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Premierministerin Liz Truss und ihr Finanzminister Kwasi Kwarteng mussten auf Druck der Öffentlichkeit schon zentrale Versprechen  zurücknehmen. 

© Foto: Reuters/Stefan Rousseau/Pool

Londons Dauerbaustelle: Fehlstart für Liz Truss

Einen Monat nach ihrer Wahl kämpft die britische Premierministerin schon ums politische Überleben. Auch in der eigenen Partei ist sie nicht unumstritten.

Mag das Klischee von der „wichtigsten Rede ihrer Laufbahn“ auch ein wenig überstrapaziert sein – auf Liz Truss trifft es sicher zu. Zum Abschluss des Jahrestreffens der Tories in Birmingham tritt die Premierministerin Großbritanniens an diesem Mittwoch vor die Delegierten ihrer tief verunsicherten, gegen den Regierungskurs rebellierenden Partei.

Kaum einen Monat nach der Amtsübernahme liegen wichtige Bestandteile von Truss’ Wirtschafts- und Finanzpolitik schon in Trümmern, längst sägen schon innerparteiliche Rivalen am Stuhl der 47-Jährigen.

Truss hatte nach ihrer Amtsübernahme vom gescheiterten Vorgänger Boris Johnson als Erstes ein umfängliches Paket gegen die Energiekrise vorgelegt. Ehe die britische Politik von der Staatstrauer um Queen Elizabeth II. lahmgelegt wurde, kündigte die Premierministerin die Ankurbelung der Volkswirtschaft an.

Als Ziel gab Truss ein äußerst ambitioniertes jährliches Wachstum von 2,5 Prozent aus, eine Marke, die zuletzt unter den Labour-Regierungen (1997-2010) erreicht worden war.

Ein Delegierter beim Parteitag der Torys hält den „New Statesman“ unter dem Arm mit einer kritischen Coverstory über Truss.

© AFP / OLI SCARFF

Einzelheiten nannte der neue Finanzminister Kwasi Kwarteng in einer bescheiden als „Mini-Budget“ angekündigten Parlamentsrede Ende September. Kaum eine Woche später musste er zu Wochenbeginn einen symbolisch wichtigen Teil des umfassenden Pakets von Wachstumsanreizen schon wieder zurücknehmen.

Dabei hatten noch am Wochenende Regierungsvertreterinnen, darunter auch Premierministerin Truss selbst, unermüdlich beteuert, die Abschaffung des Spitzensteuersatzes von 45 Prozent für die Bezieher von Jahresgehältern über 150.000 Pfund (168.240 Euro) sei zwingend notwendig. Doch eine Rebellion der Fraktion, angeführt vom früheren Minister Michael Gove, zwang Kwarteng zum Kurswechsel.

„Kein toller Arbeitstag“

„Kein so toller Arbeitstag“, scherzte der 47-Jährige am Montagnachmittag in seiner Parteitagsrede, die Kwarteng unter das Motto „Wir werden Britannien in Bewegung bringen“ stellte. Gemeint war damit der Versuch, mit Steuersenkungen und massiver Neuverschuldung neues Wachstum zu ermöglichen, wie es Truss im Kampf um die Nachfolge von Boris Johnson vergangenen Sommer angekündigt hatte.

Freilich bewegte sich in den zehn Tagen seit Kwartengs sogenanntem „Mini-Budget“ alles in eine Richtung: gegen den Kurs der Regierung. Die Finanzmärkte ließen das Pfund abstürzen, Unternehmenschefs deklarierten die angekündigte Senkung der Körperschaftssteuer als unnötig, Opposition und interne Fraktionskritiker prangerten die eklatante soziale Ungleichheit an.

