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Der russische Präsident Wladimir Putin

© Reuters/Sputnik

Rede an die Nation: Putin stimmt die Russen auf langen Krieg ein

Der russische Präsident deutet seinen Angriffskrieg zum Akt der Selbstverteidigung Russlands um. Gegen den Westen erhebt er erneut schwere Vorwürfe.

Nur noch selten ist Wladimir Putin bei öffentlichen Auftritten vor großem Publikum zu sehen. Im vergangenen Jahr ließ der russische Präsident seine große Pressekonferenz ebenso ausfallen wie die Rede zur Lage der Nation. Am Dienstag trat er mit nur wenigen Minuten Verspätung an das Rednerpult, das im Innenhof des Gostiny Dwor in Moskau aufgebaut war, eines Geschäfts- und Ausstellungszentrums in der Nähe des Kremls.

Eine Stunde und 45 Minuten sprach Putin, und die versammelte politische und gesellschaftliche Elite Russlands, deren Vertreter ihrem Präsidenten überwiegend mit versteinerten Gesichtern zuhörten, bekam vor allem Bekanntes zu hören.

Putin gab dem Westen erneut die Schuld am Krieg in der Ukraine und deutete Russlands Angriffskrieg zu einer Art Selbstverteidigung gegen die Nato um: „Sie haben diesen Krieg angezettelt. Wir haben nur unsere Stärke eingesetzt, um den Krieg zu stoppen.“ An dieser Stelle wurde Putins Rede von pflichtschuldigem Applaus unterbrochen.

Der Donbass habe 2014 um das Recht auf die eigene Sprache – gemeint ist das Russische – und für einen eigenen Staat gekämpft. Dort habe man gehofft, „dass Russland kommt und hilft“, sagte Putin. Wieder sprach er von angeblichen Nazis in Kiew, die mit Repressionen gegen den Donbass reagiert hätten. „Wir haben alles Mögliche getan, um diesen Konflikt friedlich zu lösen.“

Der Präsident behauptete sogar, die Ukraine habe vom Westen Atomwaffen haben wollen und westliche Staaten hätten „geheime Biowaffenlabore“ in der Ukraine aufgebaut – ein von Russland bereits mehrfach erhobener Vorwurf, der an gängige Verschwörungsmythen anknüpft.

Putin sagt kein Wort zu Bidens Auftritt in Kiew

Genau ein Jahr vor der Rede im Gostiny Dwor, am 21. Februar 2022, hatte Putin in einer Fernsehansprache die Anerkennung der angeblichen Volksrepubliken Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten verkündet. Der Ukraine sprach er das Recht auf einen eigenen, souveränen Staat ab. Zuvor hatte der Präsident die gesamte Führungselite vor laufender Kamera der Reihe nach gezwungen, seinen Kurs zu unterstützen.

Damit war klar, dass der russische Präsident es auf eine weitere Eskalation abgesehen hatte und die Annexion weiterer Gebiete der Ukraine vorbereitete. Drei Tage später begann die russische Armee ihren Überfall auf die gesamte Ukraine.

Doch die offenbar im Kreml gehegten Hoffnungen, innerhalb weniger Tage würde der als „Spezialoperation“ verharmloste Krieg vorbei sein, die ukrainische Führung würde kapituliert haben und Kiew unter russischer Kontrolle stehen, wurden schnell enttäuscht.

Stattdessen gingen nun einen Tag vor Putins lange angekündigter Rede Fotos des US-Präsidenten Joe Biden um die Welt, der gemeinsam mit dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj durch Kiew spazierte, während wegen eines Luftalarms die Sirenen heulten.

Doch darauf ging der russische Präsident in seiner Rede mit keinem Wort ein. Die Ansprache zielte offensichtlich in erster Linie auf das Publikum im eigenen Land. Deshalb setzte Putin erneut den Krieg gegen die Ukraine mit dem Kampf gegen den Faschismus im Zweiten Weltkrieg gleich, auf den Kinder und Enkel der russischen Veteranen von damals bis heute stolz sind.

„Es ist unmöglich, Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen.“

Wladimir Putin, russischer Präsident

In einer Umdeutung der historischen Ereignisse gab der Präsident für beide Kriege dem Westen die Schuld: Der Westen habe in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts dem Faschismus in Deutschland den Weg geebnet. „Jetzt macht er ein Anti-Russland aus der Ukraine.“ Die Verantwortung für die vielen Opfer in der Ukraine liege allein beim Westen und dem „Kiewer Regime“. Russland solle „ausgemerzt“ werden, behauptete Putin – und sagte über die Staaten des Westens: „Ihnen muss klar sein, dass es unmöglich ist, Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen.“

Sonderfonds für Familien von Gefallenen und Veteranen

Der Präsident stimmte die Bevölkerung seines Landes indirekt auf einen noch lange dauernden Krieg und weitere Opfer ein. Er dankte dem gesamten russischen Volk und den „Helden“ für ihre Tapferkeit und würdigte immer wieder diejenigen, die sich freiwillig an die Front gemeldet hatten.

Außerdem kündigte Putin einen staatlichen Sonderfonds an, um Familien von Gefallenen sowie Veteranen zu unterstützen. Sie sollen künftig beispielsweise Kuraufenthalte und vom Staat subventionierte Mieten erhalten. Zugleich betonte er, dass die russische Wirtschaft den Sanktionen standhalten könne.

Erst am Schluss seiner Rede hatte er noch eine Botschaft für den Westen: Die USA wünschten Russland eine „strategische Niederlage“, wollten aber weiterhin russische Atomanlagen inspizieren. Russland werde seine Teilnahme am Vertrag zur Verringerung strategischer Nuklearwaffen (New Start-Vertrag) aussetzen. Bereits im August 2022 hatte Russland angekündigt, vorerst keine Kontrollen seiner Atomwaffenbestände zuzulassen.

Der nun verkündete Schritt ändert also kurzfristig wenig, hat allerdings eine hohe symbolische Bedeutung. Das sogenannte „New-Start“-Abkommen ist der letzte verbleibende Abrüstungsvertrag zwischen den USA und Russland. 

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