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Tatsiana Ashurkevich

© Olga Marie

Tag der Pressefreiheit: Mit einem Rucksack ins Exil

Tatsiana Ashurkevich musste zweimal vor Diktatoren fliehen, weil sie als Journalistin frei arbeiten wollte. Erst aus Belarus, dann aus der Ukraine.

Von Tatsiana Ashurkevich

Als ich 19 Jahre alt war, hatte ich ein glückliches Leben im Kreise meiner Familie und meiner Freunde. Ich war die einzige Studentin, die im zweitgrößten unabhängigen Medienunternehmen von Belarus angestellt wurde. Ich schrieb über internationale Politik und war zuversichtlich: Ich würde immer in Belarus arbeiten und den Menschen hochwertige Informationen vermitteln. Vor mir lag ein wunderbares junges Leben, das ich meinem Land widmen wollte.

Heute bin ich 23 Jahre alt. Dank des belarussischen und russischen Diktators habe ich zwei Länder mit festem Wohnsitz gewechselt, zwei notgedrungene Auswanderungen, Bedrohungen durch die Sicherheitsbehörden und den Ausbruch des Krieges durchlebt, und mit vielen meiner Freunde und Kollegen kann ich schon lange nicht mehr kommunizieren – sie sind hinter Gittern.

Im Sommer 2021 wurde bei einem Kollegen aus meiner Redaktion eine Durchsuchung durch den KGB durchgeführt. Noch am selben Tag wurde mir zu verstehen gegeben, dass ich die nächste in der Reihe sein würde. Damals nahmen die Sicherheitskräfte in vollem Umfang Vergeltung an unabhängigen Journalisten, indem sie Strafverfahren gegen sie einleiteten und sie hinter Gitter brachten.

Einige Monate zuvor, im Mai, vernichteten sie beispielsweise das größte unabhängige Medienunternehmen des Landes, TUT.by, nahmen 15 seiner Mitarbeiter fest und leiteten Strafverfahren gegen sie ein. Am Abend vor meiner Abreise verhafteten die Sicherheitskräfte Jegor Martinowitsch, den Chefredakteur eines anderen unabhängigen Mediums, „Nascha Niwa“, und verurteilten ihn zu 2,5 Jahren Gefängnis.

Ich musste mein altes Leben schlagartig hinter mir lassen: Ich flüchtete mit einem einzigen Rucksack über eine geheime Route unter Umgehung der offiziellen Grenzposten aus dem Land. Als der Kleinbus mich aus meiner geliebten Stadt wegbrachte, versuchte ich, mir meine letzte Nacht in meinem geliebten Land im Gedächtnis einzuprägen.

Am nächsten Morgen war ich in Russland. Nach einer aufreibenden Zollkontrolle beim FSB, Schlafmangel und zwei Flügen befand ich mich schließlich in der Ukraine, dem Land, das für die nächsten acht Monate meine zweite Heimat werden sollte.

Hier verließ ich mein bisheriges Medienunternehmen und schloss mich einem Team von Exiljournalisten an, die die Sache von TUT.by weiterführen wollten. Obwohl es heute aufgrund des Drucks der Staatsorgane gefährlich ist, als politischer Journalist tätig zu sein, wurde mir klar, dass ich über die Ereignisse in Belarus nicht schweigen konnte: Ich wurde zur politischen Beobachterin und begann, über die Repressionen in meinem Land zu schreiben.

Am 24. Februar 2022 änderte sich mein Leben wieder dramatisch

Bis zum Winter 2022 konnte ich in Kiew endlich in Ruhe leben, ohne Angst vor Verhaftung aufwachen und in Ruhe meiner Arbeit nachgehen. Doch am 24. Februar änderte sich mein Leben erneut dramatisch. Um vier Uhr morgens wurde ich von einem Anruf meines Freundes geweckt, der in den Hörer schrie: „Krieg!“ Eine Minute später gab es eine Explosion vor meinem Fenster und die Autoalarme heulten laut auf.

Zu diesem Zeitpunkt konnte ich nicht glauben, dass die schlimmsten Vorhersagen der Experten tatsächlich eingetroffen waren: Putin hatte eine groß angelegte Invasion in die Ukraine gestartet. Noch schmerzhafter war die Erkenntnis, dass die Raketen, die auf ukrainischen Boden gerichtet waren, von meinem Heimatland aus abgefeuert wurden.

An die nächsten drei Tage erinnere ich mich nicht mehr so genau, aber ein Flashback ist mir gut im Gedächtnis geblieben. Es war das zweite Mal, dass ich das Land, das ich als mein Zuhause betrachtet hatte, mit nur einem Rucksack verlassen musste – genau wie im Jahr 2020.

Was stimmt nicht mit der Welt, wenn zwei Diktatoren über mein Leben bestimmen?

Und der Grund dafür blieb derselbe – der Autoritarismus in Belarus und Russland. Im Jahr 2020 hatte Putin Lukaschenko bereits unterstützt, dem es mit Hilfe von Gewalt und Sicherheitskräften gelang, die Macht im Land zu behalten, indem er seine Gegner inhaftierte und aus dem Land warf. Am Morgen des 24. Februar, während meine Messenger vor Nachrichten platzten, dachte ich darüber nach, was mit der Welt nicht stimmt, wenn zwei Diktatoren mein Leben bestimmen und mich dazu bringen, erneut aus dem Land zu fliehen, das ich liebe.

Das dritte Land meines Aufenthalts war Deutschland. Meist wissen die Leute hier zu wenig darüber, was in meinem Land vor sich geht. Wenn sie mich bitten, ihnen zu erklären, was ich hier tue und warum ich nicht zurückkehren kann, öffne ich einfach den Newsfeed und lese die neuesten Urteile für Journalisten vor.

Einer der lautesten Fälle ereignete sich am 17. März, dem Tag, an dem die Chefredakteurin Marina Zolotova und die Direktorin von TUT.by Liudmila Tschekina zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Doch trotz dieser Verfolgung durch die Behörden arbeiten viele Journalisten im Ausland weiter, auch wenn sie zum Ortswechsel gezwungen sind, von Sicherheitskräften bedroht werden und ihre Angehörigen unter Druck gesetzt werden.

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