zum Hauptinhalt
Das war der Krieg vorbei. Der Regiseur G.W. Pabst 1950 in Wien.

© IMAGO/Pond5 Images/IMAGO/xLIFE_Picture_Collectionx

Kehlmann las im Potsdamer Waschhaus: „G. W. Pabst war definitiv kein Nazi“

Daniel Kehlmanns Roman „Lichtspiel“ über den Regisseur G.W. Pabst ist ein Bestseller: Es geht um die Suche nach Haltung. Der Autor las in Potsdam daraus, zwei Wochen nach der Adlon-Affäre.

Wozu mit Superlativen sparen? „Lichtspiel“ sei der beste Roman des Jahres 2023, sagt Moderator Thomas Böhm eingangs, ausgangs gleich nochmal. Hendrik Röder vom Brandenburgischen Literaturbüro spricht vom „literarischen Höhepunkt in dieser Stadt in diesem Jahr“, dabei ist besagtes Jahr gerade 25 Tage jung. Und auch jener Mann, den die Lesung im Waschhaus anderthalb Stunden lang umkreisen wird, bekommt einen Orden: „Niemand konnte besser schneiden.“

Die Rede ist von G. W. Pabst (1885-1967). Einer der großen Regisseure der Weimarer Republik, seine Nähe zu Bertolt Brecht („Die Dreigroschenoper“), seine pazifistischen Filme („Westfront“) hängten ihm den Beinamen „der rote Pabst“ an. Daniel Kehlmann hat diesen Pabst in seinem jüngsten Buch zur Hauptfigur erkoren. Im Waschhaus las Kehlmann daraus. Stichwort Superlativ: Kehlmanns Roman „Die Vermessung der Welt“ ist seinem Verlag zufolge „eines der erfolgreichsten deutschen Bücher der Nachkriegszeit“, auch „Lichtspiel“ schaffte es nach Erscheinen im Oktober sofort auf die Bestsellerlisten.

Daniel Kehlmann, Autor von „Lichtspiel“.
Daniel Kehlmann, Autor von „Lichtspiel“.

© Heike Steinweg

Dass die Waschhaus-Arena voll ist, die Schlange am Autogrammtisch lang, liegt sicher nicht nur an dem Bestselling-Beigeschmack, sondern auch am Thema des Romans: Wie überleben in einem totalitären Staat? Als Filmschaffende aus Deutschland in großer Zahl das Weite suchten, kehrte G.W. Pabst, selbst im Ausland seit 1933, zurück nach Nazi-Deutschland. 1939, im September. Ein Zufall, so heißt es. Hitlers Einmarsch in Polen verhindert die Ausreise. Aber: Während viele Filmschaffende im KZ landen, dreht Pabst weiter. Vier Filme entstehen bis 1945. Wie konnte er?

Das war es, was Kehlmann interessierte: Pabsts „umgekehrte Migrationsgeschichte“. Kurz steht das Wort „Remigration“ im Raum, aber das, betont Kehlmann schnell, wolle er in diesen Tagen eindeutig nicht sagen. Später wird er in Anspielung auf das Geheimtreffen im Landhaus Adlon sagen: „Gerade in dieser Woche und gerade hier in Potsdam“ sei wichtig, daran zu erinnern, „wie furchtbar diese Zeit war“. Für den Nachsatz „zumal viele wollen, dass sie wiederkommt“ erhält er vom Publikum Applaus.

Kein historischer Roman

Wie beklemmend der Nationalsozialismus war, wie sehr sich der Spielraum für eigenes Denken und Handeln immer mehr verengte, machen die gelesenen Passagen deutlich. Die erste: Ein Treffen zwischen dem gerade aus dem Exil zurückgekehrten Regisseur G.W. Pabst und „dem Minister“, Propagandachef Joseph Goebbels. Beweise für ein solches Treffen gibt es Kehlmann zufolge nicht, aber es brauche sie auch nicht, so Kehlmann. Ohnehin sei dies „kein historischer Roman“: „Das Einzige, was man seiner Romanfigur schuldet, ist, dass man sie nicht ständig beurteilt.“

„Pabst war definitiv kein Nazi“, sagt Kehlmann im Waschhaus. Er sei gezwungen worden, zu arbeiten, habe keine Propaganda gemacht. „Er geht den Weg der kleinen Kompromisse.“ Aber: „Er ist am Ende jemand, der mitgemacht hat.“ Das Einzige, was Kehlmann seinem Protagonisten nicht verzeiht, ist die historisch verbürgte Tatsache, dass Pabst seinen Sohn Peter nicht davor bewahrte, „zu einem Nazi-Kind zu werden, ohne selbst schuldhaft zu sein“. „Die Verpflichtung dem eigenen Kind gegenüber ist eine absolute.“

Die Goebbels-Szene ist im Übrigen nicht nur erstickend beklemmend, sondern auch beißend komisch. „Die ganze Zugfahrt nach Berlin hatte er gegrübelt, was er dem Minister sagen würde“, heißt es vorab. Pabst will sich entziehen, entwickelt Strategien. Am Ende sagt er „Heil Hitler“ und nimmt ein Drehbuch mit, das er für Goebbels verfilmen wird. Kehlmann verurteilt das nicht; er beschreibt es. Und ja, beantwortet er Böhms Frage: Ein etwas multiperspektivischerer Ansatz täte auch der gesellschaftlichen Debatte gut. Erst die andere Perspektive durchdringen, anstatt stets vorschnell zu verurteilen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false