Bei diesem Thema droht Truss weiteres Ungemach. Die konservativen Sozialpolitiker, angeführt von Ex-Minister Damian Green, wollen nicht hinnehmen, dass die Regierung die Hilfen für Arbeitslose und Sozialhilfe-Empfänger inflationsbereinigt kürzen will. Die Maßnahme werde die Fraktion „wahrscheinlich nicht“ mittragen, kündigte Green in den Medien an; sogar Kabinettsmitglieder wie Truss’ Rivalin Penelope Mordaunt sprachen sich dagegen aus, die ohnehin mageren Sozialbeihilfen nicht der zehnprozentigen Teuerung anzupassen, wie es Ex-Premier Johnson versprochen hatte.

Einen neuen Konflikt mit den Finanzmärkten will Kwarteng umgehen, indem er die eigentlich für Ende November vorgesehene Erklärung, wie er denn das noch immer beachtliche Steuererleichterungspaket von 43 Milliarden Pfund finanzieren wolle, um mehrere Wochen vorzieht. Die Staatsschuld lag Ende Juli dem Statistikamt ONS zufolge bei 99,6 Prozent, mit steigender Tendenz.

Man kann nicht einfach mit Neuverschuldung ein Niedrigsteuerland schaffen , der bis 2016 sechs Jahre lang das Schatzkanzleramt führte

George Osborne, ehemaliger Finanzminister

Kwarteng hat zwar an der Uni Cambridge den Doktor in Wirtschaftsgeschichte erworben und gilt als blitzgescheit, neigt aber auch zur Überheblichkeit und verfügt zudem über wenig Regierungserfahrung. Ganz abgesehen von der Opposition musste er zuletzt auch von konservativen Amtsvorgängern heftige Kritik einstecken. „Man kann nicht einfach mit Neuverschuldung ein Niedrigsteuerland schaffen“, glaubt George Osborne, der bis 2016 sechs Jahre lang das Schatzkanzleramt führte.

„So was wird gern in Lateinamerika versucht, ohne Erfolg“

Härter sagt es Ken Clarke, der in den Neunzigerjahren das Amt bekleidete: Wer wie Kwarteng glaube, dass die ohnehin Reichen durch Steuersenkungen zu mehr Arbeit und größeren Investitionen angeregt würden, liege falsch: „So was wird gern in Lateinamerika versucht, ohne Erfolg.“

Tassen und T-Shirts mit dem Slogan «In Liz We Truss» der britischen Premierministerin Liz Truss liegen an einem Stand mit Merchandise Produkten.

© dpa / BENEDIKT VON IMHOFF

Aber was bedeutet das für die Position der Premierministerin? Selbst ihre härtesten Kritiker räumen ein: Da Truss die vierte Amtsinhaberin binnen wenig mehr als sechs Jahren ist, würde ihr Sturz verbunden mit der erneuten Neuwahl eines Partei- und Regierungschefs die Konservativen zum Gespött der Nation machen. Na und, erwidert darauf der einflussreiche Tory-Publizist Tim Montgomerie: „Ich bin lieber ein Witz als tot.“

Liegt in den Umfragen vorn: Labour Party-Chef Keir Starmer.

© REUTERS / Henry Nicholls

Tatsächlich sagen die Umfragen der seit gut zwölf Jahren regierenden Partei schwere Zeiten voraus. Die oppositionelle Labour-Party unter ihrem kompetent wirkenden, wenn auch wenig charismatischen Vorsitzenden Keir Starmer liegt je nach Meinungsforscher zwischen 15 und 33 Punkte vor den Torys – im britischen Mehrheitswahlrecht käme dies einem Erdrutsch gleich, der bis zu 200 Parlamentarier das Mandat kosten könnte.

Nach Truss’ Vorstellungen sollen die angekündigten Wachstumsinitiativen die wirtschaftliche und damit auch die politische Großwetterlage bis zum Frühjahr 2024 so verändern, dass die Wähler ihrer Partei dann doch noch eine Chance geben. Ob ihre Zuhörer in der Birminghamer Kongresshalle, vor allem aber die unruhigen Mitglieder der Unterhausfraktion diese Hoffnung für realistisch halten? Davon wird das politische Schicksal der Abschlussrednerin abhängen.

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