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Stress führt zu Erschöpfung (Symbolbild).

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Ständig müde, alles ist zu viel: Die Stressfaktoren unserer Zeit

Politische Krisen und die Folgen der Pandemie belasten viele Menschen. Doch auch die Folgen der Digitalisierung sollten nicht unterschätzt werden, sagen Experten.

Vielen Menschen fehlt es derzeit an Kraft und Energie. So ergab eine Umfrage: Jeder zweite Deutsche fühlt sich erschöpft und ausgelaugt. Als Gründe nannten die Befragten Arbeitsbelastung, die politische Situation und gesundheitliche Probleme.

Doch auch die digitalisierte Welt belaste die Menschen, sagt Martin Teufel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin in Essen: „Technische Neuerungen bieten ungeahntes Potenzial und Gestaltungsmöglichkeiten – gleichzeitig erleben Menschen Erschöpfung, Resignation und Überforderung.“ Die Digitalisierung könne einerseits Entlastung bieten, Produktivität steigern und Kommunikation erleichtern, andererseits müsste auch über Risiken für die psychische Gesundheit diskutiert werden.

Technik kann stressen

Eine vom Bundesforschungsministerium geförderte Studie des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik hat 2020 wesentliche Ursachen von digitalem Stress untersucht. Demnach fühlen sich zum Beispiel viele der Befragten durch Technologien von ihrem Arbeitgeber kontrolliert. Als belastend empfinden sie, nicht genau zu wissen, welche Informationen über sie einsehbar sind und gegen sie verwendet werden könnten.

Durch die ständige Erreichbarkeit hat man nicht genug Pausen, die ein Organismus psychisch und körperlich braucht.

Martin Teufel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin in Essen

Andere klagten über Angst vor Unzuverlässigkeit von Technik – etwa durch Programmabstürze, die dazu führten, dass sich ihre Arbeit nicht wiederherstellen lässt. Auch das automatisierte Aktualisieren des E-Mail-Postfachs ist eine Stressquelle, denn es verursacht das energiezehrende Gefühl, niemals fertig, sondern immer wieder mit neuen Aufgaben überflutet zu werden. „Durch die ständige Erreichbarkeit hat man zudem nicht mehr genug Pausen, die ein Organismus psychisch und körperlich braucht“, sagt Teufel.

Folgenschwerer Weltschmerz

Leiden Menschen dauerhaft unter Stress, begünstigt dies somatische Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Beschwerden oder Magen-Darm-Leiden oder psychische Krankheiten wie Depressionen und Angststörungen. 2022 waren psychische Beschwerden der dritthäufigste Grund für Krankschreibungen.

Neben der Arbeit trägt auch die politische Situation zur allgemeinen Erschöpfung bei. „Unsere Gesellschaft sieht sich mit großen Krisen konfrontiert, die es zu bewältigen gilt“, sagt Stephan Herpertz, Präsident des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM).

Dazu gehörten Klimawandel und Umweltzerstörung, die Kriege in der Ukraine und im Gaza-Streifen, aber auch sinkende Wirtschaftsdaten und die Veränderungen der Parteienlandschaft. „Auf das Individuum bezogen macht sich das in psychischen Problemen offenkundig, die auch behandlungsbedürftig sein können“, sagt Herpertz.

Zu gesellschaftlichen und individuellem Stress kommt es, wenn wir mit Herausforderungen konfrontiert werden, die wir nicht kennen oder gegen die wir keine Resilienz haben.

Stephan Herpertz, Präsident des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin

So hat der Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vor zwei Jahren zu einem kollektiven Einbruch des Wohlbefindens der Menschen in Europa geführt, wie eine Studie der Universität Münster ergab, die im Fachmagazin „Nature Communications“ erschienen ist. Nachrichten und Bilder des Krieges hätten messbar größere Spuren in der mentalen Gesundheit der Europäer hinterlassen als die Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011 und der Corona-Lockdown im Jahr 2020.

Ohnmacht und Kontrollverlust

„Zu gesellschaftlichen und individuellem Stress kommt es immer dann, wenn wir mit Herausforderungen konfrontiert werden, die wir nicht kennen oder gegen die wir keine Resilienz haben“, sagt Herpertz. Unter Resilienz verstehen Psychologen die seelische Widerstandskraft, mit schwierigen Zeiten umzugehen. Vor allem auf Gefühle von Ohnmacht und Kontrollverlust reagiere die Psyche mit Stress. Statt in Rückzug und Passivität zu verfallen, sei es wichtig, Selbstwirksamkeit zu erfahren – wenn auch nur im Kleinen, indem man etwa zu einer Demonstration geht oder Freizeitaktivitäten plant, die einem guttun. 

Vom 13. bis 15. März 2024 werden an der Freien Universität Berlin Expertinnen und Experten auf dem Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie über Stress diskutieren, Martin Teufel wird die Veranstaltung leiten. Schwerpunkt wird das Thema Digitalisierung sein.

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