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People queue outside a polling station during Turkish presidential and parliamentary elections, in Ankara, Turkey May 14, 2023. REUTERS/Yves Herman

© REUTERS/YVES HERMAN

Großer Andrang, große Hoffnung: So läuft der Wahlsonntag in der Türkei ab

Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen wählt die Türkei einen Präsidenten und ein Parlament. Obwohl Erdoğan verspricht, eine mögliche Niederlage zu akzeptieren, wächst die Nervosität.

Mittags um zwölf Uhr muss ein Helfer im Wahllokal 1188 die Urne schütteln, um Platz für weitere Stimmen zu schaffen: Die grünen Umschläge mit den Stimmzetteln für Präsident und Parlament haben sich beim Einwurf in die durchsichtige Plastikbox verkantet, so hoch ist der Haufen eingeworfener Stimmen schon. Mit energischem Ruck schüttelt der Helfer die Umschläge zurecht – die Stimmabgabe kann weitergehen.

Ein Mädchen mit Pferdeschwanz, eine Frau mit Kopftuch, ein älterer Mann mit Schiebermütze und zwei Burschen mit modernen Haarschnitten wachen im Klassenzimmer einer Berufsschule im Istanbuler Stadtteil Beyoglu gemeinsam über den korrekten Ablauf der Wahl zu Parlament und Präsidentenamt: Sie kontrollieren die Ausweise der Wählerinnen und Wähler, geben die Stimmzettel aus, nehmen die ausgefüllten Wahlunterlagen entgegen.

Knapp vier Minuten dauert der Vorgang pro Wähler an diesem Sonntag – vier Minuten, in denen die Menschen in der Türkei Geschichte schreiben könnten.

600.000
Polizistinnen und Polizisten sind am Wahltag im Einsatz.

In den Klassenzimmern der Berufsschule und in rund 190.000 anderen Wahllokalen entschieden die Türkinnen und Türken an diesem Sonntag, ob es in ihrem Land mit oder ohne Präsident Recep Tayyip Erdoğan weitergehen soll.

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Eine Niederlage Erdoğans nach 20 Jahren an der Macht wäre eine Zäsur für die Türkei und der Beginn einer neuen Ära. Umfragen sagten zuletzt einen knappen Sieg von Erdoğans Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu voraus. Wenn kein Kandidat auf Anhieb mehr als 50 Prozent der Stimmen erhält, fällt die Entscheidung über das Präsidentenamt in einer Stichwahl in zwei Wochen.

Erdoğan verspricht, das Wahlergebnis zu akzeptieren

Lange Schlangen vor vielen Wahlkabinen deuten am Sonntag auf eine noch höhere Wahlbeteiligung als bei der Wahl 2018 hin; damals hatten 88,2 Prozent der Wähler abgestimmt. Diesmal sind 64 Millionen Türkinnen und Türken wahlberechtigt, darunter fünf Millionen Erstwählerinnen und Erstwähler. Deren Stimmen könnten entscheidend sein.

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Nach Angaben der Opposition sind eine halbe Million Wahlbeobachter im Einsatz, laut Innenministerium sind 600.000 Polizistinnen und Polizisten im Einsatz.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan gab seine Stimme in Istanbul ab. In den Umfragen liegt er hinten.

© AFP/Umit Bektas

Zum Abschluss seines Wahlkampfes am Samstagabend betete Erdoğan in der Hagia Sophia – der byzantinischen Reichskirche, die er vor drei Jahren vom Museum zur Moschee umgewidmet hatte.

Tausende Anhänger jubelten dem Präsidenten beim Abendgebet in dem proppenvollen Gotteshaus zu und skandierten „Allahu ekber“, Gott ist groß. In einer Ansprache an die Gläubigen unter der Kuppel der Hagia Sophia sagte Erdoğan, die ganze islamische Welt blicke auf die Türkei. Auch die Feinde des Islam würden die Entwicklungen in dem Land aufmerksam verfolgen. Er bete, dass Gott sie aufhalten werde.

Wer wagt, gewinnt. So haben wir es von Atatürk gelernt.

