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„Frérocité“ lässt Individuen in der Masse verschwinden.

© (c) Laurent Philippe

Was aus Feinden Verbündete macht : Deutschlandpremiere an der fabrik

In seiner Performance „Frérocité“ stellt der Choreograf Fabrice Ramalingom die entscheidende Frage nach Menschlichkeit. Premiere ist am 9. Dezember.

Von Alicia Rust

Einzelne Menschen betreten die Bühne, sie laufen umher. Weitere Akteure folgen, es werden mehr, immer mehr. Aus verschiedenen Individuen, allesamt farbenfroh gekleidet, entsteht ein Kollektiv. Ein Knäuel aus menschlichen Körpern. Eine wuselnde, pulsierende Masse. Die Kumulation als sichtbares Element.

Wortschöpfung als tragendes Konstrukt

Die eindrücklichen Szenen, durch die „Frérocité“ als Performance besticht, sind scheinbar chaotisch, kraftvoll, fast destruktiv. Die französische Wortschöpfung, einst vom französischen Psychiater und Psychoanalytiker Jaques Lacan geprägt, steht für die Zusammensetzung der Worte „frère“ (Bruder), „férocité“ (Grausamkeit) und „cité“ (Stadt). Eine Reminiszenz, derer sich Choreograf Fabrice Ramalingom bewusst bedient.

23 Personen sind beteiligt. Darunter jüngere wie ältere Semester, Männer wie Frauen. Sie tanzen, hüpfen, werfen mit Fetzen aus Stoff und Plastik um sich. Eine Anmutung, die teilweise an das Durchwühlen einer Müllhalde erinnert. Sechzehn von ihnen sind Laien, die eigens für das Stück in Potsdam gecastet wurden, sieben entstammen der Kompanie, mit der der französische Choreograf nach Potsdam gekommen ist. Einer davon ist der 70-jährige Tänzer Jean Rocherau, der bereits in Kurzfilmen mitgewirkt hat.

Der Mensch steht immer im Mittelpunkt

Nur zwei Wochen hatten alle, um das Stück miteinander zu proben, die Laiendarsteller waren nur an den Abenden dabei. In der Performance geht es auch weniger um die tänzerischen Fähigkeiten der Darsteller. Entscheidend ist die Ausdrucksweise des Individuums. Der Mensch steht immer im Mittelpunkt von Ramalingoms Werken.

So stellt der französische Choreograf und Tänzer in seinen Stücken auch stets politische Fragen. Zum Beispiel nach unserem Umgang miteinander. Oder wie sich die unterschiedlichen Beziehungen zwischen einem Herzens-, Waffen- oder Blutsbruder gestalten. Was aus Feinden Verbündete macht und umgekehrt.

Nacheinander füllen in „Frérocité“ menschliche Körper den Raum. Das bei der Betrachtung entstehende Gefühl der Enge ist wohl kalkuliert. Die Präsenz der Gruppe erscheint wie ein Aufruf zur Frage, ob es in einer Welt mit begrenzten Ressourcen, in der kaum Rücksicht auf die Umwelt genommen wird, überhaupt noch Hoffnung geben kann. Oder Menschlichkeit. „Frérocité“ wirkt wie ein Aufruf zum Widerstand. Eine künstlerische Geste wie ein Manifest. Eine Warnung, ein Aufschrei. Im besten Falle sogar ein Weckruf.

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