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Ferenc Krausz vom Max-Planck-Institut in München

© AFP/CHRISTOF STACHE

Update

Molekulare Kurzfilme aus München: Physik-Nobelpreis geht an drei Laserforscher

Den drei Wissenschaftlern ist es gelungen, Laserpulse zu erzeugen, die nur Trillionstel einer Sekunde lang sind. Einer von ihnen, Ferenc Krausz, forscht am deutschen Max-Planck-Institut.

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Eine Attosekunde ist eine nahezu unvorstellbar kurze Zeit. In eine Sekunde passen eine Trillionen Attosekunden – genauso viele, wie Sekunden seit dem Beginn des Universums vergangen sind. In einer Sekunde legt Licht die Strecke zwischen Mond und Erde zurück, in einer Attosekunde die Länge eines Wassermoleküls.

Den diesjährigen Nobelpreisträger:innen der Physik ist es gelungen, Laserpulse zu erzeugen, die nur wenige Attosekunden lang sind. Die Experimente der Forschenden gaben der Menschheit neue Instrumente zur Erforschung der Welt der Elektronen: Die extrem kurzen Pulse sind in der Lage, die Bewegung in den Elektronenhüllen von Atomen und Molekülen aufzulösen und „filmisch“ darzustellen.

Ausgezeichnet wurden die in Schweden forschende Französin Anne L’Huillier (65), der in den USA forschende Franzose Pierre Agostini (82) und der in Deutschland forschende ungarisch-österreichischen Physiker Ferenc Krausz (61). Das teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Dienstag in Stockholm mit.

Ein extrem schneller Auslöser

Um die Problematik zu verstehen, der sich die Preisträger:innen angenommen haben, hilft ein Vergleich mit herkömmlichen Bildaufnahmen. Jeder Film besteht aus einer schnellen Abfolge von Bildern. Je schneller die Bewegung, die gefilmt werden soll, in desto kürzeren Abständen muss ein Auslöser betätigt werden, der die Sequenz von Fotos aufnimmt. Selbst für sehr schnelle Bewegungen, wie dem Schuss einer Pistolenkugel oder dem Flügelschlag eines Kolibris, sind bereits hochauflösende Kameras nötig.

Die Prozesse, die sich in den Bausteinen der Materie abspielen, in Molekülen und Atomen, geschehen jedoch auf einer völlig anderen Zeitskala. Elektronen, negativ geladene Elementarteilchen, die in den Hüllen von Atomen und Molekülen sitzen, bewegen sich auf einer Zeitskala von wenigen Attosekunden. Um ihre Bewegung aufzulösen, sind Lichtpulse mit einer Länge von wenigen Attosekunden notwendig.

Obertöne von Licht

Einen Grundstein zur Erzeugung der kurzen Pulse legte 1987 Anne L’Huillier von der Universität Lund, die ein Drittel des Preises gewann. Licht besteht, ähnlich wie Schall, aus Wellen. Um eine beliebige Wellenform zu erzeugen, müssen Wellen der richtigen Wellenlänge – also dem Abstand zwischen zwei Wellenbergen – kombiniert werden. Um sehr kurze Lichtpulse zu erzeugen, müssen viele Wellen mit sehr kurzen Wellenlängen kombiniert werden.

Wellen mit kurzen Wellenlängen zu erzeugen ist schwierig, doch L’Huillier fand eine neue Methode. Sie entdeckte, dass, wenn sie infrarotes Licht durch ein Edelgas leitet, sogenannte Obertöne des Lichts entstehen: Wellenlängen, die um ein Vielfaches kürzer sind, als die ursprüngliche Wellenlänge des Lichts. Dies ist vergleichbar mit den Obertönen von schwingenden Saiten einer Gitarre oder eines Klaviers, die dem Instrument ihren charakteristischen Klang geben. Die Forscherin untersuchte dieses Phänomen in den 1990er-Jahren noch in einem französischen Labor. Die Obertöne ermöglichten es ihren Kollegen später, experimentelle Durchbrüche in der Erzeugung von Attosekundenpulsen zu erzielen.

Anne L’Huillier bei einer Pressekonferenz in der Universität Lund, Schweden.
Anne L’Huillier bei einer Pressekonferenz in der Universität Lund, Schweden.

