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Die polnische Akademie der Wissenschaften zeigt mit diesem Bild das Konzept der Klick-Chemie: Nanopartikel aus Gold, hier die Ballons, werden von Stickstoffschnallen, hier als Hände dargestellt, an eine Kohlenstoffoberfläche, hier Wasser, gebunden.

© IPC PAS, Grzegorz Krzyzewski

Mit einem Klick: Nobelpreis für eine verlässliche Bastelanleitung

Neuartige Synthesemethoden bringen drei Forschende endgültig in die Geschichtsbücher. Einer von ihnen hatte da schon seinen festen Platz.

Am Montag bekam mit Svante Pääbo ein Mann einen Nobelpreis, dessen Vater bereits dieselbe Ehre zuteil geworden war. So etwas ist schwer zu toppen. Aber möglich ist es. Denn am Mittwoch erhielt mit Barry Sharpless jemand den Chemie-Preis, der ihn schon einmal bekommen hatte, 2001. Doppelpreisträger derselben Disziplin zu werden war vorher erst zweien gelungen, John Bardeen in Physik und Frederick Sanger in Chemie.

Der Amerikaner Sharpless, inzwischen 81 Jahre alt, teilt sich den Preis mit seiner Landsfrau Carolyn Bertozzi und dem Dänen Morten Meldal. Sie bekommen die Medaillen und zusammen 10 Millionen schwedische Kronen (ca. 920.000 Euro) „für die Entwicklung von Klick-Chemie und bioorthogonaler Chemie“, teilte die königlich schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch mit.

Deutscher Chemiker an früher Entwicklung der Klick-Chemie beteiligt

Als Barry Sharpless 2001 seinen ersten Nobelpreis erhielt, war die Entdeckung, die ihm jetzt den zweiten einbringt, bereits gemacht – gemeinsam mit einem jungen deutschen Forscher namens Hartmut Kolb, der heute in der Chemieindustrie arbeitet. In einem Fachartikel, der bis heute mehr als 14.000 Mal in anderen Fachpublikationen zitiert wird, stellten sie das Konzept der „Klick-Chemie“ vor. Hier sollte etwas, was in der Natur kaum je passiert, möglich sein: Moleküle ganz gezielt, kontrolliert und hocheffizient zu neuen Molekülen zusammenzubauen.

Die Stanford-Professorin Carolyn Bertozzi gibt ein Interview, kurz nachdem sie erfahren hat, dass sie den Nobelpreis für Chemie bekommen wird. 5.Oktober 2022, USA, Palo Alto

© Foto: dpa / Noah Berger

Dieses Konzept war zunächst reine Theorie. Sharpless und seinem Team gelang es aber wenig später, tatsächlich eine solche Reaktion zu finden. Da hatten allerdings auch andere schon jenen ersten Konzept-Artikel gelesen und es ebenfalls versucht. Zu diesen anderen gehörte der Däne Morten Meldal an der Universität Kopenhagen.

Ihm gelang fast zeitgleich und unabhängig von Sharpless' Team mit etwas Kupfer als Katalysator erstmals eine tatsächliche Klick-Reaktion im Labor zwischen einem Azid – also einem Salz der Stickstoffwasserstoffsäure – und einem Kohlenwasserstoffmolekül aus der Gruppe der Alkine (früher Acetylene genannt).

Der Saal hat getobt, selbst ältere würdevolle Herrschaften gerieten aus dem Häuschen.

Christian Hackenberger, Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie

Die Moleküle machten genau das, was man sich im Klick-Chemie-Konzept von ihnen erhofft hatte: Sie klickten hocheffizient – und fast ohne dass gleichzeitig unerwünschte Nebenprodukte entstanden – in einander. Mittlerweile sind darauf aufbauend zahlreiche weitere, teils hochkomplexe und in Serie ablaufende Reaktionen und Verfahren in der katalytischen und synthetischen Chemie entwickelt worden.

Gerade erst entwickelt und schon nicht mehr wegzudenken

„Man kann sich das vorstellen, wie wenn ein Druckknopf schließt“, sagt der deutsche Chemiker Christian Hackenberger vom Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie über die hochselektiven Reaktionen, für die der Nobelpreis 2022 verliehen werden wird.

Die Reaktionen sind so einfach, so selektiv, erzeugen so wenige Verunreinigungen, dass sie sehr gut skalierbar sind.

Carolyn Bertozzi

Schon nach so kurzer Zeit seien diese neuartigen Verfahren nicht mehr aus der modernen Chemie wegzudenken. „Will man zum Beispiel ein Polymer mit einem Farbstoff oder pharmazeutischen Wirkstoff verbinden, dann würden nahezu alle Chemiker heute dafür Klick-Chemie einsetzen.“

Chemische Reaktionen in lebenden Zellen

Schon als die Klick-Chemie noch ganz am Anfang stand, suchte die Chemikerin Carolyn Bertozzi nach einer Methode, die ähnliches auch in Zellkulturen oder gar ganzen Organismen ermöglichen würde. Meldals und Sharpless’ Verfahren waren dafür ungeeignet, unter anderem, weil der Katalysator Kupfer in den nötigen Konzentrationen ziemlich giftig ist.

Barry Sharpless, Archivbild.

