Scholz und Sanchez ihre Rechnung ohne Macron gemacht haben. Frankreichs Staatschef stellt mit ungewöhnlich deutlichen Worten klar, dass er gar nicht daran denkt, den Fertigbau der Pipeline in seinem Land zu unterstützen.

Eher als gemeinsame Pipeline-Projekte brauche Europa in den nächsten Jahren die „Produktion von mehr Strom auf eigenem Boden und eine Strategie für erneuerbare Energie und Atomkraft“, lautet seine Botschaft. Dabei war Macron noch zu Beginn der Woche bei Scholz zu Gast im Kanzleramt gewesen.

Macrons Äußerung macht deutlich, dass sich viele EU-Partner angesichts der hohen Strompreise von Deutschland mehr wünschen als bloß das gegenwärtige Bekenntnis der Bundesregierung zum Streckbetrieb in den beiden Akw Isar 2 und Neckarwestheim 2. Doch damit nicht genug: In Prag warnt Polens Regierungschef Morawiecki vor einem „Diktat Deutschlands“ in der Energiepolitik.

Sonst werden die Länder mit mehr Haushaltsspielraum die anderen ausstechen.

Kaja Kallas, estnische Ministerpräsidentin

Auch wenn sich längst nicht alle EU-Partner so deutlich äußern wie Morawiecki, gibt es zahlreiche Vertreter, denen beim Gipfel auf der Prager Burg der Unmut über das großzügige Berliner 200-Milliarden-Paket zur Entlastung der hiesigen Gaskundinnen und -kunden anzumerken ist. „Wir müssen eine gemeinsame Lösung finden“, sagt etwa die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas. „Sonst werden die Länder mit mehr Haushaltsspielraum die anderen ausstechen.“

Der verklausulierte Verwurf von EU-Spitzenvertreterinnen wie Kallas lautet, dass sich Deutschland mit einem überdimensionierten nationalen Rettungspaket in der Gaskrise gewissermaßen freikaufe und sich gleichzeitig dem von insgesamt 15 Staaten geforderten EU-Preisdeckel für Gasimporte widersetze.

Scholz rechtfertigt sich in Prag mit den Worten, dass viele EU-Länder wie Deutschland „etwas Ähnliches jetzt und in den nächsten Jahren“ zur Entlastung der Bürger machen würden. Dass die Bundesregierung allerdings mehr Geld auf den Tisch gelegt hat als andere wie Frankreich oder Spanien, lässt der Kanzler unerwähnt.

Der niederländische Premier Rutte (rechts) zu Beginn der Woche bei Scholz im Kanzleramt.
Der niederländische Premier Rutte (rechts) zu Beginn der Woche bei Scholz im Kanzleramt.

© Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Doch es gibt auch EU-Länder, die in der Frage, ob nationale Alleingänge in der Energiekrise in Ordnung sein, eher auf Scholz‘ Seite stehen. Zu Beginn der Woche hat Scholz seinen niederländischen Amtskollegen Mark Rutte im Kanzleramt empfangen. Nach der Begegnung erklärt Rutte, dass er kein Problem hat mit dem deutschen „Doppelwumms“. Die Bundesregierung habe völlig Recht, „nationale Maßnahmen zu treffen“ gegen die hohen Gaspreise, sagt der Niederländer.

Während der gemeinsamen Pressekonferenz mit Rutte kommt Scholz seinerseits auf den Corona-Wiederaufbaufonds der EU zu sprechen. Angesichts der Frage, ob die EU wegen der schwierigen Lage in vielen Betrieben und Privathaushalten erneut gemeinsame Schulden aufnehmen solle wie seinerzeit zu Beginn der Pandemie, sagt der Kanzler, dass der Großteil der Gelder im Corona-Aufbaufonds von den EU-Staaten noch gar nicht in Anspruch genommen sei. Die Mittel könnten also jetzt, mitten in der Energiekrise, umgewidmet werden. Am Freitag, am Ende des EU-Gipfels, wird Scholz noch konkreter. 600 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbaufonds seien noch nicht verplant, sagt er. 

Es ist kein Zufall, dass Scholz den Corona-Hilfsfonds erwähnt. Als er noch Finanzminister war, hat Scholz gemeinsam mit der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) den Rettungsschirm konzipiert. Der 750-Milliarden-Fonds, bei dem die EU erstmals im großen Stil Schulden aufgenommen und Volkswirtschaften etwa in Italien am Laufen gehalten hat,  war gewissermaßen Scholz‘ europäisches Gesellenstück.

Während der Flüchtlingskrise hatte die damalige Kanzlerin Angela Merkel (links, hier mit Ungarns Regierungschef Viktor Orbán) alle Mühe mit einem gemeinsamen EU-Kurs.
Während der Flüchtlingskrise hatte die damalige Kanzlerin Angela Merkel (links, hier mit Ungarns Regierungschef Viktor Orbán) alle Mühe mit einem gemeinsamen EU-Kurs.

© Foto: dpa/Kay Nietfeld

Allerdings muss er jetzt als Kanzler zeigen, dass er es versteht, die EU-Partner gut einzubinden in nationale Großvorhaben wie die Gaspreisbremse. Merkel war der Ausgleich der europäischen Interessen zwar auch nicht immer gelungen, insbesondere auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in den Jahren 2015/16. Aber dennoch galt die Kanzlerin am Ende ihrer Amtszeit auf EU-Ebene als effiziente Krisenmanagerin.

Für Scholz beginnen nun entscheidende Wochen – in Berlin und in Brüssel. In der deutschen Innenpolitik muss der Regierungschef ein tragfähiges Konzept für die geplante Gaspreisbremse erarbeiten. Und auf EU-Ebene wird die Diskussion um eine Deckelung der Importpreise oder einen möglichen gemeinsamen Gaseinkauf, der die Tarife für die Endverbraucher ebenfalls nach unten bringen würde, weitergehen.

Entscheidende Wochen für Scholz

Einige wie der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), der CSU-Vize Manfred Weber, sind skeptisch, dass dem Kanzler eine europäische Lösung in der Energiekrise gelingt. „Die Ampel-Regierung redet viel vom gemeinsamen Vorgehen in Europa, handelt aber wiederholt recht eigensinnig“, sagte Weber dem Tagesspiegel.

„Die Alleingänge in der Energiepolitik, wie etwa jetzt auch beim 200-Milliarden-Euro-Paket, haben viele EU-Partner kalt erwischt und lösen große Irritationen aus.“ Nach den Worten des EVP-Fraktionschefs ist Deutschlands Gaspreisbremse nach „dem zögerlichen Gebaren der Bundesregierung bei der Unterstützung für die Ukraine und den Versuchen, eigene Energie-Deals zu machen, erneut ein Schritt, der bei unseren Nachbarn Sorgen weckt“.

„So sehr ein entschlossenes Handeln der Ampel notwendig wäre, so sehr ist aber auch eine enge Abstimmung innerhalb der EU nötig, um wirklich schlagkräftig zu sein“, sagte Weber weiter. Scholz müsse daher „seiner Führungsrolle gerecht werden und die ohnehin schwierige Lage in Europa stabilisieren, für mehr Miteinander sorgen und Meinungen zusammenführen. Regelmäßige Alleingänge passen nicht dazu.“

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