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„Abend für Israel“ mit der israelischen Künstlerin Sharon Kotkovsky und der deutsch-israelischen Dramaturgin Anna Michelle Hercher sowie Paul Sies, Kristin Muthwill und Franziska Melzer (v.l.n.r.). Vor Bettina Jahnke.

© Erna Schielden

Ein Abend für Israel: Potsdamer Hans Otto Theater durchbricht „ohrenbetäubende Stille“

Nach dem Terrorangriff der Hamas blieb es in der hiesigen Kulturszene erstaunlich ruhig. Aber am Dienstag sendete das HOT ein lautes Zeichen der Solidarität mit Israel.

Dass das Hans Otto Theater schnell sein kann, wenn die Wirklichkeit es verlangt, zeigte es im März letzten Jahres. Nur eine Woche nach Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine hob es einen Solidaritätsabend auf die Bühne der Reithalle. Mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober erreichte der israelisch-palästinensische Konflikt eine neue Eskalationsstufe. Und wieder war das Hans Otto Theater schnell. Genau einen Monat später am Dienstag (7.11.) zeigte es „Ein Abend für Israel“ mit der israelischen Künstlerin Sharon Kotkovsky und der deutsch-israelischen Dramaturgin Anna Michelle Hercher sowie Paul Sies, Kristin Muthwill und Franziska Melzer aus dem Ensemble des HOT.

Anders als im letzten Jahr in Bezug auf die Ukraine ist es im Nachgang des 7. Oktober erstaunlich still geblieben in der hiesigen Kulturszene. Kulturministerin Manja Schüle, der es wichtiger war, am Dienstagabend im Publikum der Reithalle zu sitzen, anstatt wie ursprünglich vorgesehen die Eröffnungsrede im zeitgleich stattfindenden Festival Unidram zu halten, sprach am Rande von einer „ohrenbetäubenden Stille“ in der Kulturszene. Es sei beglückend, dass Potsdams Theater diese mit dem „Abend für Israel“ durchbreche. Wo aber bleiben die Wortmeldungen der Theater, Clubs und Festivals, wo die Solidaritätskonzerte der großen Orchester, die es für die Ukraine gab? Das fragt sich nicht nur Ministerin Schüle.

„Wer zu viel Angst davor hat, etwas falsch zu machen, macht nichts“, sagt Bettina Jahnke, deren Inszenierung von Wajdi Mouawads „Vögel“ sich 2020 mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt auseinandersetzte. „Meine Devise ist: einfach machen.“ Das Hans Otto Theater wolle ein Zeichen setzen, sagt sie zur Eröffnung. Das Theater wolle ein Ort sein, „an dem sich alle Jüdinnen und Juden sicher und geborgen fühlen können.“ Der Abend vermeidet Israel-Flaggen ebenso wie gehetzten Aktualitätsanspruch. Strahlt Ruhe aus, ohne elegisch zu werden. Hier herrscht kein Pathos, sondern Trauer.

„Singt das Lied des Friedens“

Das vielleicht Traurigste an einem Abend über die aktuelle Bedrohung Israels ist, wie umstandslos Texte verwendet werden können, die Jahre oder Jahrzehnte alt sind. Statt den Daseinsgrund des Landes zu referieren, wird ein Lied eingespielt, auf Jiddisch. Auf Deutsch heißt es „Das Kälbchen“. Ein Kalb wird darin vom Bauer zum Schlachter gefahren. Als es sich wehrt und schreit, sagt der Bauer: „Wer hat dir gesagt, dass Du ein Kalb sein musst? Du hättest ja auch ein Vogel sein können.“ Dazu lacht der Wind im Kornfeld, „und lacht und lacht und lacht“. Geschrieben wurde das von zwei Juden im Jahr 1940.

„Es kommt zurück“, lautet der programmatische erste Satz dieses Abends, gelesen von Franziska Melzer. Er stammt aus Zeruya Shalevs 2015 erschienenem Roman „Schmerz“. Die Geschichte einer Israelin, die, wie die Autorin selbst, bei einem Selbstmordanschlag stark verletzt wird und mit den Folgen leben muss. „Krieg ist die beständigste Komponente des Lebens“ heißt es in einer Rede, die der israelische Schriftsteller David Grossmann 2015 über das Leben in Israel gehalten hat. Wer an den Frieden glaube, gelte als naiv, „als Verräter“, sagt er. Und dass Israel beides brauche: eine starke Armee und den Frieden.

Eine Israelin, die in Potsdam lebt, beschreibt in einem Brief, wie sich der Angriff der Hamas für sie anfühlt. „Das Konzept eines schützenden Israels ist in die Brüche gegangen“, heißt es dort. „Ja, es ist möglich, die Gründung eines palästinensischen Staates zu verteidigen und die Hamas zu verurteilen.“ Und: „Fühlt Trauer, nicht Rache.“ Am Ende die Stimme der israelischen Schlagersängerin Daliah Lavi aus dem Off: „Shir Lashalom“ von 1971. Die deutsche Übersetzung wird verlesen, eine Zeile wird mehrfach wiederholt. Sie lautet: „Singt das Lied des Friedens / mit einem großen Schrei.“

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