© Foto: REUTERS / SCRIPPS RESEARCH TRANSLATIONAL INSTITUTE

Bertozzi und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelang es, an Glykan-Moleküle, die überall auf Zelloberflächen vorkommen, Azid-Moleküle anzudocken, die die Zelle nicht weiter beeinflussen. An die wiederum lassen sich andere Moleküle ankoppeln. Den Anfang machten Fluoreszenzfarbstoffe, mit denen einerseits etwa die Glykan-Strukturen sichtbar gemacht werden, andererseits aber auch derart markierte Zellen verfolgt werden konnten.

Bertozzi hat eine unglaubliche Pionierarbeit geleistet.

Leonhard Möckl

Denkbar und auch bereits in der Entwicklung sind aber auch andere Anwendungen, etwa um Veränderungen an Zellen oder Organen diagnostisch sichtbar zu machen. Für ihre Arbeiten griff Bertozzi auch auf Arbeiten des 2016 verstorbenen Berliner Mediziners Werner Reutter zurück.

Neue Wege in der Krebstherapie

Per Klick angedockte pharmazeutische Substanzen dorthin zu transportieren, wo sie wirken sollen, etwa zur gezielten Behandlung von Tumoren, gilt als die vielleicht vielversprechendste Anwendung. An bestimmte Krebszellen passende Antikörper etwa können Wirkstoffe auf diese Weise nicht nur in die Nähe der Tumorzellen bringen, sondern sie dort fest andocken lassen.

Bertozzi, die in Kalifornien lebt und arbeitet, bekam den Anruf aus Stockholm mitten in der Nacht. Sie beantwortete dann auch gleich Fragen, unter anderem solche nach den denkbaren oder schon genutzten Anwendungen. Diese lägen tatsächlich vor allem in „neuen Möglichkeiten, Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln“. Auch der oft schwere bis unmögliche Schritt aus dem Forschungslabor in die verlässliche und wirtschaftliche Produktion großer Mengen sei hier vergleichsweise unproblematisch. Denn die Reaktionen seien „so einfach, so selektiv, erzeugen so wenige Verunreinigungen, dass sie sehr gut skalierbar sind“.

Morten Meldal in Kopenhagen, kurz nachdem er von seinem Nobelpreis erfahren hat. 5. Oktober 2022.

© Foto: AFP / PHILIP DAVALI

Hackenberger erinnert sich an einen Vortrag im Jahr 2001 während seines Studiums, als Bertozzi erstmals das neue Konzept auf einem Vortrag in Deutschland vorstellte. „Das war unglaublich. Carolyn war mitreißend, der Saal hat getobt, selbst ältere würdevolle Herrschaften gerieten aus dem Häuschen.“

Pionierarbeit

Für diese neuen Reaktionen, die die sonstige Biologie nicht beeinflussen, setzte sie den sperrigen Begriff „bioorthogonale Chemie“ in der Fachwelt durch.

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Der 46-jährige Hackenberger, der für die Entwicklung neuartiger Tumor-Therapeutika bioorthogonale Reaktionen verwendet und dafür eine Firma gegründet hat, bezeichnet sich selbst als geistiges Kind von Bertozzis Forschung. Sie habe ihm und vielen anderen Wissenschaftlern nicht nur ein machtvolles neues Werkzeug gegeben, sondern auch völlig neue Impulse für die Anwendung chemischer Reaktionen.

Carolyn ist sprudelig und begeisternd, sie kann die Leute, etwa in ihren Vorlesungen, zum Glühen bringen.

Peter Seeberger über seine Kollegin Bertozzi.

Die besondere Fähigkeit der Kalifornierin, andere für ihre Forschung zu begeisterten, betont auch ihr früherer Mitarbeiter Leonhard Möckl, heute Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts: „Carolyn ist sehr menschlich, umgänglich und bescheiden, gleichzeitig neugierig und fürsorglich.“ Er nennt Bertozzis, Sharpless’ und Meldals Leistungen „Pionierarbeit in synthetischer Chemie und der Anwendung auf die Biologie.“

Neue Forschende - und vielleicht neue Preise

Bertozzis Verdienst, den Mechanismus in die Erforschung des Lebens geholt zu haben, sei nicht hoch genug zu bewerten: „Der Reaktionsraum biologischer Systeme ist sehr klein und weit weg von dem, was wir in der Chemie häufig haben.“ Man brauche „milde pH-Werte, eine wässrige Umgebung, keine zu hohen Temperaturen – das ist eine besondere Herausforderung und Bertozzi hat hier eine unglaubliche Pionierarbeit geleistet“.

Peter Seeberger, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam, schwärmt förmlich von Bertozzi, die er gut kennt. Sie sei „sprudelig und begeisternd, sie kann die Leute, etwa in ihren Vorlesungen, zum Glühen bringen“. Zudem setze sie sich „ganz, ganz stark für junge Leute ein“. Das Ergebnis sei, dass viele ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inzwischen selbst Professuren oder eigene Forschungsgruppen hätten.

Vielleicht schafft sie ja damit die Voraussetzung für etwas, das deutlich häufiger vorkommt als familiäre oder gar individuelle Nobel-Dopplungen: dass Schülerinnen oder Schüler von Laureaten eines Tages – oder eines Nachts – den Anruf aus Stockholm ebenfalls bekommen.

Mitarbeit: Birgit Herden, Sabrina Patsch, Sascha Karberg

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