zum Hauptinhalt
Die Potsdamer Autorin Julia Schoch.

© imago images/Sabine Gudath

Bloß die Liebe, die Zeit: Der neue Roman von Julia Schoch

„Das Liebespaar des Jahrhunderts“ sieht einer Verliebtheit beim Sturz in den Alltag zu. Und überrascht mit der Einsicht: Tragische Liebe muss nicht tödlich enden.

Wer hat bloß die ungeschriebene Regel aufgestellt, dass große Liebesgeschichten immer tragisch enden müssen? Ist nicht gerade die wirklich große Liebe oft erstaunlich einfach, etwas Selbstverständliches, gerade Zwangsläufiges, weil schlichtweg Alternativloses? So eine Liebe beschreibt Julia Schoch in ihrem neuen Buch. „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ heißt es großmütig. „Wir machten uns lustig über den Ernst und die Tragik, mit denen die meisten Liebesgeschichten in der Literatur oder in Filmen enden“, heißt es hier einmal. „Dabei war doch alles so einfach!“ 

Der Satz steht auf Seite 28. Auch wenn der Roman keiner strengen Chronologie folgt, beschreibt er den Anfang dieser Liebe. Alles ist noch frisch, unbelastet, die Verliebten Studenten. Sie haben sich auf dem Campus kennengelernt, verbringen ihre Tage mit Ausfahrten aufs Land, bringen ein selbstverfasstes „Manifest der radikal Liebenden“ unter die Leute. Taumeln durch den ersten gemeinsamen Sommer und schließen einen Pakt. „Wenn wir drei Jahre schaffen, sehen wir weiter.“

Keine literarischen Schnörkel

Das Paar wird 31 Sommer mit einander verbringen. Keine Erkenntnis, die am Ende steht, sondern im Buch ganz vorn. Julia Schoch knallt die harten Fakten gleich auf den Tisch, um den Blick frei zu haben für die eigentliche Fragen. Nicht was geschah, sondern wie, darum geht es hier. Wenn Spannung gleichbedeutend mit Geheimnis ist, dann verfolgt Schoch das Gegenteil. Sie sucht die absolute Klarheit. Bis in die teils fast spröden Hauptsätze hinein verweigert sie sich jedem literarischen Schnörkel. Als sollte nichts ablenken vom konzentrierten Blick auf das, was zu sagen ist. Auf das, was war.

Wir waren das Paar, über das die Filme schwiegen. Wir wollten einen anderen Film sehen, ein anderes Buch lesen. Aber diesen Film, dieses Buch gab es noch nicht.

Julia Schoch, „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ 

Im 2022 erschienenen Roman „Das Vorkommnis“, dem ersten Teil der Trilogie „Biographie einer Frau“, taucht zu Beginn eine unbekannte Halbschwester auf. Hier, im zweiten Teil, steht der alles entscheidende Satz in der ersten Zeile. „Ich verlasse dich.“ Es ist nichts, was die Erzählerin ausspricht, sondern etwas, das sie mit sich herumträgt. Über Jahre. Inwiefern ist eine Entscheidung, die nicht verbalisiert wurde, dennoch schon Fakt? Was macht das mit den Beteiligten? Auch darum geht es hier.

Schochs neuer Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ erscheint am 16.2. im dtv-Verlag.
Schochs neuer Roman „Das Liebespaar des Jahrhunderts“ erscheint am 16.2. im dtv-Verlag.

© dtv Verlag / dtv Verlag

Privatestes pinzettengenau

In dem der Roman Privatestes mit Pinzettengenauigkeit beschreibt, beschreibt er schmerzlich Allgemeingültiges. Er spiegelt, worin wer lebt, liebt oder mal geliebt hat, sich wiederfinden muss: unausweichliche Vergänglichkeit. Die der Verliebtheit. Der Kindheit. Der Jugend. Vielleicht, aber tatsächlich nur vielleicht, auch der Liebe. Nüchtern sieht man dem liebestaumelnden Studentenpaar beim Sturz in den Alltag zu. Als Paar, später als Familie. „Das Unglück ist nicht über uns hereingebrochen, es ist langsam in uns eingedrungen“, heißt es einmal. „Wie bei den alten Griechen hatten wir ihm bewusst aus dem Weg gehen wollen und waren dabei geradewegs in es hineingelaufen.“

Das Unglück zeigt sich erst in kleinen Unaufmerksamkeiten, später in Ignoranz. „Wann habe ich zum ersten Mal weggehört, als du beim Abendbrot von deiner Arbeit erzählt hast? Ich weiß es nicht, aber ich weiß noch, dass ich nachts im Bett deswegen weinte.“ Schon bevor das zweite Kind auf die Welt kommt, trägt sich die Erzählerin mit Trennungsgedanken. Statt Trennung das zweite Kind. Das Paar wird nicht wieder zum Paar, aber die Familie wächst. Die Wohnungen werden größer.

Nichts, das verhandelbar wäre

Die Liebenden wähnen sich unangreifbar, und sind es doch längst. „Die kriegen uns nicht“, lautet ein Satz. „Sie“, der Alltag, die Gewöhnung, kriegen das Paar doch. Das ist die Tragik dieses Paares, vielleicht jeder Liebe, die nicht mit einem Abspann endet. „Unsere Liebe fing dort an, wo die Filme aufhörten“, schreibt sie. „Wir waren das Paar, über das die Filme schwiegen. Wir wollten einen anderen Film sehen, ein anderes Buch lesen. Aber diesen Film, dieses Buch gab es noch nicht.“

„Das Liebespaar des Jahrhunderts“ ist nichts weniger, als der Versuch, diese Lücken zu schließen. Der Roman wagt die These: Tragische Liebe muss nicht tödlich enden. Sie kann genesen. Aber bevor es sachte aufwärts geht, geht es weiter bergab. Die Erzählerin wird krank. Ihr Partner ist mitfühlend, allerdings vor allem „aus Höflichkeit“. Sätze wie „Beim Guten-Morgen-Sagen zitierten wir ein Lächeln“ tun weh. Was am meisten wehtut: Dass ein Paar hier ohne Not auseinanderdriftet. „Wir führten keinen Rosenkrieg. Es ging um nichts, jedenfalls um nichts, das verhandelbar gewesen wäre. Bloß um die Liebe, die Zeit.“

Hier triumphiert am Ende das Nicht-Verhandelbare. Die Liebe. Wie von weit, weit weg, sieht die Erzählerin eines Tages ihren Mann eine Grabrede halten (ausgerechnet) und schreibt verwundert: „All das war inzwischen aus dir geworden.“ Und dann steht da dieser Satz: „Plötzlich war mir nicht mehr klar, ob etwas aufhört oder beginnt.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false