zum Hauptinhalt
Regenbogen-Fahrraddemo für mehr queere Sichtbarkeit in Potsdam, 2. Juli 2022.

© IMAGO/Martin Müller

Der CSD ist mehr als eine Party: Gemeinsam gegen Hass und Gewalt

Viele Queers gehen wegen der steigenden Zahl von Übergriffen gegen die LGBTIQ-Community mit einem mulmigen Gefühl auf die CSD-Demo in Berlin. Warum es gerade jetzt wichtig ist, Präsenz zu zeigen – und Solidarität.

Ein Kommentar von Nadine Lange

Wiesbaden, Osnabrück, Reutlingen, Hannover, Köln – das sind Städte, in denen es in diesem Jahr bereits zu Übergriffen auf Teilnehmende von Veranstaltungen zum Christopher Street Day gekommen ist.

Teils während der Veranstaltung selbst, wie etwa in Köln, wo dem Mitglied einer Band, beim Einsingen für das Bühnenprogramm, mehrfach ins Gesicht geschlagen wurde, teils im direkten Umfeld der Demonstration, wie in Hannover, wo ein trans Mann auf dem Weg zum Bahnhof krankenhausreif geschlagen und getreten wurde. In Wien gab die Polizei an, dass sie drei Männer verhaftet habe, die einen islamistisch motivierten Anschlag auf die dortige Regenbogen-Parade geplant hätten.

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt der Gewalt und des Hasses, die queeren Menschen in der CSD-Saison entgegenschlagen. Diese Nachrichten führen dazu, dass auch in Berlin, wo eine der größten deutschen Pride-Demonstrationen stattfindet, viele aus der LGBTIQ-Community nicht nur mit Vorfreude in ihren höchsten Feiertag gehen. Häufig fällt das Wort „mulmig“, wenn sie ihre Gefühlslage beschreiben. In trauriger Erinnerung ist auch der Tod von Malte C., der am Rande des CSD Münster im vergangenen Jahr von einem Angreifer tödlich verletzt wurde.

Natürlich gehörte Gewalt seit jeher zur queeren Lebensrealität. Der CSD geht ja selbst auf eine gewaltsame Auseinandersetzung zurück: Die Gäste der queeren Bar Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street wehrten sich 1969 gegen die ständigen Razzien der Polizei, tagelange Straßenschlachten folgten. Die Geburtsstunde der queeren Bewegung war ein Aufstand. Seither wurde viel erreicht, was auch den jährlichen Umzügen zu Erinnerung an Stonewall in vielen westlichen Ländern einen zunehmend fröhlicheren Anstrich gab.

Schläge und Tritte zielen immer auf alle Queers

Doch die Gegner*innen der LGBTIQ-Emanzipation sind nie verschwunden, schon gar nicht in Ländern wie der Türkei, Ungarn, Serbien oder Polen. Aber auch hierzulande haben rechte und rechtsextreme Kräfte derzeit Oberwasser. In einem zunehmend aufgeheizten gesellschaftlichen Klima machen sie queere Menschen systematisch zum Ziel. Eine Melange aus Hetze, falschen oder unvollständigen Informationen kreiert eine gefährliche Stimmung, in der sich Angreifer legitimiert und motiviert fühlen können, Worten Taten folgen zu lassen.

Die Zahl der registrierten Übergriffe ist in Berlin in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen, queere Menschen überlegen sich auf der Straße mittlerweile zweimal, ob sie die Hand ihrer Partner*innen ergreifen. Hape Kerkeling ist mit seinem Mann wegen dieser „Radikalität auf den Straßen“ sogar aus Berlin weggezogen, wie er gerade in einer Talkshow erzählt hat.

Schläge, Tritte, Steine und Flaschen zielen dabei nie nur auf das jeweilige Opfer, sondern immer auch auf den Rest der Community. Es geht um Einschüchterung, um das Verbreiten von Angst. Queeren Menschen wird die Botschaft geschickt: Seid still, seid unsichtbar, sonst machen wir euch fertig. Doch selbst ein Verstummen würde letztlich niemals vor Attacken schützen – Queerfeindlichkeit findet immer einen vermeintlichen Anlass.

Deshalb ist es wichtig, dass an diesem Samstag viele Menschen – vielleicht sogar mehr als die erwarteten 500.000 – zum CSD in Berlin auf die Straße gehen, um den Reaktionären deutlich zu machen: Lesbische, schwule, bi, inter und trans Menschen stehen für ihre Rechte ein. Sie lassen sich nicht einschüchtern und werden auch nicht in der Lautlosigkeit früherer Jahrzehnte verschwinden. Oder wie es ein Slogan-Klassiker auf den Punkt bringt: „We are here, we are queer – get used to it!“ Leider auch im Jahr 2023 in der deutschen Regenbogen-Hauptstadt weiterhin eine nötige, wichtige Ansage.

Dabei ist der CSD gerade auch für nicht-queere Menschen eine Gelegenheit, sich solidarisch zu zeigen und zu demonstrieren, dass der Hass die liberale Gesellschaft nicht spalten kann. Und wie schön wäre es, wenn es nach der Demo aus Berlin keine Polizeimeldung mit dem Betreff „Queerfeindliche Attacke beim CSD“ gäbe.

Happy Pride!

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false