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Sonneneruptionen gefährden die Infrastruktur auf der Erde, etwa Stromleitungen und Satelliten.

© IMAGO/piemags

Seltenes Extrem: Als 1872 ein gewaltiger Sonnensturm die Erde traf

In den letzten zwei Jahrhunderten ereigneten sich drei Super-Solarstürme auf der Erde. Die Ereignisse kommen nicht nur häufiger vor als bisher angenommen. Sie zeigen auch, wie bedroht unsere Zivilisation eigentlich ist.

Von Rainer Kayser, dpa

Anfang November dieses Jahres wurden Polarlichter in erstaunlich niedrigen Breitengraden bis nach Italien und Texas beobachtet. Solche Phänomene deuten auf einen Sonnensturm, und so ansehnlich das dadurch entstandene Lichtspiel auch war, es war nichts im Vergleich zu einem riesigen Sonnensturm im Februar 1872.

Darauf lasse die Auswertung Hunderter Berichte schließen, berichtet ein Forschungsteam in seiner Analyse, die im „Astrophysical Journal“ erschienen ist. Solche für die moderne technische Gesellschaft gefährlichen Ereignisse könnten demnach häufiger vorkommen als bislang vermutet.

Die Bedrohung durch solche Ereignisse für unsere moderne Gesellschaft ist also nicht zu unterschätzen.

Hisashi Hayakaw, Astrophysiker am Rutherford Appleton Laboratory 

Bis fast zum Äquator waren damals Polarlichter sichtbar, in Europa und Asien fielen Telegrafie-Verbindungen aus. Der Sonnensturm zähle zu den drei stärksten bislang erfassten, erklärt das Team um Hisashi Hayakawa vom Rutherford Appleton Laboratory im britischen Didcot.

Die beiden anderen sind das „Carrington-Ereignis“ vom September 1859 und der „New York Railroad Storm“ vom Mai 1921. Beide Male kam es ebenfalls zu Ausfällen von Telegrafie-Verbindungen sowie zu Bränden durch elektrischen Funkenschlag. 1921 fiel die gesamte Signal- und Schaltanlage der New York Central Railroad aus – daher der Name.

Innerhalb von nur 60 Jahren habe es gleich drei extreme Sonnenstürme gegeben. „Die Bedrohung durch solche Ereignisse für unsere moderne Gesellschaft ist also nicht zu unterschätzen“, erklärte Hayakawa.


Wie entsteht ein Sonnensturm?

Auslöser von Sonnenstürmen sind schlagartige Änderungen im Magnetfeld unseres Zentralgestirns. Da die Sonne sich am Äquator deutlich schneller dreht als an ihren Polen, verdrillt sich ihr Magnetfeld in einem elfjährigen Rhythmus. Es bilden sich eine Art magnetischer Schläuche, die an die Oberfläche durchbrechen können und dort kühle Zonen – die dunklen Sonnenflecken – erzeugen.

Eine japanische Polarlichtzeichnung, die eine Beobachtung in Okazaki am 4. Februar 1872 zeigt. (Reproduktion)
Eine japanische Polarlichtzeichnung, die eine Beobachtung in Okazaki am 4. Februar 1872 zeigt. (Reproduktion)

© Shounji Temple

Treffen außerhalb der Sonne Magnetfeld-Schläuche aufeinander, kann es zu einer Art Kurzschluss kommen: Die Feldlinien ordnen sich schlagartig neu und setzen dabei große Mengen an Energie frei. Die Folge: ein sogenannter koronaler Massenauswurf. Dabei wird elektrisch geladene Materie aus der heißen Sonnenatmosphäre – der Korona – mit hoher Geschwindigkeit ins All hinausgeschleudert.

Trifft ein solcher Massenauswurf auf das Magnetfeld der Erde, führt das einerseits zu wunderschönen Polarlichtern, könnte andererseits aber auch verheerende Folgen für unsere inzwischen weit höher entwickelte technische Zivilisation haben. So kann die empfindliche Elektronik von Satelliten gestört oder auch beschädigt werden. Stark schwankende Magnetfelder beeinflussen zudem elektrische Leitungsnetze und können zu Überlastungen von Transformatoren führen und großflächige Stromausfälle auslösen.

Quellen aus aller Welt wurden analysiert und kombiniert

Bereits 2018 hatte Hayakawa vermutet, der Sonnensturm im Februar 1872 könnte von ähnlichem Kaliber wie „Carrington-Ereignis“ und „New York Railroad Storm“ gewesen sein. Doch die Datenlage zu diesem Ereignis war dünn und seine Überlegungen fanden zunächst wenig Widerhall in der Fachwelt. Doch Hayakawa blieb hartnäckig: Er knüpfte Verbindungen zu Forschenden in aller Welt und begann mit ihrer Hilfe, alte Aufzeichnungen und Archive nach Informationen zu diesem Ereignis zu durchforsten. Mit Erfolg.

Über 700 Berichte belegen der Auswertung zufolge, dass im Februar 1872 Polarlichter bis fast zum Äquator hin sichtbar waren. Telegrafie-Verbindungen waren nicht nur im Norden, sondern auch zwischen Indien und dem Jemen sowie zwischen Ägypten und Sudan gestört. Mithilfe von in Archiven schlummernden Messungen des irdischen Magnetfelds ließen sich dessen Änderungen während des Sonnensturms rekonstruieren.

Das alles zeige, dass im Februar 1872 ein extrem starker Sonnsturm stattfand, so Hayakawa. „Er war von gleicher Stärke wie jene von 1859 und 1921.“ Den Forschenden gelang es sogar, die Quelle des Sonnensturms aufzuspüren: Aufzeichnungen von Astronomen in Belgien und Italien zeigen eine Gruppe dunkler Flecken in der Mitte der Sonnenscheibe. Und das war eine Überraschung – denn die Fleckengruppe war nicht allzu groß. „Selbst extreme Sonnenstürme können also bereits durch Fleckengruppen mittlerer Größe ausgelöst werden“, schließen die Forscher.

Aktuell zeigt sich unsere Sonne wieder sehr aktiv. Bis ans Mittelmeer waren unlängst Polarlichter zu sehen. Und das nächste Maximum der Sonnenaktivität mit besonders vielen Flecken und Ausbrüchen ist derzeit noch nicht erreicht.

Die moderne Gesellschaft hängt immer stärker von der technischen Infrastruktur ab – von Stromversorgung, von Kommunikationsnetzen, Satelliten-Navigation. Diese Infrastruktur ist anfällig für Störungen durch Sonnenstürme und könnte tagelang ausfallen. „Können wir unser Leben ohne diese Infrastruktur aufrechterhalten?“, fragt Hayakawa. „Es wäre jedenfalls eine extreme Herausforderung.“

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