Kemal Kılıçdaroğlu, Vorsitzender der oppositionellen CHP

In seinem letzten Fernsehauftritt vor der Wahl unterstrich der Präsident, dass er die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler respektieren und das Ergebnis akzeptieren werde, gleich wie es ausfalle.

Er glaube an das türkische Volk und habe dessen Willen immer respektiert, sagte Erdoğan in einem Gespräch, das von mehr als 20 Sendern live ausgestrahlt wurde; das erwarte er auch von seinen politischen Gegnern, wenn er am Sonntag im Amt bestätigt werde.

Der Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu gab seine Stimme in Ankara ab. Er will die Türkei nach 20 Jahren AKP-Herrschaft reformieren.

© AFP/BULENT KILIC

Erdoğans nationalistischer Bündnispartner Devlet Bahçeli machte bei seiner letzten Kundgebung in Antalya mit derben Sprüchen auf sich aufmerksam. „Wenn Hans, Sam, Tony, Johnny, Herkel und Frank alle zusammen Recep Tayyip Erdogan f*cken wollten, würden sie das nicht schaffen“, rief Bahçeli.

Damit meinte er offenbar ausländische Staaten wie Deutschland, Amerika und Großbritannien – doch wer „Herkel“ sein sollte, darüber rätselten die Türken in den sozialen Medien.

Lasst uns Herrn Erdoğan höflich und respektvoll verabschieden.

Meral Akşener, Vorsitzende der IYI-Parti

Oppositionskandidat Kılıçdaroğlu beschloss seinen Wahlkampf am Mausoleum von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk in Ankara, wo er am Vorabend der Wahl rote Nelken niederlegte. „Wer wagt, gewinnt“, schrieb er auf Twitter dazu. „So haben wir es von Atatürk gelernt.“

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Die Vorsitzende der zweitstärksten Partei im Oppositionsbündnis, Meral Akşener, warnte in ihrer Rede zum Abschluss des Wahlkampfs vor Rachegelüsten gegen Erdoğan und rief zu einem friedlichen Übergang auf. „Lasst uns Herrn Erdoğan höflich und respektvoll verabschieden“, rief sie.

Bei der Abschlusskundgebung der kurdischen Grünen-Links-Partei im osttürkischen Van meldete sich der inhaftierte Kurdenführer Selahattin Demirtaş zu Wort, als die Organisatoren eine Sprachnachricht von ihm über die Lautsprecher abspielten. „Wir wollen frei und gleich in diesem Land leben“, sagte Demirtaş unter Jubel. „Ich bin hier (in der Zelle), aber mein Herz ist bei euch und ich vertraue auf euch. Wir werden gemeinsam die Freiheit erleben.“

Der HDP-Politiker Selahattin Demirtaş wird von seinen Anhängerinnen und Anhängern verehrt. Den diesjährigen Wahlkampf musste er aus dem Gefägnis bestreiten.

© REUTERS/Sertac Kayar

Demirtaş sitzt seit 2016 im Gefängnis, obwohl der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg seine Freilassung angeordnet hat.

Die Opposition hat angekündigt, die Straßburger Urteile umzusetzen, wenn sie die Wahl gewinnen sollte, und sowohl Demirtaş als auch den Kulturmäzen Osman Kavala und andere politische Gefangene freizulassen.

Die Ehefrau von Kavala, Ayşe Buğra, äußerte die Hoffnung, dass die Wahl am Sonntag den Umschwung bringen werde – und die Furcht, dass es nicht geschehen werde. „Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, nicht mehr an die Zukunft zu denken“, sagte Buğra der italienischen Zeitung „La Repubblica“.

Kavala sitzt seit mehr als fünf Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Silivri vor Istanbul, dem größten Gefängnis von Europa. Dort beging auch der Stadtplaner Tayfun Kahraman, der zusammen mit anderen Aktivisten der Zivilgesellschaft wegen seiner Teilnahme an den Gezi-Protesten zu 18 Jahren Haft verurteilt wurde, am Sonntag seinen 42. Geburtstag.

Seine Freunde und Anhänger versammelten sich am Vortag der Wahl für ein Video mit Geburtstagsständchen in einem Istanbuler Park. Ihr Transparent verkündete: „Der Frühling kommt.“

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