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Der spielende Torhüter und sein Fürsprecher. Jan Jongbloed (Mitte) hatte Johan Cruyff viel zu verdanken.

© imago/WEREK

Zum Tod von Jan Jongbloed: Der fußballerische Großvater von Manuel Neuer und Co.

Jan Jongbloed stand mit Holland in zwei WM-Endspielen. Und auch wenn er beide verloren hat, hat er den Fußball mitgeprägt, zumindest das Torwartspiel. Jetzt ist er mit 82 Jahren gestorben.

In seiner radikalsten Phase als Trainer beim FC Barcelona hat Johan Cruyff einmal mit dem Gedanken gespielt, ganz auf einen gelernten Torhüter zu verzichten und stattdessen einen Verteidiger ins Tor zu stellen. Cruyff war geradezu besessen davon, dass in seinen Mannschaften der Torhüter ein elfter Feldspieler sein müsse. Dieser Idee verdankte auch Jan Jongbloed seinen größten Erfolg als Torhüter. Respektive als Fußballspieler.

Jongbloed hat als Torhüter mit der holländischen Fußball-Nationalmannschaft bei zwei Weltmeisterschaften im Endspiel gestanden, jeweils gegen den Gastgeber der WM-Endrunde. Beide Spiele gingen für ihn und Oranje verloren, 1974 gegen die Bundesrepublik Deutschland, 1978 gegen Argentinien. „Wenn es wichtig wurde, bin ich immer Zweiter geworden“, hat Jan Jongbloed einmal gesagt.

So ganz stimmt das nicht. 1964 gewann Jongbloed mit seinem Amsterdamer Klub DWS (Door Wilskracht Sterk/Durch Willenskraft Stark) den niederländischen Meistertitel – als Aufsteiger. Und auch sonst führt er in den Niederlanden bis heute einige Bestenlisten an.

Niemand hat so viele Spiele im bezahlten Fußball bestritten wie er (717); niemand kommt auf so viele Spielzeiten als Profi (27). Und niemand war bei seinem letzten Einsatz älter als Jan Jongbloed, der mit 44 Jahren neun Monaten und vierzehn Tagen bei Go Ahead Eagles seine Karriere beendet hat.

717
Profispiele bestritt Jongbloed

Aber es sind nicht die nationalen Rekorde, es sind die Auftritte mit der Nationalmannschaft, die den gebürtigen Amsterdamer über die Grenzen seines Landes hinaus berühmt gemacht haben. Vor allem die Auftritte bei der WM in Deutschland. „Wir kamen 1974 aus dem Nichts und eroberten die Welt mit unserem Spiel“, hat er über dieses Turnier gesagt.

Für ihn, den damals fast schon 34 Jahre alten Torhüter, galt das noch ein bisschen mehr als für den Rest der Mannschaft. Zwar hatte die Elftal seit 1938 an keiner WM-Endrunde mehr teilgenommen, aber ein Nichts war der holländische Fußball zu Beginn der Siebzigerjahre nicht mehr. Feyenoord Rotterdam (1970) und Ajax Amsterdam (1971 bis 73) hatten in den Jahren vor der WM gleich viermal den Europapokal der Landesmeister gewonnen.

Jongbloed beherrschte das Spiel mit dem Fuß

Doch Jongbloed spielte nicht beim Renommierklub Ajax, sondern beim kleineren FC Amsterdam, dem Nachfolgeverein von DWS. Zwar hatte er immer mal wieder Angebote von größeren Vereinen, von Feyenoord, dem FC Liverpool, auch von Ajax, gehabt, und er war sogar schon Nationalspieler gewesen. Allerdings lag sein letztes und einziges Länderspiel bereits fast zwölf Jahre zurück, als er im vorletzten Testspiel vor der WM in Deutschland sein Comeback für Oranje feierte.

