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© Andreas Hueck

Das Zeitalter der Fische: Das Poetenpack spielt „Jugend ohne Gott“

Ödön von Horváth analysierte 1937, was der Faschismus aus Menschen macht: eiskalte Mitläufer. Das Poetenpack macht daraus aufrüttelndes, intimes Theater.

Richtige Kälte kommt immer ohne Vorwarnung. Eben noch war es behaglich, plötzlich fühlt es sich an, als habe man Wärme nie gekannt. Beim ersten Schnee ist das so, und bei den Texten von Ödön von Horváth. Gerade noch glaubte man sich eingebettet in gesellschaftlichen Zusammenhalt, Familienbande, Freundschaften, vielleicht auch die Liebe. Dann sitzt man in einem Horváth-Theaterabend und fühlt sich, wie die auf der Bühne, aus allen Zusammenhängen entlassen.

Kalte Mitläufer ohne Mitgefühl

Der Potsdamer Abend in der Zimmerbühne, der das auf aufrüttelnde Weise vermittelt, ist eine Inszenierung des Poetenpacks. Eine Bühnenfassung des Romans „Jugend ohne Gott“ von Petra Wüllenweber, nur knapp anderthalb Stunden kurz. Horváth schrieb den Roman 1937. Es ist die auf den Mikrokosmos Schule heruntergebrochene glasklare Analyse dessen, was die faschistische Ideologie aus den Menschen macht: kalte Mitläufer ohne Mitgefühl. Bei Horváth: Mitschwimmer. Hier heißt das neue Zeitalter „das Zeitalter der Fische“.

Im Mittelpunkt steht ein Ich-Erzähler, ein namenloser Lehrer (André Kudella). Einer, der mit der faschistischen Doktrin hadert, ihr aber nicht entgegentritt. Zwar beschreibt er mit Sorge, wie seine Schüler in Aufsätzen Afrikaner zu Untermenschen erklären - aber weil im Radio genauso geredet wird, lässt er das so stehen. Dass die halbherzigen Versuche, christlich zu argumentieren („Es sind doch auch Menschen“) dem Lehrer im Buch den Spitznamen „Neger“ verschafft, wird hier nicht thematisiert.

Kurze Szenen, wendige Spieler:innen

Regisseurin Andrea Pinkowski lässt den Lehrer anfangs von der hohen Bühne ins Publikum sprechen, wie von der Kanzel herab. Die Schüler sitzen bei uns, im Saal. In kurzen, bewegten Szenen jagt die Regie durch die Geschichte. Wie die Schule zu einem militärischen Ausflug in den Wald aufbricht. Wie sich dort die Schülermasse in Individuen auffächert: der besonders gesinnungsfeste N. (Jacob Meinecke), der sensible Z. (Jona Hansen), der nachts Tagebuch schreibt und sich im Wald heimlich mit einem Mädchen trifft: Eva (Jasmin Loreen Besemer).

Spielerisch ist das so stark und in dem kleinen Saal so intim, dass das nicht einmal die im zweiten Teil arg peitschenden Streichermelodien stören können. Jacob Meinecke und Jona Hansen sind beeindruckend wendig, energievoll, wandelbar, und wie Jasmin Loreen Besemer die Eva spielt, ist eine wirkliche Wucht: verängstigt, wild, zärtlich, unerklärlich. Marianna Linden ist eine gestrenge Direktorin mit Mutterherz, dann Richterin, und zuletzt die Mutter eines Selbstmörders.

André Kudella gibt den Lehrer mit einem Grundton der Verwunderung: Als wüsste er selbst nie so recht, was da eigentlich passiert. Diese Ambivalenz passt, denn: Die wichtigsten Fragen lässt Horváth unbeantwortet. Warum begeht der Lehrer den zentralen Tabubruch und liest heimlich das Tagebuch des Z.? So wie André Kudella es spielt, denkt man: Weil er es eben kann. Später wird ein Mord geschehen, womöglich aus den gleichen Gründen: Weil die Gelegenheit sich bietet. Dem Lehrer zufolge hat der Täter „Fischaugen“. Aber hat er selber nicht welche? Horváthscher Schauereffekt: Als das Saallicht wieder angeht, meint man sie überall zu sehen.

Wieder am 18. und 19. sowie am 26. und 27. November in der Zimmerstraße 12c

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