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MATIERE(S) PREMIERE(S), Choregraphie Anne Nguyen, Assistant choregraphe Pascal Luce, Conseil artistique Didier Boko, Creation lumiere Marie Ducatez et Matthieu Marques, Costumes Simon Huet, Theatre Andre Malraux Chevilly Larue, le 31 mars 2023.
Interpretes : Ted Barro Boumba (alias Barro Dancer), Dominique Elenga (alias Mademoiselle Do), Mark-Wilfried Kouadio (alias Willy Kazzama), Jeanne D Arc Niando (alias Esther), Grace Tala, Seibany Salif Traore (alias Salifus)
(photo by Patrick Berger)

© Patrick Berger

Am Puls Afrikas: Urban Dancers begeistern bei den Potsdamer Tanztagen

Die fabrik Potsdam vibrierte vom Tanz- und Rhythmusfeuerwerk, das die sechs Urban Dancers von der Pariser Par Terre Dance Company von Anne Nguyen in der Deutschlandpremiere von „Matière(s) Première(s)“ am Samstagabend entfesselten. 

Von Astrid Priebs-Tröger

Bei den Potsdamer Tanztagen traten am Samstag die Urban Dancers der Pariser „Par Terre Dance Company“ von Anne Nguyen in der Deutschlandpremiere von „Matière(s) Première(s)“ auf. Während zur Eröffnung der Tanztage die originäre Tanzwut noch auf sich warten ließ, spürte man hier vom ersten Moment an, wie essenziell Tanz, Bewegung und Rhythmus bei diesen Performer:innen sind, die alle der Urban-Dance-Szene entstammen und zum ersten Mal mit der vietnamesisch-französischen Choreografin Anne Nguyen zusammenarbeiteten.

„Barro Dancer“, „Mademoiselle Dó“, „Willy Kazzama“, „Esther“, „Salifus“ und Grâce Tala haben bisher im urbanen Raum und auf Battles beziehungsweise in Youtube-Videos getanzt, und die Choreografin hat sie gezielt für „Matière(s) Première(s)“, was auf Deutsch Rohstoffe bedeutet, engagiert.

Mit diesem Stück will sie unter anderem zeigen, wie reichhaltig, divers und roh die verschiedenen Tanzsprachen Afrikas sind, wie sie im kurzen Vorgespräch sagte. Diese seien stark von den jeweiligen lokalen Tanztraditionen geprägt und hybridisierten sich ihrerseits, wenn die Tänzer:innen aus unterschiedlichen Ländern Afrikas in Paris ankommen, um dort zu leben und zu tanzen. Sie müssten sich zudem sowohl untereinander als auch mit dem westeuropäischen Publikum verständigen.

Urbane Tänze finden zwar inzwischen weltweit Anklang, doch wenn man genauer hinschaut, merkt man schnell, wie wenig man eigentlich von ihren Ursprüngen und ihrem Eingebettetsein in soziale Räume und gesellschaftliche Verhältnisse versteht.

Viele Gesten und Bewegungen sind nicht eindeutig zu entschlüsseln beziehungsweise zu übersetzen. Wie beispielsweise Geisteraustreibungen oder auch die Darstellung von Geschlechterrollen. Bei Nguyen tanzen zuerst die Männer mit einer Frauenhand auf dem Kopf, und später passiert dies umgekehrt. Und es ist, als müsste man, wenn man sich denn wirklich darauf einlassen will, viele neue (Tanz-)Sprachen und Bedeutungen lernen. „Matière(s) Première(s)“ schafft nicht nur dafür ein Bewusstsein.

Denn die eurozentristische Haltung zur Welt hat noch immer koloniale Züge und nicht nur wichtige Rohstoffe, sondern auch Menschen und ihre Kulturen werden nach Belieben aufgesogen respektive ausgebeutet. Und während die sechs Urban Dancers im Stück zum Ende hin plötzlich paarweise europäisch tanzen, zeigt das einmal mehr, wie einseitig Integration immer noch funktioniert.

Quirlige Straßenszenen mit viel Rhythmus

Davor aber gibt es quirlige Straßenszenen mit sehr viel Rhythmus und auch Anklängen von Gewalt. Ted Barro Boumba, Dominique Elenga, Mark-Wilfried Kouadio, Jeanne D´Arc Niando, Grăce Tala und Seibany Salif Traore – so ihre ursprünglichen Namen – sind Meister:innen ihres Fachs und der Körperbeherrschung. In den immer wieder aufploppenden Solos können sie ihre tänzerische Individualität zeigen. Die überbordende Energie, die sie ausstrahlen, wurde im Nu vom Festival-Publikum aufgesogen.

Anne Nguyens Beziehung zu Afrika entwickelte sich über mehrere Etappen. 2003 lernte sie die Demokratische Republik Kongo kennen. 2004 und 2008 war sie wieder in Kinshasa, um junge urbane Tänzer auszubilden und ihre Arbeit zu präsentieren. Außerdem beteiligte sie sich an Entwicklungsinitiativen in den Bereichen Kultur und Bildung, sowohl in französischen Arbeitervierteln von Champigny-sur-Marne als auch in Kamaté in Benin.

Die Choreografin war zum ersten Mal bei den Potsdamer Tanztagen zu Gast. So wie sie diese Truppe aus Einzelkämpfer:innen zusammenschweißte, und wie sie modernen urbanen Tanz mit traditionellen afrikanischen Elementen wie zum Beispiel A-capella-Gesang verband, kann man nur hoffen, dass sich daraus eine regelmäßige Zusammenarbeit entwickelt.

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