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Jan-Martin Wiarda

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„Wiarda will’s wissen“: Die Chancen für Frauen an Unis steigen

Doch nur eine Minderheit von Frauen kommt überhaupt so weit, dass sie sich auf eine Professur bewerben kann.

Eine Kolumne von Jan-Martin Wiarda

Zuerst die gute Nachricht. Bei gleicher Leistung haben Frauen an deutschen Universitäten mindestens dieselbe Chance wie Männer, auf eine Lebenszeit-Professur berufen zu werden – wenn sie sich denn bewerben. In der Politikwissenschaft, der Psychologie und der Soziologie sogar eine um 20 bis 40 Prozent höhere, wobei ihr Vorteil nur in der Soziologie statistisch signifikant ist. So haben es der Soziologe Martin Schröder von der Universität des Saarlandes und seine Mitautoren durch die Analyse tausender Karriereverläufe herausgefunden.

Was sich mit den Erkenntnissen eines Forscherteams um die Soziologin Heike Solga vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung deckt. In einer Studie ließen sie rund 1800 Professor:innen verschiedener Fächer die Lebensläufe hypothetischer Bewerber:innen bewerten. Ergebnis: Bei gleichem Inhalt wurden Frauen tendenziell für berufbarer und kompetenter gehalten, und zwar gleichermaßen von Frauen und Männern.

Wobei manche in solchen Zahlen keine guten Nachrichten erkennen werden, sondern Hinweise auf Diskriminierung – von Männern.

Moment, kann man da nur sagen, die Sache ist komplexer. Erstens: Nur eine Minderheit von Frauen kommt überhaupt so weit, dass sie sich auf eine Professur bewerben kann. Die meisten verlassen, Stichwort „Leaky Pipeline“, die akademische Welt lange, bevor sie die nötigen Credentials (Postdoc-Jahre, Auslandsaufenthalte, Publikationen, Habilitation etc.) zusammen haben.

Weil – zweitens – in der Wissenschaft immer noch vielerorts entgrenzte Arbeitszeiten verbreitet sind und oft sogar heroisierend mit einem „Brennen“ für die Wissenschaft gleichgesetzt werden. Was automatisch jene ins Aus schiebt, die sich genau das nicht leisten können oder wollen – etwa weil sie Kinder oder Angehörige zu versorgen haben, weil sie auf ihre eigene Gesundheit Rücksicht nehmen oder weil sie sich schlicht ein Leben neben der Wissenschaft gönnen wollen.

Frauen im Betreuungsnachteil

Vor allem der Betreuungsnachteil trifft überwiegend Frauen, wie sich beklemmend eindrucksvoll in der Corona-Pandemie zeigte: Die Publikationsleistungen von Wissenschaftlerinnen mit Kindern sanken überdurchschnittlich stark. Die von Wissenschaftlern stiegen teilweise sogar – hatten wiederum Solga und ihre Kolleg:innen schon nach den ersten Lockdowns herausgefunden. Was also nützt es Frauen dann, dass sie auch bei gleichem Paper-Output leichter eine Professur ergattern, wenn sie oft weniger begutachtete Fachzeitschriftenartikel publiziert haben?

Nützen würde es ihnen freilich, wenn sie sich – drittens – mit der gleichen Selbstverständlichkeit auf eine Professur bewerben würden, wie selbst mediokre Männer es tun.

Unterdessen berichtet das Statistische Bundesamt, dass der Anteil von Frauen an allen Habilitationen zwischen 2012 und 2021 um zehn Prozentpunkte auf 37 Prozent gestiegen ist, während die Zahl der Habilitationen insgesamt zuletzt deutlich zurückging.

Womit diese Statistik eine doppelte Botschaft enthält: Die Habilitation verliert insgesamt an Bedeutung, sie ist seltener als früher die Voraussetzung, um auf eine Professur berufen zu werden. Gleichzeitig scheint sich die sogenannte „Leaky Pipeline“ ein Stück schneller als bislang zu schließen. Was wäre erst möglich, wenn sich an mehr Orten die Erkenntnis durchsetzte, dass die Wissenschaft durch ihre weit verbreiteten Arbeitsbedingungen systematisch Talente vertreibt – und man deshalb genau diese Arbeitsbedingungen ändern muss? 

Fest steht: Mehr Frauen werden berufungsfähig. Und ihre Chancen, dann auch berufen zu werden, stehen außerordentlich gut. Überkompensieren hier Berufungskommissionen zuungunsten männlicher Bewerber frühere Karrierenachteile für Frauen? Möglicherweise. Wer das allerdings für einen Aufreger hält, sollte sich zuerst das ganze Bild anschauen.

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