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Die Eröffnung der Potsdamer Tanztage.

© Marc Domage

In die Röhren schauen : Potsdams Tanztage beginnen mit Deutschlandpremiere von Mette Ingvartsen

In seiner 33. Ausgabe will das Festival nach Afrika und Osteuropa schauen. Zum Auftakt aber kreist die dänische Choreografin Mette Ingvartsen um sich selbst.

Nackte Haut und Neonröhren. Dunkle Bühne und grelle Streiflichter. Größte Monotonie bei höchster Reizüberflutung: Der Auftakt der 33. Potsdamer Tanztage zeigte Freude an Gegensätzlichkeit.

Die dänische Choreografin Mette Ingvartsen war aus Brüssel gekommen, im Gepäck eine Arbeit von 2019: „Moving in Concert“. Ein Stück, das sich der Selbstauskunft des Programmzettels zufolge anschickt, zu untersuchen, „wie Körper durch das Leben in einer digitalisierten Welt sensorisch beeinflusst werden.“

Wer da anmerken wollte, es sei kein allzu gutes Zeichen, wenn sich die Rezensentin an Programmheftprosa festhalte, liegt richtig. Die Lichtsignale, die Mette Ingvartsen in dieser deutschen Erstaufführung aussendet, verlieren sich wie bedeutungshungrige Morsezeichen im gefräßigen Bühnendunkel. Bald schon beschleicht einen das Gefühl, hier sollten immerfort kodiert bedeutsame Dinge herübergefunkt werden: Nur zu einer lesbaren Message zusammenfügen will sich das Ganze nicht. Und bedauerlicherweise auch nicht zu einem sinnlichen Tanztheaterereignis, dem man die Unknackbarkeit seiner Bildsprache ohne Weiteres nachgesehen oder vermutlich gar nicht erst angekreidet hätte.

Bedauerlich ist das, weil die Verdienste dieses Tanzfestivals, das seit über dreißig Jahren internationalen Tanz in die Potsdamer Schiffbauergasse holt, für die Brandenburger Tanzszene gar nicht zu überschätzen sind. An der fabrik, dem Hauptveranstaltungsort, begegnete man oft schon Künstler:innen, bevor sie andernorts zu Ruhm und Ehren gelangten.

Während der Pandemie stemmte Leiter Sven Till gar die längste Ausgabe der Festivalgeschichte: sieben Monate lang. Die Tanztage sind selbst eine Sache mit Leuchtcharakter: Davon zeugte auch die Tatsache, dass Kulturministerin Schüle selbst da war, um zu eröffnen. Warum nur hat man gerade zum Auftakt auf ein Stück gesetzt, das sich, im Wortsinn, so stark um sich selber dreht?

Fackelträger? Höhlenkünstler? Prometheus?

Zu Anfang kommen die neun Tänzer:innen, nackt bis auf Turnschuhe, durch den Saal des Hans Otto Theaters auf die Bühne. Die ist schon gefüllt mit Sprachfetzen aus dem Off: Hier und da sind einzelne Worte zu verstehen, vor allem aber ergibt das eine Verlängerung des Gebrabbels im Saal vor Beginn.

Acht Neonröhren liegen bereit. Als die Tänzer:innen sie aufheben, bricht ein viel stärkeres Rauschen los: Durch ein vertikales schwarzes Rohr prasseln Sandkörner herab. Eine Art Regenmaschine, lauter als alles andere. Das ohrenbetäubende Grundrauschen in durchdigitalisierter Zeit?

In den ersten Minuten erinnern die Leuchtkörper an Fackeln, die Silhouetten der Träger:innen momentweise an steinzeitliche Höhlenkünstler oder den mythischen Flammenträger Prometheus. Oder an uniform aufgestellte Fackelträger der 1930er Jahre: Auch um Schwarmintelligenz (oder ihr Gegenteil) geht es hier.

Dann werden die verschiedenen formalen Möglichkeiten durchdekliniert, die diese Lichtquellen bieten. Einzeln im Dunkeln schwebend sehen sie aus wie Barcodes. Man kann einen Kreis daraus formen oder ein Achteck. Man kann aber auch zwei ineinander verkantete Vierecke bilden, in denen die Performer:innen aussehen, als würden sie durch einen Bildschirm steigen: den selbst gesetzten Rahmen verlassen. Triumph der Körperlichkeit über Digitalität, ja!

Selbstreferenzielle Kreisel

Bald aber wird das sehr monoton, ein echter Härtetest für die auf der Bühne und die davor. Da drehen sich die neun Performer:innen viele Minuten lang um die eigene Achse, je eine Röhre an ausgestreckten Armen vor sich haltend. Eine Tänzerin hält keine Neonröhre, sondern einen knorrigen Ast. So drehen sie sich, die Röhren färben sich Rosa, Orange, Gelb und Rot, Bässe wummern, jemand taumelt, aber sie drehen sich immer noch.

Irgendwann kommen zu den Bewegungen Schreie. Befreiend wirkt das nicht. Hilferufe? Aus den selbstreferenziellen Kreiseln befreien aber können die Tänzer:innen nur sich selbst.

In Potsdam war die dänische Choreografin Mette Ingvartsen noch nie, aber in Berlin kennt man sie gut: Einerseits war da 2020 die menschenlose Performance „evaporated landscapes“, andererseits „The Dancing Public“, inspiriert vom historischen Phänomen der Tanzwut. Und man mag sich auch an „The Red Pieces“ erinnern, 2017 an der Volksbühne, eine Auseinandersetzung mit Pornografie.

Von Pornografie ist in „Moving in Concert“ nichts zu sehen –, von Tanzwut aber auch viel zu wenig für ein Festival, das diese feiern will. Zu seinem Glück ist dies ja erst der Anfang: Bis 11. Juni bleibt genügend Zeit, um den Verdacht abzuschütteln, zeitgenössischer Tanz sei vor allem eine ziemlich verkopfte Sache.

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