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Nach dem Wunsch von Kanzler Scholz (SPD) und anderer europäischer Regierungschefs soll die EU ihre Anstrengungen bei der Militärhilfe für die Ukraine verdoppeln.

© IMAGO/Fotostand/IMAGO/Fotostand / Reuhl

Vom Zögerer zum Antreiber: Scholz und Waffenlieferungen für die Ukraine

Der Kanzler will beim EU-Sondergipfel an die europäischen Partner appellieren, mehr Militärhilfe für die Ukraine zu leisten. Kiew braucht zur Verteidigung vor allem Munition.

Deutschland und der Ukraine-Krieg – das ist eine Geschichte mit vielen Wendungen. In Berlin erinnern sich noch viele daran, wie zögerlich die Bundesregierung nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bei der Militärhilfe anfangs war. Der damalige polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki erklärte seinerzeit unmittelbar nach der Invasion, es müsse „ein Witz“ sein, dass Deutschland nur 5000 Helme an das ukrainische Militär übergeben habe.

Doch das Bild hat sich gewandelt. Knapp einen Monat vor dem zweiten Jahrestag des Kriegsbeginns wies Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch im Bundestag erneut darauf hin, dass kein Land außer den USA mehr für die Waffenhilfe an Kiew ausgibt als Deutschland. Die Bundesregierung hat die Militärhilfe für die Ukraine für dieses Jahr auf sieben Milliarden Euro verdoppelt.

Es kann nicht alleine an Deutschland hängen.

Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler

Dagegen lässt der Einsatz der übrigen Unterstützer nach. Nach den Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) hat die neu zugesagte Hilfe zwischen August und Oktober 2023 einen Tiefstand erreicht – sie ist um fast 90 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2022 gesunken. 

Laut dem Kieler Institut sind die USA mit einem Gesamtvolumen von 44 Milliarden Euro für den Zeitraum von Januar 2022 bis Oktober 2023 nach wie vor größter Geber von Militärhilfe an die Ukraine. Für diesen Zeitraum werden die militärischen Zusagen Deutschlands auf mehr als 17 Milliarden Euro beziffert.

17
Milliarden Euro, auf diese Summe beläuft sich das Volumen der deutschen Militärhilfe an die Ukraine im Zeitraum von Januar 2022 bis Oktober 2023

Für Scholz bedeuten diese Zahlen, dass sich seine Rolle in der EU vom Zögerer zum Antreiber gewandelt hat. Beim EU-Sondergipfel an diesem Donnerstag in Brüssel will er an die EU-Partner appellieren, mehr Militärhilfe für die Ukraine zu leisten. „Es kann nicht alleine an Deutschland hängen“, betonte der Kanzler im Bundestag.

Dass sich der Ukraine-Krieg möglicherweise noch über einen längeren Zeitraum hinziehen wird, machte Scholz mit dem Hinweis deutlich, dass Russlands Präsident Wladimir Putin auf einen Sieg des früheren Amtsinhabers Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen und „ein Ermüden in Europa“ hoffe. Es bleibe Putins Ziel, „einen Teil oder die ganze Ukraine zu erobern“.

Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen gehört zu jenen in der EU, die eine Erhöhung der Militärhilfe für die Ukraine befürworten.
Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen gehört zu jenen in der EU, die eine Erhöhung der Militärhilfe für die Ukraine befürworten.

© REUTERS/RITZAU SCANPIX

Konkreter wurde Scholz in einem Brief zum EU-Sondergipfel, den die „Financial Times“ veröffentlichte. In dem Schreiben, das auch von Regierungschefinnen und -chefs von Dänemark, Tschechien, Estland und den Niederlanden unterzeichnet wurde, heißt es, dass die EU ihre „Anstrengungen verdoppeln“ müsse.

Kritisiert wurde in dem Brief auch, dass das EU-Versprechen, bis Ende März eine Million Artilleriegeschosse an die Ukraine zu liefern, bislang nicht eingelöst wurde. „Die harte Wahrheit ist: Wir haben dieses Ziel verfehlt“, schrieben Scholz, der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala und die übrigen beteiligten Staats- und Regierungschefs. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte am Mittwoch am Rande eines Treffens der Verteidigungsminister, dass die Gemeinschaft bis Ende März von der ursprünglich zugesagten Menge an Munition voraussichtlich nur etwas mehr als die Hälfte liefern könne.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron macht bei der europaweiten Auflistung der Militärhilfe für die Ukraine eine eigene Rechnung auf.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron macht bei der europaweiten Auflistung der Militärhilfe für die Ukraine eine eigene Rechnung auf.

© REUTERS/TT NEWS AGENCY

Aufschlussreich ist indes, wer nicht zu den Unterzeichnern des Schreibens gehört: Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Spaniens Regierungschef Pedro Sanchez. Es sind wirtschaftsstarke EU-Länder wie Frankreich, Italien oder Spanien, welche die Bundesregierung im Auge hat, wenn es um eine Aufstockung der Militärhilfe für Kiew geht.  Gleichwohl betonte Scholz auch, es gehe in seinem Appell ausdrücklich nicht darum, „andere vorzuführen“.

Doch die Debatte darüber, wo die finanziellen Belastungsgrenzen anderer EU-Staaten liegen und wie viel Geld bislang jeweils in die Militärhilfe floss, ist längst da. Als sich am vergangenen Montag in Berlin Mitglieder des Verteidigungsausschusses des Bundestages und der französischen Nationalversammlung trafen, ging es auch um die Ukraine-Hilfe.

Der Vorsitzende des französischen Verteidigungsausschusses, Thomas Gassilloud, machte bei dieser Gelegenheit deutlich, dass er sich die Auflistung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft mit Blick auf den Beitrag seines eigenen Landes nicht zu eigen macht. Ende 2023 habe das Volumen der französischen Militärhilfe an Kiew 3,4 Milliarden Euro erreicht, hatte Gassilloud betont. Dies entspreche einem ähnlichen Anteil am Bruttoinlandsprodukt wie im Fall der deutschen Unterstützung.

Die Erwartung ist klar, dass Frankreich mehr für die Ukraine tut.

Joe Weingarten, SPD-Verteidigungspolitiker

Dennoch betonte der SPD-Verteidigungspolitiker Joe Weingarten: „Die Erwartung ist klar, dass Frankreich mehr für die Ukraine tut.“ Die Qualität der französischen Hilfe sei zwar unbestritten, sagte Weingarten dem Tagesspiegel weiter. „Aber Frankreich muss sich noch viel stärker in finanzieller Hinsicht engagieren. Es fehlen unter anderem Munition, Kapazitäten in der Luftverteidigung und Haubitzen.“

Die Diskussion um die gemeinsame Ukraine-Hilfe werde an diesem Donnerstag beim EU-Sondergipfel noch nicht abgeschlossen werden, betonte Scholz denn auch.

In einem Punkt hat das Drängen des Kanzlers allerdings schon Folgen gezeitigt: Frankreichs Verteidigungsminister Sébastien Lecornu kündigte an, dass Frankreich die Munitionslieferungen an die Ukraine aufstocken werde. Vor einem Jahr hatte Paris noch pro Monat 2000 Artilleriegeschosse an Kiew geliefert. Nun soll die Zahl auf 3000 erhöht werden.

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