Dass Jongbloed 1974 in der Bundesrepublik im Tor stand und den Vorzug vor Piet Schrijvers erhielt, das hatte er vor allem dem Einfluss von Johan Cruyff zu verdanken. Es war dessen Idee, auf Jongbloed zu setzen, mehr als die des Bondscoachs Rinus Michels. Hollands Mannschaftskapitän wollte einen Torhüter im Team haben, der den Ball auch mit dem Fuß beherrschte. Und das tat Jongbloed.

Jan Jongbloed im Jahr 2019.

© IMAGO/Bruno Press

Was damals noch revolutionär war, hat längst Schule gemacht. Und wenn Jongbloeds Landsmann Edwin van der Sar als mitspielender Torwart gewissermaßen der fußballerische Vater von modernen Keepern wie Manuel Neuer ist, dann kann man Jan Jongbloed getrost als ihren Großvater bezeichnen.

Sein Markenzeichen: Er spielte ohne Handschuhe

„Als Torhüter spielte er nicht nur gerne mit Fußball, er konnte es auch sehr gut und verhinderte oft Gegentore, weil er in der Lage war, wie ein Angreifer zu denken“, hat Cruyff über seinen Teamkollegen aus der Nationalmannschaft gesagt. Das lag auch daran, dass Jongbloed selbst lange im Feld gespielt hatte. Erst mit 16 ging er ins Tor, und bis ins hohe Alter war er davon überzeugt, dass er es auch als Linksaußen in den Profifußball geschafft hätte.

Jongbloed entstammte einer kommunistischen Amsterdamer Familie und war auch sonst vor allem unangepasst. Nicht nur mit der Art, wie er das Torwartspiel interpretierte.

Bis ans Ende seiner Karriere blieb er Halbprofi, weil er in Amsterdam-West einen Zigarrenladen betrieb. Den Vertrag von Ajax, den er während der WM 1974 ausgehandelt hatte, wollte er am Ende doch nicht unterschreiben. Und als weltweit fast alle Torhüter mit Handschuhen spielten, wurden die blanken Hände so etwas wie sein Markenzeichen. „Anders kannst du den Ball nicht spüren“, sagte er.

Das Ende der orangenen Revolution im Fußball. Gerd Müller erzielt im WM-Finale 1974 den Siegtreffer, Jan Jongbloed kann es nicht verhindern.

© imago images/Ferdi Hartung

Dass man Jan Jongbloed den Spitznamen „Flying Dutchman“ verpasst hat, mag bei einem Torhüter aus Holland zwar naheliegen; eigentlich aber war es ein Witz. Denn, wann immer er den Ball anders erreichen konnte, vermied es Jongbloed, durch die Luft zu fliegen.

Am 7. Juli 1974 aber, kurz vor dem Ende der ersten Hälfte des WM-Finales im Münchner Olympiastadion, konnte er den Ball weder erlaufen noch erfliegen noch sonst irgendwie erreichen. Gerd Müller erwischte Hollands Nummer eins mit der Rückennummer 8 auf dem falschen Fuß.

So stand Jongbloed mit hängendem Arm und geneigtem Kopf auf der Torlinie, als der Ball an ihm vorbei zum 2:1 für die Deutschen über die Linie trudelte. Die orangene Revolution auf dem Fußballrasen fand in diesem Moment ein jähes Ende.

Im September 1985, bei seinem letzten Spiel als Profi, spürte Jan Jongbloed ein Stechen in der Brust, das Atmen fiel ihm schwer, und in seinen Armen kribbelte es. Trotzdem ließ er sich nicht auswechseln. Drei Tage später wurde im Krankenhaus festgestellt, dass Jongbloed während des Spiels in Haarlem einen Herzinfarkt gehabt hatte. Kurze Zeit später wurde im Radio sogar sein Tod vermeldet.

Es war eine Falschmeldung. Erst am Donnerstag, knapp 38 Jahre später, ist Jan Jongbloed nach langer Krankheit im Alter von 82 Jahren gestorben.

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