© REUTERS/TT NEWS AGENCY

L'Huillier hat heute Vormittag während einer Lehrveranstaltung an der Universität Lund den berühmten Anruf aus Stockholm erhalten. „Ich habe unterrichtet“, sagte die französische Atomphysikerin, auf die Frage, wo man sie erreicht habe, um ihr von der Auszeichnung kurz vor der Bekanntgabe zu berichten.

Das ist der prestigeträchtigste Preis und ich bin so froh darüber. Es ist unglaublich. Nicht so viele Frauen erhalten diesen Preis. Es ist etwas ganz, ganz besonderes.

Anne L’Huillier, Physik-Nobelpreisträgerin 2023

Sie habe den Anruf erst beim dritten oder vierten Versuch in einer Pause annehmen können – die Hochschullehre sei für sie sehr wichtig. Die letzte halbe Stunde ihrer Vorlesung sei danach „etwas schwierig“ gewesen, sagte sie, als sie telefonisch zur Preisbekanntgabe in Stockholm zugeschaltet wurde. Ihr fehlten nun die Worte, weil sie sehr gerührt sei. „Es ist einfach fantastisch.“

Der Nobelpreis bedeute ihr eine Menge, sagte L'Huillier. „Das ist der prestigeträchtigste Preis und ich bin so froh darüber. Es ist unglaublich. Nicht so viele Frauen erhalten diesen Preis. Es ist etwas ganz, ganz Besonderes.“ Sie ist erst die fünfte Frau, die je mit einem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde.

Erzeugung kurzer Pulse

Das zweite Drittel des Nobelpreises geht an den emeritierten Professor Pierre Agostini von der Ohio State University in Columbus im US-Bundesstaat Ohio. Ihm gelang es im Jahr 2001 als Erstem, eine Sequenz von Lichtpulsen zu erzeugen, die jeweils nur 250 Attosekunden lang waren.

Preisträger Pierre Agostini ist emeritierter Professor an der Ohio State University.
Preisträger Pierre Agostini ist emeritierter Professor an der Ohio State University.

© AFP/-

Zur gleichen Zeit erzeugte Ferenc Krausz vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München und von der Ludwig-Maximilans-Universität München einen einzigen, isolierten Lichtpuls mit einer Dauer von nur 650 Attosekunden.

Mit den von den Preisträger:innen entwickelten Techniken wurde es möglich, dynamische Prozesse zu erforschen, die zuvor unmöglich aufzulösen waren.

Preisträger aus Bayern

Der in Bayern arbeitende Ferenc Krausz war von der Nachricht der Auszeichnung sehr überrascht. „Ich versuche zu realisieren, dass das Realität ist und kein Traum“, sagte Krausz der dpa. Damit gerechnet habe er nicht. Krausz forscht als Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching bei München sowie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Diese Bewegungen initiieren jegliche molekulare Vorgänge in lebenden Organismen und sind letzten Endes auch für die Entstehung von Krankheiten auf fundamentalster Ebene verantwortlich.

Ferenc Krausz, Physik-Nobelpreisträger 2023

Mit seiner Forschung habe er es zusammen mit vielen Wissenschaftlern und Teams geschafft, „die Bewegung der Elektronen in Echtzeit zu verfolgen“, sagte der Preisträger. „Diese Bewegungen initiieren jegliche molekulare Vorgänge in lebenden Organismen und sind letzten Endes auch für die Entstehung von Krankheiten auf fundamentalster Ebene verantwortlich.“ Erkenntnisse in diesem Bereich könnten daher für die Medizin wichtig sein.

Ferenc Krausz wird nach der Bekanntgabe des Nobelpreises von seinen Kollegen am Max-Planck-Institut gefeiert.
Ferenc Krausz wird nach der Bekanntgabe des Nobelpreises von seinen Kollegen am Max-Planck-Institut gefeiert.

© REUTERS/Angelika Warmuth

Es gebe seit drei Jahren ein großes Forschungsprojekt mit 10.000 Menschen zur Erkennung von Krankheiten wie Krebs in frühen Stadien. Sie bekämen regelmäßig Blutproben abgenommen, um einen „molekularer Fingerabdruck“ aufzunehmen. Dabei wird beispielsweise eine Blutprobe einem sehr kurzen Infrarotpuls ausgesetzt, der die Moleküle in der Probe in Schwingung versetzt.

So hofft man, in Zukunft mit Attosekunden-Präzision minimale Veränderungen in der Blutprobe feststellen zu können, die Aufschluss über Krankheiten wie Krebs geben könnten. Die ersten Resultate seien vielversprechend, bis zur Anwendung seien aber vermutlich noch fünf bis zehn Jahre nötig.

Seine „spärliche“ Freizeit verbringt Krausz gerne mit Sport und Lesen sowie mit seiner Familie. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. „Da muss man versuchen, irgendwie immer eine Balance zu finden. Die Freizeit ist ein knappes Gut, wenn man in der Forschung tätig ist“, sagte er.

Anwendung für die Chemie oder Halbleiter-Industrie

Die französische Preisträgerin Anne L’Huillier erforscht diese Vorgänge seit den 1980er Jahren. Für sie sei es eine persönliche Faszination und Leidenschaft gewesen. Es handele sich um sehr schwierige Experimente, die viel Zeit bräuchten. Dass ihre Kollegen Agostini und Krausz zeigen konnten, dass es diese sehr, sehr kurze Lichtpulse gibt, sei ein wichtiger Schritt gewesen.

Anne L’Huillier gab nach der Verkündigung des Preises eine Pressekonferenz in Lund, Schweden.
Anne L’Huillier gab nach der Verkündigung des Preises eine Pressekonferenz in Lund, Schweden.

© REUTERS/TT NEWS AGENCY

Die Grundlagenforschung benötigte über 30 Jahre, jetzt sei man an dem Punkt, mögliche Anwendungen zu erkennen. Die Erforschung von extrem kurzen Lichtpulsen sei eine wichtige Frage, um Elektronen und ihre Eigenschaften genauer zu untersuchen. Die Attosekundenphysik ermöglicht es, Elektronen in einem Molekül zu lokalisieren, erklärte ein Vertreter des Nobelpreiskomitees. Damit entstehe ein neues Feld, die „Atto-Chemie“, in der das Verhalten der Elektronen in einem Molekül untersucht werden könne.

L’Huilliers Traum wäre es, mit dem Verfahren molekulare Reaktionen zu kontrollieren. So werde beispielsweise die Aufnahme von Licht bei der Photosynthese immer durch eine Elektronenübertragung gestartet. Erst dann beginnen die eigentlichen Vorgänge im Molekül.

Keine Verletzung der Unschärferelation

Dass die Forschenden einen Weg gefunden haben, die Position von Elektronen zu bestimmen, stehe aber nicht im Widerspruch zur Heisenbergschen Unschärferelation, betont die Preisträgerin. Die Relation besagt, dass man den Ort und die Geschwindigkeit von Quantenobjekten, wie etwa den Elektronen um das Atom, nicht beliebig genau bestimmen könne. Wenn die Forschenden „Fotos“ von den Elektronen schießen, bestimmen sie so nicht den Ort der Elektronen exakt?

„Damit brechen wir nicht Heisenberg. Wir können nun zwar sehen, ob es sich ein Elektron auf einer oder der anderen Seite eines Moleküls befindet, aber das Bild ist weiterhin noch sehr unscharf“, sagt L’Huillier. „Wir können nicht ein Elektron um das Atom verfolgen. Wir bekommen nur neue Informationen über das Elektron.“ Ihr Ziel sei, zu sehen, wo die Ladung eines Moleküls ist.

Ein hoch dotierter Preis

Der Nobelpreis ist mit elf Millionen Schwedischen Kronen (rund 950.000 Euro) dotiert und gilt international als einer der wichtigsten wissenschaftlichen Auszeichnungen.

Im vergangenen Jahr waren der französische Physiker Alain Aspect, der amerikanische Experimentalphysiker John Clauser und der österreichische Quantenphysiker Anton Zeilinger für ihre Arbeit im Bereich der Quantenmechanik mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet worden. Als bekanntester Träger des Physik-Nobelpreises gilt Albert Einstein, der ihn für seine Arbeit zum fotoelektrischen Effekt erhielt. (mit Kix, dpa, AFP)

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